„Welche Frage beschäftigt dich in Bezug auf die Zukunft der Kirche?“ wurde Thomas Berger-Holzknecht von der ökumenischen missionalen Initiative "Kirchehoch2" gefragt.

Als kirchlicher Organisationsberater in der Katholischen Kirche Vorarlberg bemerke ich bei mir in den letzten zehn Jahren eine zunehmende Gelassenheit. Das hat viel zu tun mit der ersten Frage, die ich mir und anderen immer wieder stelle:

Erleben wir gerade Heilsgeschichte?

Könnte es sein, dass in den religiösen und kirchlichen Umbrüchen in unserem Land sich so etwas wie „Heilsgeschichte“ ereignet?
Im Priestermangel, in der abnehmenden Zahl an Theologiestudierenden, im abnehmenden Kirchenbesuch, in neu gebauten ansprechenden Kirchenräumen, in den steigenden Kirchenaustritten, in der Entfremdung der Kirche von immer mehr Menschen, in der zunehmenden Freiheit der Menschen, im Ende des jahrhundertelangen Monopols der Katholischen Kirche in Vorarlberg, in zunehmend mehr selbstgestalteten zielgruppenadäquaten Liturgien für Kinder und Familien …?
Was spricht dafür, was dagegen? Wie siehst du das und wie ich?
Je mehr ich mit anderen zusammen Hinweise auf das verborgene Wirken Gottes in Gesellschaft und Kirche entdecke, desto mehr spüre ich ein Gottvertrauen, dass die Zeit der guten Entwicklung unserer Kirche in die Hände spielt. Trotzdem gibt es noch weitere Fragen, die mich im Blick auf die Kirche der Zukunft beschäftigen.

Wo können Menschen heute bei uns persönliche Erfahrungen der Gottesberührung machen?

Ich finde es wunderbar, dass immer mehr Menschen den Anspruch haben, dass Religion ihnen „etwas bringen“ soll. Religion will ja relevant sein. Wer findet bei uns Nahrung für die Seele, das Herz, den Geist, für Augen und Ohren? Und wer findet das bei uns nicht? Wie können unsere spirituellen und rituellen (z. B. liturgischen, sakramentalen, …) Angebote im Blick auf die kulturelle und spirituelle Diversität in unserem Land noch breiter werden? Wo sind passende Orte für eine erste Begegnung mit dieser verborgenen Wirklichkeit und wo die „Schulen der Meisterschaft“ in der kundige Begleiterinnen und Begleiter längere Übungs- und Lernwege mitgehen? Zeitfenster in Aachen ist wohl so entstanden und noch viele Kraft- und Segensorte, von denen ich noch nicht gehört habe.

Wie gelingt lebendige Gemeinschaft, in der Leben und Glauben geteilt und Gastfreundschaft gepflegt wird?

Was trägt Leitung dazu bei? Wie gelingt angesichts der zunehmenden Pluralisierung und Diversität in unserem Land echte Gemeinschaft? Darf ich hier sein, wie ich bin, oder muss ich mich anpassen? Wie gehen wir mit unserem unterschiedlichen Bedürfnis nach Nähe und Distanz um?
Wie kann Leitung eine Gemeinschaft von unterschiedlichen Individuen und ein mehr an Selbststeuerung und Selbstorganisation befördern? Wie kann Leitung Prozesse gestalten, dass Gottes Geistkraft mehr Raum bekommt?

Wie fühlt sich jemand in unserer Gemeinschaft, die/der das erste Mal kurz herein schnuppert: willkommen, überflüssig, unter Anpassungsdruck? Wollen wir als Gemeinschaft wachsen, uns vielleicht sogar teilen und verändern oder sichern wir unsere Grenzen? Darf unsere Gemeinschaft auch zu Ende gehen? Und wenn wir uns für eine bewusst gelebte Pastoral der Gastfreundschaft entscheiden: Wie können wir vermeiden, dass wir uns dabei verausgaben und überfordern?

Wie wirken wir in der Heilgeschichte mit?

Wie gelingt uns in der Solidarität mit Notleidenden, Trauernden, Geflüchteten, … der Liebe Gottes ein konkretes Gesicht zu geben? Wo bin ich ganz persönlich angefragt durch „meine/n Nächste/n“? Habe ich eine/n Freund/in bei „den Armen“? Mit welchen Gruppen und Initiativen vernetzen wir uns, weil sie – so wie wir – „der Stadt Bestes wollen“?
Wie finde ich das interessierte Gespräch mit Menschen, von denen sich die Kirche (gerade erst oder schon vor Generationen) entfremdet hat? Wo bin ich zu Gast im Neuland, beim „mir Fremden“? Von welchen wesentlichen Fragen und Themen erfahre ich hier? Welche Spuren von Gottes verborgener Gegenwart entdecke ich hier? Wie verändert sich mein kirchliches Engagement, wenn ich die Freundschaft mit Menschen pflege, denen Kirche fremd ist?

Wie bleiben wir im Druck der Veränderungen gesund?

Die Zeit der einsamen Wölfe ist vorbei. Mit wem vernetze ich mich, damit wir uns gegenseitig bestärken, inspirieren und befremden?
Wie gelingt mir der Fokus auf meine „Teilmächtigkeit“ (Ruth Cohn, TZI), in dem ich einerseits die Begrenztheit meiner Wirkung akzeptiere und andererseits meine Charismen nutze und ausbaue? Wie können wir Schritt für Schritt aus einer Pflichten- und Programmlogik aussteigen und mehr Platz schaffen für die Orientierung an dem, was uns freut, was wir gerne tun und gut können?

Fragen sind für mich auf diesem Entwicklungsweg der Kirche das Wichtigste. Und Gespräche darüber. Die Zeit arbeitet für uns. Das Reich Gottes wächst. Ich bin gerne mit dabei.

Mag. Thomas Berger-Holzknecht, Jg. 1966, arbeitet im Pastoralamt der Katholischen Kirche in Vorarlberg auf der Stelle „Entwicklung und Neuland“ und freiberuflich als Organisationsberater, Supervisor und Coach.