Als Teil, Bebauer/Behüter und Herrscher der Welt: Eine schöpfungstheologische Verhältnisbestimmung der Rolle des Menschen zu seiner Mitwelt

 

Von Dr. Michael Willam, Pastoralamt, Lebensgestaltung und Ethik

Ich möchte die Frage stellen, welche unterschiedlichen Haltungen und Rollen der Mensch aus theologischer Perspektive gegenüber seiner Mitwelt hat. Wie deutet der Mensch seine Mitwelt im Verhältnis zu sich selber? Wie deutet er sich im großen Ganzen des göttlichen Schöpfungsgefüges? Welche Rollen im Umgang mit der Schöpfung hat Gott dem Menschen zugedacht und wie geht der Menschen mit diesen Rollen um?
Aus theologischer Perspektive möchte ich drei Aspekte des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur betonen. Es geht dabei um die unterschiedlichen Rollen des Menschen, welche ihm von Gott zugeschrieben wurden. Es sind dies Rollen, welche jeweils Auswirkungen auf die Bedeutung der Mitwelt haben:

Michelangelos Schöpfung

1, Der Mensch als Teil der Schöpfung: Die Mitwelt als Werk Gottes
2, Der Mensch als Bebauer und Behüter: Die Mitwelt als kulturelle Aufgabe und Verpflichtung
3, Der Mensch als Herrscher: Die Mitwelt als Untertan

Ein erster Aspekt des Verhältnisses des Menschen zu dieser Mitwelt soll jener des eigenständigen, vom Menschen zunächst einmal unabhängigen Wertes der Natur erwähnt sein. Der Mensch ist zunächst Teil der ganzen Schöpfung Gottes.
z.B.: Gen. 1, 12: „Gott sah, dass es gut war“
Mit dieser Feststellung spricht gleichsam Gott persönlich dem von ihm Geschaffenen einen großen Wert zu. Gott schied das Licht von der Dunkelheit, den Himmel von der Erde, das Land vom Meer. Er ließ Pflanzen wachsen, er schuf die Tiere und segnete sie. Hier ist noch nicht die Rede von einem Menschen. All diese Taten der Schöpfung gehen der Erschaffung des Menschen voraus – und die Welt hat mit all ihrer Schönheit, mit all ihrer Vielfalt einen Wert für sich ganz allein – da sie geschaffen und gesegnet ist von Gott, ihrem Schöpfer.
Aus dieser Überlegung könnte folgen, dass auch schöpfungstheologisch eben nicht alles auf den Menschen hin und für den Menschen zu seiner freien Verfügung geschaffen wurde; wenngleich der Mensch, wie später zu zeigen ist, eine besondere Bedeutung hat im Ganzen der Schöpfung, so ist er dennoch in erster Linie Teil dieser Schöpfung Gottes. Als Geschöpf und als Mensch.

Ackerbau
Ein zweiter Aspekt zeigt uns den Menschen als Bebauer und Behüter seiner Mitwelt:
Gen. 2, 15:
Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.


Vor seinem Sündenfall im Garten Eden war der Mensch nicht fähig, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Er tat gewissermaßen automatisch immer das Richtige, ohne sich groß Gedanken zu machen, ob es nun gut oder schlecht war, was er tat. Der Auftrag Gottes, die von ihm geschaffene Welt aktiv zu gestalten und zu hüten war somit das Selbstverständlichste der Welt. Der Mensch versteht sich sozusagen als Landwirt und Gärtner des Gartens, in welchen ihn Gott hineingesetzt hat. Er bebaut ihn, um von seinen Früchten zu leben. Er behütet ihn vor Eindringlingen und vor Verwahrlosung, damit viele Generationen in ihm leben werden.
Der Mensch jedoch verfehlt sich: Er übertritt das einzige Gebot Gottes für das erste Menschenpaar, nämlich nicht vom Baum der Erkenntnis in der Mitte des Gartens zu essen.
Was folgt ist der Sündenfall. Der Mensch weiß von nun an, was gut und böse ist. Hier erleben wir die Geburtsstunde der Moral und des menschlichen Gewissens. Er hat von nun an die Wahl: er kann sich für oder gegen Gott entscheiden. Kann das Gute oder das Schlechte tun; und, was bemerkenswert ist, er weiß von nun an, was das Gute und was das Böse ist. Die Folgen dieser Erkenntnis sind bekannt und fatal: Tod, Schmerzen und Mühsal warten auf Adam und Eva, dazu werden sie aus dem Garten vertrieben. Was bleibt ist der Auftrag Gottes unter veränderten Vorzeichen: Er soll weiterhin den Ackerboden bebauen und hüten. Was hinzukommt ist die Mühsal der Arbeit und die des „Nachdenken-Müssens“, was der Mensch tun oder besser lassen sollte – er kann nunmehr reflektieren, ob seine Taten gut oder schlecht sind – und muss Rechenschaft ablegen vor sich selbst und vor Gott für das, was er tut. Als Bebauer und Behüter ist er nunmehr in die Pflicht genommen sich zu rechtfertigen.

