Der Vorstoß der Justizministerin, das Schadenersatzrecht in Bezug auf die Geburt von Kindern mit Behinderung zu ändern, könnte zu einem Paradigmenwechsel führen - aber nur, wenn begleitende Maßnahmen getroffen werden!


Wie wohltuend sind diese Meldungen: Ein Kind, auch wenn es mit Behinderung(en) geboren wird, soll zukünftig nicht mehr als „Schadensfall“ gelten. V.a. die Ärzte könnten aufatmen, da sie von der untragbaren Drucksituation befreit wären, jede kleinste Wahrscheinlichkeit auf eine wie auch immer geartete Behinderung eines Kindes im Zuge von pränataldiagnostischer Verfahren erkennen zu müssen.

Ultraschallbild
Bildquelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2a/CN_T21.JPG


In der Vergangenheit entwickelte sich die unselige Dynamik einer „pränatalen Untersuchungsrallye“, mitunter verbunden mit gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind – und jedes Anzeichen für eine Behinderung wird, wenngleich nicht von allen, so doch von vielen Ärzten, zu einer tendenziösen Beratung in Richtung Abbruch der Schwangerschaft genutzt. Schließlich will doch kein Arzt und keine Ärztin im Klagefall die Unterhaltskosten für das Kind mit Behinderung übernehmen!

Diese Situation ist unerträglich!
Es hat sich eine Praxis etabliert, welche in höchstem Maße lebensfeindlich ist.

Nun ist nicht jede Klage von Seiten der Eltern, welche in der Vergangenheit diesen Schadenersatzanspruch vor Gericht geltend machten, dahingehend zu deuten, dass Mutter und Vater ihr eigenes Kind wirklich als „Schaden“ erachteten. Es war und ist oft der einzige Weg, an Geld für die zusätzlichen Kosten zur Pflege des Kindes zu gelangen!
Wenn nun hoffentlich dieses Gesetz geändert wird, dann müssen im gleichen Atemzug massive soziale Unterstützungen für alle Eltern beschlossen werden, welche die Herausforderung annehmen, ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen und es mit aller Fürsorge und Liebe zu pflegen. Nur so ist tatsächlich so etwas wie ein Paradigmenwechsel im Umgang mit Menschen mit Behinderung möglich. Wenn diese umfassende Unterstützung nicht kommt, bleibt vieles beim Alten bzw. verschlechtert sich sogar die Situation von Eltern, die ein Kind mit Behinderung bekommen haben! Familien geraten in prekäre finanzielle Situationen aufgrund der Mehrbelastungen durch ein Kind mit Behinderung – Geld darf niemals der Grund sein für eine Entscheidung gegen ein Kind, wie auch immer dies gesetzlich geregelt ist. Hier ist die Solidargemeinschaft, d.h. wir alle (!), gefordert, Unterstützung zu leisten.

Wenn es somit überhaupt etwas an diesem Gesetzesvorstoß der Justizministerin zu kritisieren gibt, dann sind es die eher vagen Aussagen zu diesen sozialen Begleitmaßnahmen. Auch wenn dies in ein anderes Ressort fällt: Es wäre hilfreich, wenn auch die Ministerien vernetzt vorgehen würden bei einem so wichtigen Thema. Leider bleiben Forderungen eines Ministeriums an das andere allzu oft eben nur Forderungen, die nicht in die Tat umgesetzt werden. Es wäre schön, von Justizministerin Bandion-Ortner, Familienminister Mitterlehner und Sozialminister Hundstorfer zu hören, dass an diesem Thema gearbeitet wird und Finanzierungsmodelle zu erwarten sind. Ohne das nötige finanzielle Hinterland bleibt auch das überarbeitete Gesetz Stückwerk.

Dr. Michael Willam
EthikCenter

Weiterführende Links:

http://www.justiz.gv.at/internet/html/default/2c94848525f84a63012786b08e2f09ef.de.html

http://www.kathpress.com/kdpdf2.php?d=tag&j=2010&m=12&t=16&p=1019

http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20101216_OTS0280/wrongful-birth-aerztekammer-begruesst-aenderung-des-schadenersatzrechts