Im Jänner wurde ein „Mission Manifest“ veröffentlicht. Wenn die Mission zur ersten Priorität werde, stehe einem Comeback der Kirche nichts im Weg. Die 10 Thesen erreichen ihr Ziel: sie wollen polarisieren. Die einen werden zum Mitmachen bewegt und andere provoziert. Und Mission kommt wieder ins Gespräch.

Vorneweg: Das Buch ist es wert, gelesen zu werden. Und auch wenn der Gesamttext ausgewogener ist als die bewusst provokanten Kurzthesen, regen die Aussagen zur Auseinandersetzung an. Im besten Fall führt das Gespräch darüber zu mehr Klarheit in Sachen „Mission“.

Verschiedenes Missionsverständnis

Die kritischen Anmerkungen und Ergänzungen (z. B. von Rainer Bucher, Ursula Nothelle-Wildfeuer, Christian Hennecke, Carsten Leinhäuser, Erik Flügge) zeigen, dass die Reflexion über die geschichtlich belastete christliche Mission noch lange nicht abgeschlossen ist. Hier standen sich der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und die evangelikalen und Freikirchen oft gegenüber. Hilfreich ist dabei die Zusammenfassung von Dave Jäggi. Die Thesen im „Mission Manifest“ folgen in ihren Sprach- und Denkmustern eher den Freikirchen.

Die Mission der Kirche

Das lateinische „Mission“ bedeutet „Sendung“. Die christlichen Kirchen haben von Gott eine Sendung, einen Auftrag. Sie sind kein Selbstzweck und deshalb geht es heute auch nicht um ein „Comeback der Kirche“. Gott hat Menschen in diese Welt gesendet, um seine Liebe für alle Menschen konkret erfahrbar zu machen. Er wünscht sich „die innigste Vereinigung“ mit seinen Geschöpfen und „die Einheit der ganzen Menschheit“ (vgl. Lumen Gentium 1,1). Mit allem, was die Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe vermehrt, erfüllen wir diesen Auftrag, arbeiten wir mit an der Heilsgeschichte, werden wir zu „Missionaren“.

Erfahrung und Nachfolge

Missionarisches Handeln im engeren Sinn will Menschen, die keinen Bezug zur Kirche (mehr) haben, eine Erfahrung dieser Liebe Gottes zu ermöglichen. Denn Erfahrungen werden immer wichtiger. Menschen stellen den Anspruch, dass Religion ihnen „etwas bringt“. Liturgie, Predigt oder Rituale ohne persönliche Relevanz, ohne „spirituellen Nährwert“, interessieren nicht mehr. Dieser Anspruch ist berechtigt:  Gott will für jede und jeden relevant sein. Und das kann ein Leben verändern.

Wer Gottes Berührung im eigenen Leben erlebt, wird sich gerne mit der je eigenen Berufung an seiner Mission beteiligen und Gottes Liebe zu den Menschen bringen: mehr durch das eigene Leben und Sein als durch Worte. Die Kirche braucht diese brennenden Menschen, um ihre Sendung zu erfüllen. In den nächsten Jahrzehnten wird Kirche bei uns vor allem dort lebendig sein, wo begeisterte Getaufte ihre Freizeit mit Freude dafür verwenden, den Menschen in ihrer Umgebung Gottes Nähe erfahrbar zu machen.

Missionarisches Handeln im engeren Sinn lässt sich mit der Gesamtmission der Kirchen verbinden, in dem alle ihre Vollzüge auch von den Menschen her gedacht werden, die wir noch nicht oder nicht mehr erreichen, besonders von den Ausgegrenzten unserer Gesellschaft her (vgl. Mt 25,35ff). Wo der Eindruck entsteht, dass die Aufgabe der Kirche vor allem („Mission als Priorität Nummer eins“) in der „Bekehrung von Menschen zu Jesus Christus“ liegt, die ihrerseits wieder andere als Jünger gewinnen, fehlt diese Zuordnung und führt die Kirche in eine Verengung.

Mission ist Dialog und Respekt

Die Reflexion der Kirchen über ihre Missionstätigkeit will die Reste der unheilvollen Verbindung von Mission und Kolonialisierung auflösen. Lange wurde die vorbehaltlose Liebe Gottes zu allen Menschen durch das Überlegenheitsgefühl der Kirchen Europas und Amerikas verdunkelt. Zwei Orientierungen haben sich daraus ergeben: die Inkulturation und der Dialog.

Der Gedanke der Inkulturation geht davon aus, dass sich in der Vielfalt der Kulturen Spuren von Gottes Schöpfergeist finden lassen. Deshalb muss sich die Kirche respektvoll auf unterschiedliche Kulturen und Milieus einlassen und die je passende Ausformung der Frohen Botschaft in diesem Kontext (er)finden, wenn sie die Menschen dort erreichen möchte. In unserer pluralen Gesellschaft kann jeder Text, jedes Lied, jedes Ritual nur eine begrenzte Gruppe erreichen. Andere werden abgestoßen und brauchen andere Zugänge. Das gilt auch für das „Mission Manifest“.

Um Menschen jenseits der eigenen „Blase“ zu erreichen, braucht es den Dialog, der getragen ist vom Wissen um die gottgeschaffene Würde jedes Menschen. Interesse am Leben meines Gegenübers und Zuhören stehen am Beginn. Mit der Zeit vertieft sich das Gespräch, Standpunkte können dann ausgetauscht und einander erschlossen werden, Lernen ist für beide Seiten möglich.

Eine Voraussetzung dafür ist die Vorstellung, dass mir Gott in meinem Gegenüber begegnen will und dass es für mich (auch weit weg von meinen kirchlichen Bildern) etwas zu lernen gibt. „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe." So hat es vor mehr als 20 Jahren der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle auf den Punkt gebracht.

Dankbar für das Wirken des Geistes

Die Situationsanalyse im „Mission Manifest“ zeigt an einigen Stellen eine Geringschätzung von pfarrlich-sozialisierten Menschen, die im Verdacht der Lauheit stehen, von Theologen und von Hauptamtlichen, die aus einer Beamtenmentalität den Niedergang der Kirche verwalten. Auch das entspricht durchaus evangelikalen Denk- und Sprachtraditionen. Auf der anderen Seite wird in den Thesen die große Dankbarkeit gegenüber dem Wirken von Gottes Geistkraft in den Freikirchen ausgedrückt. Das ist berechtigt.

Es ist zu wünschen, dass dieselbe Dankbarkeit auch allen pfarrlich Engagierten, Theologen und Hauptamtlichen gilt, die an der großen Mission, an der Sendung Gottes mitarbeiten. Denn: „Der Heilige Geist handelt wie er will, wann er will und wo er will.“, schreibt Papst Franziskus in Evangelii Gaudium 279. Es gehört zur missionarischen Grundhaltung, dieses geheimnisvolle Wirken Gottes immer neu zu entdecken.