Täglich sterben 7000 Kinder an den Folgen von Unterernährung. Weltweit sind 925 Millionen Menschen chronisch unterernährt. 884 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Diese Zahlen wirken erschütternd und lähmend. Was können wir hier im fernen und reichen Österreich schon dagegen ausrichten, könnte man fragen. Die Gründe für die weltweite Hungerproblematik sind vielfältig und komplex. Es gilt somit, das Problem in seiner Komplexität zu verstehen und konkrete Handlungsmöglichkeiten zu benennen. Jede und jeder von uns kann etwas beitragen.

Schwache Strukturen vor Ort
Ein erster Grund, warum knapp eine Milliarde Menschen auf dieser Welt hungert, liegt in den geringen landwirtschaftlichen Erträgen, welche die Bauern erwirtschaften. Weltweit leben 70% der von Hunger betroffenen Menschen auf dem Land. Die meisten davon in Asien, gefolgt von Afrika und Lateinamerika. Diese sind in erster Linie Selbstversorger. Veraltete Anbaumethoden und Gerätschaften, fehlende Infrastruktur und Märkte führen dazu, dass die Familien nicht genug ernten, um sich selbst davon zu ernähren. Unzureichende Kreditmöglichkeiten tun das übrige, um die Situation weiter zu verschärfen.

Die politische Situation
Die politische Situation ist ebenfalls ein bedeutender Faktor. Schlechte Regierungsführungen, welche die vorhandenen Mittel kaum oder gar nicht in Infrastruktur, Bildung, Gesundheitseinrichtungen oder etwa in den Aufbau lokaler Märkte investieren, gefährden massiv das Wohl ihrer Bevölkerungen. Korruption, bewaffnete Konflikte und Kriege führen zu wirtschaftlicher Stagnation und sind ebenso Ursachen für Hungersnöte. Auch die drückende Benachteiligung von Frauen bzgl. Bildungschancen, Arbeitsplätzen, Einkommen, Zugang zu Ackerland oder Krediten, schwächt die Länder und Regionen massiv und verfestigt die Spirale des Elends.

Steigende Preise
Weiters sind die Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais und Reis seit 2006 stark angestiegen. Gründe hierfür sind Ernteausfälle in den großen Anbauregionen der Erde, der vermehrte Anbau von Agrotreibstoffen, der zu einer Verknappung des Nahrungsmittel-Anbaufläche führt, der hohe Erdölpreis und die exzessive Spekulation auf Nahrungsmittel.
Für arme Familien, welche diese Produkte einkaufen und welche mehr als 70% ihres Einkommens für Nahrung aufwenden müssen, bedeuten die Preisanstiege eine Katastrophe.

Landraub und Agrarpolitik der EU
Neben der Spekulation auf Grundnahrungsmittel, welche ihren Teil zur Problematik beisteuert, wird die Besitznahme von ganzen Landstrichen (Landgrabbing) von Seiten ausländischer Investoren für den Anbau von Nutzpflanzen von mehr und mehr zu einem großen Problem. Der großflächige Anbau von Agrotreibstoffen sowie von Monokulturen aller Art beraubt die Menschen ihrer ursprünglichen Nutzungsrechte und bewirkt eine Verdrängung der Einheimischen in unwirtliche und wenig fruchtbare Regionen.
Neben dem Raubzug dieser global agierenden Konzerne richtet auch eine völlig verfehlte und im Grunde menschenrechtswidrige Subventionspolitik der EU zur Abschottung der eigenen Märkte ungemein viel Schaden an. Dumpingexporte eigener Überschusswaren in Entwicklungsländer ruinieren dabei die kleinbäuerlichen Strukturen vor Ort. Der EU-Binnenmarkt hingegen wird durch überzogene Auflagen gegen Produkte von Firmen aus Entwicklungsländern systematisch abgeschottet .

Verheerende Folgen des Klimawandels
Nicht zuletzt hat auch der Klimawandel verheerende Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Menschen in den ärmsten Ländern der Welt. Anhaltende Dürreperioden und Überschwemmungen lassen die Böden erodieren. Der allmählich ansteigende Meeresspiegel betrifft massiv Menschen in ärmeren Regionen. Es ist fast wie ein Hohn, dass unser exzessiver Lebensstil nun zu allem Überdruss auch noch das Klima zu Ungunsten Ader Menschen im Süden verändert!
Alle diese Gründe zusammen genommen ergeben eine fatale Situation, die zunächst bei manch einem lähmende Betroffenheit erzeugt. Trotzdem gibt es für uns Möglichkeiten, gegen dieses Unrecht anzukämpfen.

Vier Forderungen scheinen mir dabei zentral:

1. Lasst uns großzügig sein! Spenden wir nach unserem Ermessen der Organisation unseres Vertrauens Geld, damit durch nachhaltige Investitionen die Ärmsten in der Welt eine Zukunft haben

2. Lasst uns politisch sein! Menschen, die politisch interessiert sind, sich informieren, Nachrichten hören und lesen können Sachverhalte besser beurteilen und besitzen dadurch die Macht, verändernd zu wirken. Mischen wir uns doch ein in Diskussionen – machen wir Druck auf die PolitikerInnen, damit mitentscheidende Akzente auf dieser Ebene gesetzt werden!

3. Lasst uns lästig sein und nachfragen! Sei es im Bekleidungsfachgeschäft, im Supermarkt oder auf der Bank: Fragen wir nach, wo die Produkte herkommen, die wir täglich konsumieren. Ist der Pullover oder die Schokolade fairtrade? Sind unsere Fonds zur privaten Pensionsvorsorge indirekt oder direkt an Nahrungsmittelspekulationen beteiligt? Je mehr Menschen diese Fragen stellen, umso schneller wird sich etwas verändern.

4. Lasst uns sparsam sein! Wir alle haben in vielen Kontexten die Möglichkeit, Energie und Ressourcen zu sparen. Wenn wir alle Schritt für Schritt unseren eigenen Lebensstil überdenken und korrigieren, dann gibt es eine Chance, die Folgen des Klimawandels in Grenzen zu halten. Auf unseren eigenen Lebensstil zu achten ist keine Frage des Lifestyles oder der heroischen "Bändigung" des eigenen inneren "Schweinehundes". Es ist zutiefst eine Frage der Gerechtigkeit und des Respekts vor der Menschenwürde von einer Milliarde Menschen im Süden.

(Quelle: Zukunft ohne Hunger. Ursachen, Folgen, Gegenmaßnahmen. Ein Themenheft der Caritas Österreich unter Mitarbeit der Arbeitsgruppe Ernährungssicherheit; Juni 2012)

Dr. Michael Willam
EthikCenter