Die Österreichische Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat am 16. März eine ausführliche Stellungnahme zum Thema der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen verfasst - und mit der Mehrheit von 17 der 25 Mitgliederstimmen eine weitreichende Liberalisierung des österreichischen Gesetzes zugunsten der Forschung empfohlen. Hier finden Sie die Argumente pro und contra im Überblick. Mit einem Plädoyer für das Leben.

Der Anlassfall – die Stellungnahme der Österreichischen Bioethikkommission

Am 16. März 09 beschloss die Bioethikkommission beim österreichischen Bundeskanzleramt mit einer Stimmenmehrheit von 17 der 25 Mitglieder eine Stellungnahme zur weitreichenden Liberalisierung der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Fünf Mitglieder der Kommission formulierten eine Gegenposition, drei machten von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch.

Begriffsklärungen

Einige wichtige Begriffe sollten vorab geklärt werden. Mit der sog. „verbrauchenden Embryonenforschung“ ist jene Art von Forschung gemeint, welche nicht auf die Erhaltung und das Wohl des Lebens des Embryos abzielt, sondern einen fremden Zweck damit verbindet. Ein solcher fremder Zweck kann z.B. in zukünftigen Heilungs- und Therapiechancen für schwere menschliche Krankheiten (Krebs, Alzheimer, Diabetes etc.) liegen, welche sich unter Umständen aus der Grundlagenforschung an menschlichen Stammzellen heraus ergeben könnten. „Stammzelle“ meint im allgemeinen jene besondere Art von Zellen, welche sich in einem besonders wandlungsfähigen Stadium befinden. Diese Zellen in der Lage, sich durch entsprechende Kultivierung in alle möglichen Arten von Zellen (z.B. Blutzellen, Insulinzellen etc.) zu entwickeln. Unterschieden werden „totipotente“ und „pluripotente“ Zellen. Eine totipotente Zelle liegt dann vor, wenn sich die Zelle noch zu einem ausgewachsenen Menschen entwickeln kann. Wenn von „Stammzellforschung“ die Rede ist, meinen die Forscher in der Regel jedoch pluripotente Zelllinien. Diese werden aus einem Embryo gewonnen (dieser wird dabei zerstört), können sich selbst nicht mehr zu einem ausgebildeten Menschen, gleichwohl aber zu allen möglichen Arten von Zellen entwickeln. Und genau diese Eigenschaft macht die Zellen für viele Forscher so interessant.

Kernfrage(n) des ethischen Problems

Die ethische Sprengkraft liegt in der Frage des Status menschlicher Embryonen und der damit verbundenen Zulässigkeit einer Güterabwägung im Hinblick auf mögliche Heilungschancen für schwere Krankheiten. Dürfen Embryonen für die Forschung verwendet werden? An dieser Stelle sind einige Klarstellungen wichtig: Zum einen handelt es sich bei den Embryonen um sog. „überzählige Embryonen“, welche im Zuge des Verfahrens der künstlichen Befruchtung (IVF) entstanden sind. Diese wurden von den Paaren nicht mehr „benötigt“ und lagern nun zu zehntausenden tiefgefroren in ganz Europa. In Bezug auf die Forschungsvorhaben ist zu bemerken, dass es sich dabei um Grundlagenforschung handelt. Es geht nicht um konkrete Therapieanwendungen, sondern darum, die Frage zu klären, ob solche Anwendungen überhaupt jemals zum Einsatz kommen werden. Diese Art von Forschung ist völlig ergebnisoffen und kann in alle Richtungen gehen – von gelungenen Anwendungen bis hin zum totalen Flop.
Die Kernfrage des ethischen Problems lautet somit, ob das Leben eines („überzähligen“) Embryos für hochrangige Forschungsziele geopfert werden darf oder nicht. Wenn diesem bereits ein Status zuerkannt wird, welcher ihm Menschenwürde bescheinigt, so ist er absolut schutzwürdig. Es ist somit keine Güterabwägung mehr möglich. Wenn der Embryo zwar etwas Besonderes ist, er aber noch nicht den moralischen Status einer menschlichen Person hat, wäre er prinzipiell gegen andere hochrangige Güter verrechenbar.
In der Debatte sind es im Wesentlichen diese beiden Positionen, welche einander gegenüber stehen.

Die Argumentationen – ein kurzer Überblick

Die stärksten Argumente pro Embryonenforschung

- Aufgrund der Legalität von Maßnahmen etwa im Hinblick auf die Verhinderung von Schwangerschaften – mit der sog. „Pille danach“ oder auch mit der „Spirale“ – welche die Vernichtung von Embryonen mit sich bringen, hat der Staat bereits den Status von Embryonen vorweggenommen. Sie genießen aufgrund solcher Bestimmungen nicht dieselben Schutzrechte wie weiter entwickelte Föten oder geborene Menschen

- Wenn der moralische Status von Embryonen nicht jenem von weiter entwickelten Föten oder geborenen Menschen entspricht und keine absolute Schutzwürdigkeit gegeben ist, kann das Leben der Embryonen gegen hochrangige Forschungsziele abgewogen werden.

