In diesen Tagen startet die groß angelegte Umwelt- und Nachhaltigkeitskonferenz der UNO "Rio+20" in Rio de Janeiro in Brasilien. 1992 fand diese Konferenz schon einmal am selben Ort statt und es wurde eine ambitionierte Agenda für das 21. Jahrhundert auf den Weg gebracht. Was ist geblieben von diesen Ansätzen und Vorsätzen? Was ist heute von Rio +20 zu erwarten?

Gedämpfte Erwartungen
Genau 20 Jahre nach der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro treffen sich Delegierte aus aller Welt am selben Ort wieder, um sich über die Zukunft des Planeten auszutauschen. Die Erwartungen in Bezug auf konkrete Ergebnisse sind gedämpft. Mehr als gut gemeinte, jedoch in ihrem Kern durchwegs zahnlose Absichts- und Willenserklärungen werden wohl auch dieses Mal nicht herausschauen. Die weltpolitisch bestimmenden Themen sind die kriselnde Weltwirtschaft, die Schuldenproblematik, der schwache Euro sowie das Bestreben, die Staatshaushalte in Ordnung zu bringen.
Die Themen der Bewahrung der Schöpfung, der globalen Gerechtigkeit und des Friedens sind dabei zweitrangig, so scheint es. Erst wenn ein gutes, quantitativ bemessenes Wirtschaftswachstum entsprechend Arbeit gebracht hat, befassen wir uns mit dem Umweltschutz und dem Thema der Nachhaltigkeit. Wir scheinen erst dann über Gerechtigkeit nachzudenken, wenn wir unsere eigenen „Schäfchen" im Trockenen haben, wenn Staatshaushalte konsolidiert sind und der Euro endlich wieder stabil ist. Auch die Friedenssicherung und die aktive Friedensarbeit scheint dem Thema der unmittelbaren Symptomkur ökonomischer Systemerhaltung nachgeordnet.
Was darf man also in einer ökonomisch krisenhaften Zeit von diesem Umweltgipfel erwarten? Nichts als leere Versprechungen?

Die Agenda 21
Die sog. „Agenda 21", welche vor 20 Jahren in Rio de Janeiro auf den Weg gebracht wurde, setzte sich zum Ziel, das 21. Jahrhundert, in welchem wir ja mittlerweile schon 12 Jahre leben, zukunftsfähig zu gestalten. Es ist eine Art Manifest, das die Marschrichtung vorgibt: Nicht auf Kosten anderer und auf Kosten der Natur zu leben! 172 Staaten trugen zur Entstehung einer 359 Seiten und 40 Kapitel starken Agenda bei, welche bis in die kommunalen Strukturen der einzelnen Staaten hinein umgesetzt werden sollte. (vgl. die Zusammenfassung auf Wikipedia bzw. die sog. „Lokale Agenda 21")

Der Beitrag der Kirchen
Von kirchlich-ökumenischer Seite lieferte der „Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", welcher in den 1983 bei der Vollversammlung des ökomenischen Rates der Kirchen in Vancouver (Kanada) begonnen wurde, wesentliche Impulse. Die erste ökumenische Versammlung in Basel 1989, bei welcher sich erstmals seit Jahrhunderten eine repräsentative Vollversammlung christlicher Kirchen zusammen fand, kann als wegweisendes Ereignis gesehen werden. Wesentliche inhaltliche Aspekte des konziliaren Prozesses sind auch in die Agenda 21 der UNO-Konferenz in Rio de Janeiro eingeflossen. Zu erwähnen ist hierbei die Fortsetzung der ökumenischen Versammlungen 1997 in Graz sowie 2007 in Sibiu, welche ebenfalls starke Impulse für die Themen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Schöpfungsverantwortung lieferten.

Revolution gescheitert?
Ist die „grüne Revolution" angesichts der heute stark gestiegenen Ressourcenverbräuche und CO2-Ausstöße gescheitert? Wie sollen wir damit umgehen, dass heute globale Megakonzerne Wirtschaft und Politik dominieren, dass die Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft längst die Oberhand gewonnen hat und im Grunde ein „Raubtierkapitalismus" herrscht, dem wohl nur schwer beizukommen ist? Wie lassen sich Entwicklungen wie die vorangetriebene Globalisierung oder die Industriealisierung besonders der Landwirtschaft auf dem Hintergrund der guten Vorsätze vor 20 Jahren einordnen? Was darf man sich überhaupt noch von Rio +20 zu erhoffen?

Ein Funken Hoffnung
Wahrscheinlich ist die radikale Umgestaltung unserer Art zu leben, zu wirtschaften und Ressourcen zu verbrauchen nicht ein Beschluss, den man so einfach festsetzen und von heute auf morgen umsetzen kann. Es scheint vielmehr ein langsamer, schrittweiser und mühsamer Prozess zu sein, der sich über viele Jahrzehnte hinzieht. Es gilt für uns alle, Gewohnheiten und Strukturen zu verändern - und das braucht viel Zeit - vielleicht zuviel?
Neben den angesprochenen problematischen Entwicklungen gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Wir leben in einer Zeit, in welcher die Themen Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Verantwortung für die Schöpfung und globale Gerechtigkeit mehr denn je präsent sind in den Köpfen der Menschen. Überall werden konkrete Fahrpläne in Richtung einer Energiewende und Energieunabhängigkeit erarbeitet. Der Fairtrade-Markt boomt wie nie zuvor. Menschen kaufen vermehrt regionale, biologisch hergestellte und fair gehandelte Produkte. Der Trend geht eindeutig wieder in Richtung kleinerer Strukturen und Kreisläufe.

Es geht um die Wurst im globalen Dorf
Was sich noch entwickeln muss, wenn unsere Erde ein für alle Menschen lebenswerter und menschenwürdiger Ort werden soll, ist ein Ethos der globalen Solidarität und Zusammenarbeit, das sich in den Herzen der Menschen entfaltet und sich in den weltpolitischen Strukturen abbildet. Längst sind wir keine Insel der Seligen mehr, die unabhängig vom Rest der Welt ihren Wohlstand festigen und verteidigen – wir sind, ob wir wollen oder nicht, zu einem globalen Dorf zusammen gewachsen, in welchem alle „Ortsteile" voneinander abhängen und aufeinander angewiesen sind. Als „Schicksalsgemeinschaft Erde" geht es für uns alle über kurz oder lang "um die Wurst".
Rio +20 ist und bleibt bei aller Skepsis eine weitere Chance, die verantwortliche Gestaltung des Zusammenlebens in diesem Dörflein ein Stück weiter zu bringen.

Michael Willam
EthikCenter