Was ist eigentlich der Kern der Aussagen des Papstes in seiner neuen Enzyklika? Alle seine Analysen zu den Themen Globalisierung, Armut, Lebensschutz, Schöpfungsverantwortung etc. basieren auf einer im ersten Moment als naiv erscheinenden Betonung der Liebe...

Kommentar von Michael Willam zur Sozialenzyklika "Caritas in Veritate" von  Papst Benedikt XVI.

Was hat Liebe in der Ökonomie verloren? Was nützt uns die Liebe in Fragen globaler Richtlinien für die Finanzmärkte? Kann mit Hilfe der Liebe eine Reduktion der CO2-Emissionen erreicht werden? Wie lässt sich mit Liebe die drückende weltweite Armut bekämpfen?

Um den Ansatz Benedikts etwas zu erläutern, möchte ich drei Aspekte hervorheben:

Zum einen spricht Benedikt nicht von konkreten Handlungsoptionen zur Lösung der drängendsten Probleme, sondern er betont die Grundhaltung, die uns befähigt, unser Zusammenleben als Menschen zu gestalten und dem Menschen in einer ganzheitlichen Dimension gerecht zu werden. Aus einer bestimmten Einstellung oder Grundhaltung heraus ergreift der Mensch konkrete Handlungen und Maßnahmen.

Zweitens meint diese Liebe nicht etwa ein naiv-verklärtes „Verliebt-Sein“, das uns wie etwa am Beginn einer partnerschaftlichen Beziehung den Verstand „vernebelt“. Im Blick auf die Mitmenschen befähigt uns diese Liebe vielmehr, zu einem „Mehr“ als der bloßen Pflichterfüllung zu gelangen. Wahre Liebe möchte das Wohlergehen des anderen. Sie geht über die Gerechtigkeit hinaus, welche dem anderen das gibt, was ihm rechtmäßig zusteht. Liebe ist keine Pflichterfüllung, sondern Geschenk. Sie gibt mehr als sie muss. Nicht aus einem strategischen Kalkül heraus, sondern weil es ihr um das Wohl des Nächsten geht.

Drittens, und das ist das eigentlich Geniale des Ansatzes Benedikts: Die Liebe kommt bei ihm nicht individualisiert oder relativiert (im Sinne von: jeder und jede versteht etwas anderes unter dem Begriff der Liebe), sondern im Gewand der Wahrheit vor. Wahrheit lässt sich nicht relativieren. In Bezug auf die letzte Wirklichkeit allen Daseins kann es nur eine gültige Wahrheit geben – oder eben gar keine...für Benedikt hat die „Liebe in der Wahrheit“ universellen Geltungsanspruch. Die Liebe ist die einzige universell gültige Wahrheit für die gesamte Menschheit. Über alle kulturellen, geographischen und politischen Grenzen hinweg wirkt die Liebe als Brückenbauerin zwischen den Menschen. Weil sie Wahrheit ist. Die Grundannahme dahinter liefert uns eine ganz simple empirische Erkenntnis: Wenn wir jemanden aufrichtig lieben, dann werden wir selbst beschenkt. Es geht uns gut, wenn wir lieben können. Wir leben selbst reicher, erfüllter und glücklicher, wenn wir lieben. „Liebe ist das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn wir es verschenken“, heißt es in einem Sprichwort. Diese Wahrheit ist es, die Papst Benedikt als Grundhaltung für eine globale Veränderung der Rahmenbedingungen vorschlägt und die für ihn universale Gültigkeit hat. Für ihn und für uns Christen verweist diese Liebe auf das Transzendente, auf Gott selbst hin. Gott ist für uns die Liebe. Diese Prämisse müssen jedoch nicht alle teilen – auch wenn jemand nicht an Gott glaubt, wirkt diese Liebe in ihm. Es hängt eben nicht davon ab, ob ein Mensch sich formal zu Gott bekennt und an ihn glaubt, damit er Liebe geben und erfahren kann. Diese Tatsache löst einerseits die Wahrheit der Liebe vom Glauben an den christlichen Gott, sie breitet andererseits den Kern, die absolute Substanz christlich theologischer Ethik über die ganze Menschheit aus. In der Liebe als letzte Wahrheit können wir uns alle miteinander verständigen. Was für den einen im transzendenten Gott begründet ist, bedeutet für den anderen vielleicht „nur“ ein menschliches Gefühl, das ihm viel Wert ist.

„Dein Wohl liegt mir am Herzen“ – könnte die kurze Zusammenfassung dieser Grundhaltung lauten. Welche befreiende, revolutionäre und weise Botschaft an alle Fondsmanager, Aktien-Analysten, politisch Verantwortlichen, Christgläubigen und Atheisten.

 Michael Willam, EthikCenter