- Die Forschungsfreiheit ist verfassungsrechtlich verankert. Um diese zu beschränken, müssen triftige Gründe vorgebracht werden. Gegner dieser Forschungen haben argumentativ eine Bringschuld – sie müssen plausibel und konsistent darlegen, warum NICHT an Embryonen geforscht werden sollte.

- Die Embryonen, welche zur Forschung freigegeben werden sollen, sind „überzählig“ und werden, sofern sie nicht zur Adoption freigegeben werden können, nach einer bestimmten Zeit vernichtet. Anstatt sie zu zerstören, wäre es sinnvoller und ethisch vertretbar, sie für einen guten Zweck zu „opfern“.

- In anderen Ländern (z.B. in Großbritannien, Israel) ist die embryonale Stammzellenforschung erlaubt. Österreich erlaubt gegenwärtig zwar nicht die Gewinnung, jedoch die Einfuhr und auch die Forschung an aus Embryonen gewonnen Stammzellinien. Diese Situation ist heuchlerisch: Wir profitieren von den Folgen einer Handlung im Ausland, welche in Österreich illegal wäre. Es wäre daher legitim und konsequent zu fordern, dass auch in Österreich die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen erlaubt wird. (Quelle: Position A der Bioethikkommission von Seite 23 bis 50)

 

Die stärksten Argumente gegen Embryonenforschung

- Es ist nicht legitim, legale Verhütungsmittel wie z.B. die Pille danach als Beispiel heranzuziehen, da hier die Interessen einer dritten Partei (nämlich der Frau) mit im Spiel sind. Es ist für den Gesetzgeber ein schwieriges Unterfangen (vgl. die Kompromisslösung der Fristenregelung), das unbedingte Lebensrecht des Embryos gegen den Willen der Frau einzufordern. Bei Embryonen in vitro, die sich außerhalb des Mutterleibes befinden, hat der Staat eine besondere Schutzpflicht und auch ganz andere Möglichkeiten regulativ einzugreifen, geht es doch um die Verteidigung dieses Lebensrechtes gegenüber einer Instrumentalisierung durch die Forschung.

- Eine Güterabwägung ist nicht akzeptabel, da der Mensch vom frühesten Zeitpunkt seiner Existenz an mit der Würde einer menschlichen Person versehen ist. Das Leben eines Menschen bildet eine unteilbare dynamische Einheit. Aufgrund der kontinuierlichen, spezifisch menschlichen Entwicklung des Embryos, die von einer aktiven Potentialität gekennzeichnet ist und die keine großen Einschnitte aufweist, ist der einzige plausible Zeitpunkt für den Beginn eines Menschenlebens die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.

- Die Forschungsfreiheit findet ihre Grenzen an der Würde und an der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens. Anstatt der Forschungsfreiheit eine übermächtige Position zu verleihen, sollte das Augenmerk auf die fatalen Konsequenzen einer systematischen Überproduktion (etwa im Zuge der künstlichen Befruchtung - IVF) und einer anschließenden Instrumentalisierung und Vernichtung von menschlichen Embryonen durch die Forschung gelegt werden. Niemand kann ausschließen, dass diese Embryonen bereits Menschenwürde haben. Eine solche Zuschreibung basiert stets auf einer Interpretation von natürlichen Prozessen nach bestimmten Gesichtspunkten. Angesichts der Möglichkeit jedoch, es KÖNNTE sich hierbei bereits um einen Menschen handeln, ist größt mögliche Vorsicht geboten und sollte der ethisch sichere Weg gewählt – und daher der Lebensschutz frühest möglich angesetzt - werden. Eine argumentative Bringschuld liegt daher bei der Forschung. Sie müsste beweisen, dass das Leben eines Menschen MIT SICHERHEIT NICHT mit dem Stadium eines Embryos beginnt.

- Die Alternative: Anstatt sich auf das ethisch mehr als bedenkliche Terrain der embryonalen Stammzellenforschung zu begeben, sollte sich die Forschung auf die sog. „adulten Stammzellen“ konzentrieren. Diese kommen im Gewebe des erwachsenen Menschen vor und weisen ähnliche Eigenschaften auf wie die embryonalen. Auch den adulten Stammzellen wird ein enormes Potential zugeschrieben – und sie haben neben der ethischen Unbedenklichkeit noch einen großen Vorteil: sie bilden weit weniger Tumore aus – ein Problem, mit welchem die Forscher bei embryonalen Stammzelllinien zu kämpfen haben und das eine praktische Anwendung fraglich erscheinen lässt.