Krone und Zepter

Gleichzeitig erhält der Mensch eine Auszeichnung, die nur ihm allein zuteil wird. Er wird als Abbild, als Gegenüber Gottes geschaffen, was auf den dritten Aspekt seines Verhältnisses zur Mitwelt hinweist: jener des Herrschens über seine Mitwelt:
Gen. 1, 27-31:
27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.
28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.
29 Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.
30 Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. So geschah es.
31 Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. (...)
Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen hat durch diese Eigenschaft eine Sonderstellung innerhalb der Schöpfung inne: er ist fähig, über sich selbst nachzudenken und sich seinen Lebensraum bewusst zu gestalten. Dies verschafft ihm den entscheidenden Vorteil gegenüber allen anderen Geschöpfen – er kann sie zu seinen Zwecken nutzen, sie in seinen Dienst stellen und über sie herrschen. Doch hier ist nicht ein despotisches Herrschen im Sinne eines Tyrannen gemeint, sondern ein Herrschen, das die "Untertanen" zu Schutzbefohlenen macht. "Herrschen" ist vom Hebräischen Wortsinn her mit "Verantwortung übernehmen für..." zu deuten. Eine besondere Aufgabe ist dies allemal. Die Sonderstellung des Menschen wird untermauert durch eine Reihe weiterer Stellen aus dem Neuen Testament. So ist etwa von den Jüngern als dem „Salz der Erde“ und als „Licht der Welt“ die Rede. Menschen, die gute Werke vollbringen und aus der Kraft der Liebe Gottes leben, sind die eigentliche "Krone der Schöpfung". Sie sind das Salz in der Erde, ohne welches alles seinen Geschmack verliert und nutzlos wird.
Hier könnte man einen Widerspruch vermuten zum ersten Aspekt des Eigenwertes der Schöpfung. Erhält nun die Welt doch erst durch den Menschen ihre schöpferische Vollendung? Hat sie doch keinen Wert an sich, unabhängig vom Geschöpf Mensch?


Es scheint es ratsam, den Blick auf das Ganze zu lenken. Der Mensch ist niemals nur als Teil der Schöpfung gedacht. Er ist auch nicht nur ein Bebauer und Bewahrer oder nur Herrscher über die Mitwelt: Er muss als alles in einem gesehen werden. Nur auf diese Weise lassen sich fatale Unverhältnismäßigkeiten vermeiden. Eine ausschließliche Konzentration auf den Aspekt, eben ein Teil der ganzen Natur zu sein, könnte dazu führen, den besonderen Wert eines Menschenlebens zu missachten. „Wer ist der Mensch schon, dass er sich für etwas Besseres hält?“, lauten vielen Anfragen in der heutigen Zeit. Als Christen müssen wir antworten: „Ja, wir halten den Menschen für etwas Kostbares. Er ist für uns wertvoller als jedes andere Lebewesen auf dieser Welt. Weil er Ebenbild Gottes ist. Vernunftbegabt. Fähig, seine Taten moralisch zu verantworten und mit diesem Gott in Verbindung zu treten.“
Genauso verkehrt würde sich nun jedoch diese Haltung präsentieren, wenn sie in Arroganz umschlägt. Er kann deswegen nicht tun und lassen, was er will. Der Mensch ist im selben Maße wie er einen Sonderstatus innehat von Gott in die Pflicht genommen. Er soll bebauen und bewahren, nicht zerstören.
Würde er sich jedoch auf das bebauen und bewahren beschränken, so hätten wir keine Kultur im eigentlichen Sinn: Das Beherrschen der Natur durch die "technè", der kreative Umgang mit dem Gegebenen, die Entwicklung neuer Formen der Gestaltung der Mitwelt gehören untrennbar zum Menschsein mit dazu.

Als Teil der Natur sind wir Bebauer, Behüter und Gestalter unserer Mitwelt. Nur wenn diese drei Aspekte in einer Einheit gesehen werden, lässt sich verhindern, dass wir ins Extreme abdriften. Wenn wir uns jedoch vor Augen führen, wie gegenwärtig mit Gottes Schöpfung umgegangen wird, so scheinen wir diese Balance verloren zu haben. Die absolute Konzentration auf das Herrschen, auf die Ausbeutung und Zerstörung der Lebensgrundlagen ist offenkundig. Wir scheinen, wie Richard Schenk treffend formuliert, nicht die Krone, sondern die „Dornenkrone“ für die Schöpfung zu sein. Und manchmal wäre es nur allzu verständlich, wenn es Gott wie vor der Sintflut bereuen würde, den Menschen jemals erschaffen zu haben:


Gen. 6, 5-6:
5 Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.
6 Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh.

Es bedarf wohl mehr als nur schöner Worte, um diese Entwicklung wieder in den Griff, wieder in die Balance zu bekommen. Eine Rückbesinnung des Menschen auf die Natur als ein Teil von ihm, als gesegnete Schöpfung Gottes und auf seinen ursprünglichen Auftrag, diese Schöpfung zu behüten, ist somit von theologischer Seite her zu fordern. Nur wenn diese drei Aspekte der Rolle des Menschen gegenüber der Mitwelt wieder in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen, haben wir eine Chance, bestimmte Szenarien zu vermeiden.

Dr. Michael Willam