- Bzgl. der Einfuhr von Stammzellen aus anderen Ländern ist im Sinne der Konsistenz der Argumentation ein generelles Einfuhrverbot zu fordern. Das Territorialrecht, wonach gesetzliche Verbote für eine Handlung nur für einen bestimmten Rechtsraum gelten, entbindet eine Gesellschaft nicht von ihrer moralischen Verantwortung, Handlungen jenseits der eigenen Grenze genau zu überprüfen. Sowohl in gesetzlicher als auch in moralischer Hinsicht ist es fragwürdig, mit embryonalen Stammzellen zu forschen, die im Ausland gewonnen wurden und für deren Gewinnung Embryonen vernichtet wurden. Als Importeure machen sich die Länder der Mittäterschaft schuldig. Hier ist eine Gesetzesänderung auf der Grundlage der vorgebrachten Argumente einzufordern.

- Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Anders als im utilitaristisch (d.h. auf Nützlichkeitserwägungen konzentrierten) geprägten angloamerikanischen Kulturraum ist gerade der mitteleuropäisch-deutsche Kulturraum traditionell deontologisch ausgerichtet: Ein übergeordneter Wert (z.B. die Achtung der Würde der menschlichen Person) erstreckt seine normative Kraft gleichermaßen auf das Ziel einer Handlung und auf den Weg dort hin. Die Bewertung der moralisch-ethischen Integrität einer Handlung basiert nicht nur auf dem Zweck, sondern auch auf den Mitteln, welche zur Erreichung des Zwecks eingesetzt werden. Menschliche Embryonen zu vernichten, um Möglichkeiten zu finden, Krankheiten zu heilen, ist nach diesem Denkmuster ethisch nicht gerechtfertigt. (Quelle: Position B der Bioethikkommission Seite 51 bis 58 / vgl. auch die Stellungnahme des von der Österreichischen Bischofskonferenz anerkannten  "Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik zur Förderung des Dialogs von Medizin und Ethik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes" -  IMABE -)

Die katholische Kirche tritt für einen absoluten Lebensschutz der menschlichen Person vom frühest möglichen Zeitpunkt ihrer Existenz an ein. Weder eine absolut gesetzte und letztlich ins Schrankenlose führende Forschungsfreiheit noch die Hochrangigkeit der angestrebten Forschungsziele oder die „Überproduktion“ von Embryonen im Zuge der künstlichen Befruchtung, welche es ebenfalls vehement abzulehnen gilt, können die Instrumentalisierung und Vernichtung von menschlichen Embryonen ethisch rechtfertigen. (vgl. Dignitas personae 14-16)

Papst Benedikt XVI. dazu: "Die Liebe Gottes macht keinen Unterschied zwischen dem neu empfangenen Kind, das sich noch im Leib seiner Mutter befindet, und dem Kleinkind oder dem Jugendlichen oder dem Erwachsenen oder dem alten Menschen. Sie macht keinen Unterschied, weil sie in jedem von ihnen die Spur seines Bildes und der Ähnlichkeit mit ihm sieht... Deshalb hat das Lehramt der Kirche ständig den heiligen und unantastbaren Charakter jedes Menschenlebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende verkündet [...] Schließlich ist das menschliche Leben immer ein Gut, denn 'es ist in der Welt Offenbarung Gottes, Zeichen seiner Gegenwart, Spur seiner Herrlichkeit'" (Auszug aus einer Ansprache von Benedikt XVI. an die Teilnehmer der Vollversammlung der päpstlichen Akademie für das Leben und am Internationalen Kongress über das Thema: "Der menschliche Embryo in der Phase vor der Implantation". / vgl. auch Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 34 )

Der zunehmende Druck auf die Politik von Seiten der Forschungslobby für eine weitreichende Liberalisierung aufgrund der globalen Wettbewerbssituation ist unverkennbar. Offensichtlich wird diesem Umstand auch von der fachlichen Zusammensetzung des Gremiums der Bioethikkommission Rechnung getragen: Gesamt sind 16 MedizinerInnen, drei Juristen, zwei Vertreter von der philosophischen und zwei von der theologischen (katholisch und evangelisch) Fakultät, eine Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin sowie eine Vertreterin der Technischen Universität in diesem 25-köpfigen Gremium vertreten. Von den 17 Mitgliedern, welche sich für die Position A ausgesprochen haben, die im Wesentlichen die oben aufgelisteten Argumente pro Embryonenforschung beinhaltet, stammen 11 von der medizinischen Fakultät.
Angesichts des Umstands, dass die Medizin zwar wichtige naturwissenschaftliche Grundlagen für eine Entscheidung liefert, jedoch niemals jene Disziplin sein kann, welche solch wichtige philosophische Deutungs- und Interpretationsfragen zum Beginn menschlich-personalen Lebens hinreichend behandeln kann, sind MedizinerInnen überproportional stark vertreten. Die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens ist in erster Linie keine medizinische, sondern eine philosophische Frage. Medizinisch-biologische Beschreibungen bieten per se noch keine Antwort auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Leben eines Menschen beginnt. Dies sollte auch bei der Besetzung eines solchen Gremiums beachtet werden.

Michael Willam