Samstagmorgen, ebenfalls in Tisis. Viele, die am Vortag beim Pastoralgespräch waren, kamen wieder. Das Interesse war groß. Nach den Referaten und Kleingruppengesprächen am Freitag gab es heute die Möglichkeit, in zwei größeren Workshops eine Vertiefung zu versuchen.

Bernhard Spielberg ließ die TeilnehmerInnen zunächst alle Stühle beiseite räumen und stellte drei Fragen, nach denen sich die BesucherInnen im Raum aufstellten. 1. Seit wann sind Sie katholisch? 2. Sind Sie in einer Pfarrei tätig oder an einem anderen kirchlichen Ort? 3. Wo würden Sie in der Kirche - wenn Sie sie von außen betrachten - sicher nicht mehr hingehen? Anhand der Antworten skizzierte Spielberg ein durchaus differenziertes Bild von Kirche in Vorarlberg.

Spielbergs Impulsreferat trug den Titel: "Form follows function". Die Form (Struktur) folgt der Funktion (Bedürfnis). In der kirchlichen Praxis geht es darum, auf die Bedürfnisse der Menschen zu hören, bzw. diese erst einmal wahrzunehmen. Das kann in verschiedenen Kirchensituationen durchaus unterschiedlich ausfallen.

Beispiel Poitiers: Dort gab es keine Pfarren mehr, kein kirchliches Leben. Der Bischof des Gebietes stellte den Bewohnern folgende Frage: Wenn es fünf Menschen gibt, die sich gemeinsam auf den Weg machen, dann errichten wir dort eine Gemeinde. Diese Menschen wurden vom Bischof beauftragt, einen Gemeinde zu bilden. Zwei Personen davon wurden zu Leitern gewählt. Eine demokratische Dimension, die in der Geschichte der Kirche durchaus präsent ist. Die Verantwortlichen in diesen "Basisgemeinden" in Frankreich sind ehrenamtlich tätig. Im säkularisierten Frankreich ist die Kirche auf Spenden angewiesen, da es - im Unterschied zu Österreich - kein Kirchenbeitragswesen gibt. Die freiwilligen Kirchenbeträge reichen in Frankreich gerade, um die Priester des Landes zu bezahlen, wenn auch am Existenzminimum. Die Situation in Österreich ist (noch) eine andere, aber Bernhard Spielberg gab sich überzeugt, dass es in 15 bis 20 Jahren bei uns genau so sein könnte.

In Österreich und Deutschland werden durch die Kirchensteuern bzw. -beiträge Strukturen zusammenfinanziert, so Bernhard Spielberg, die vielen Menschen nichts mehr zu sagen haben. Viele Leute zahlen Kirchenbeitrag, ohne jemals in einer Pfarre gewesen zu sein. Wenn die Menschen freiweilig das bezahlen müssten, was sie von der Kirche bemerken - was sie als professionelle Arbeit erfahren, wofür sie dann auch gerne einen Beitrag zahlen würden - dann hätte die Kirche in Österreich viel weniger Geld und müsste vermutlich ihre Strukturen umstellen.

Die Kirche heute, zumindest jene in Deutschland, befindet sich in einer Situation, in der manche Mitarbeiter und Bischöfe so etwas wie die Quadratur des Kreises versuchen, so Bernhard Spielberg. Ein ziemlich unmögliches Unterfangen. Man kann nicht einfach aus einer Pfarrei eine Gemeinde machen. Ein mögliches Alternativ-Szenario: Priester sind in einem größeren pastoralen Raum tätig, in dem sich an vielfältigsten, auch milieu-verschiedenen Orten Menschen zusammen finden: Im Krankenhaus, im Seniorenbereich, und daneben noch in den Pfarrzentren. "Die Kirche überlebt vor Ort, wenn sie vor Ort am Leben bleibt," so einer der zentralen Sätze von Bernhard Spielberg.

Kirche als Selbstzweck um ihrer selbst willen ist nicht der Auftrag des Evangeliums. Bernhard Spielberg stellte den VorarlbergerInnen die Lagen in Frankreich und Deutschland gerade deshalb vor Augen, weil hier in Österreich die Situation noch anders ist. Aber es wird sich ändern. Auf das Ende zu warten sei da keine gute Strategie. Manche Aufbrüche hierzulande konnte auch Pastoralamtsleiter Walter Schmolly fesstellen, der von den wachsenden Familienliturgien in vielen Pfarren berichtete, in denen sich junge Menschen engagieren, denen die eigenen Kinder und die Liturgie ein echtes Anliegen sind. Ein Anliegen, das aktiv werden lässt. Generalvikar Benno Elbs gab zu bedenken, dass sich Kirche ohne Geld bei uns nicht einfach denken lasse. Denn gerade durch das Geld, das die Kirche in Österreich noch hat, könne sehr viel Gutes getan werden. Uneinig waren sich die TeilnehmerInnen, ob das Geld nun eher nützlich oder hindelich sei.

Im zweiten Workshop legte Hubert Windisch seinen Fokus auf das Sakrament der Erstkommunion. Er hob die Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der Durchführung des Sakraments und der inneren Bereitschaft der Kinder hervor. Man müsse davon wegkommen, die Kinder klassenweise zur Erstkommunion zu führen, sondern vielmehr den Kindern und den Eltern die Entscheidung zu übelassen, wann sie die Erstkommunion feiern wollen. Ein Verständnis dieses Sakramtents sei wichtiger als eine schöne Feier, bei der die Beteiligten nicht mehr wissen, warum sie eigentlich feiern.

"Was wir feiern stimmt nicht mehr überein mit dem was wir Glauben. Zuerst der Glaube dann das Sakrament ist der richtige Weg", so Windisch. Es braucht eine Kultur, die über die Sakramente hinausführt. Die Ausführungen stießen auf Zustimmung, wobei die Durchführung dieses Modelles nicht ganz leicht sei. Traditionelle Einstellungen der Eltern, die ihr Kind mit acht Jahren zur Kommunion führen wollen oder auch die Abwanderung in die Nachbarpfarre, stellen dabei Hauptprobleme dar.

Karl FelderStefanie Krüger

 

 

 

Fotos: Daniel Furxer

Zurück im Plenum, berichteten gemäß der biblischen Geschichte, als Moses KundschafterInnen in das gelobte Land voraus schickte, die nach ihrer Rückkehr von Riesen und Trauben erzählten, vier TeilnehmerInnen über ihre Eindrücke von Forum. Für  den Religionslehrer Karl Felder aus Andelsbuch war das Schlüsselwort der zwei Tage "Vielschichtigkeit". Diese Vielschichtigkeit ist Riese und Traube zugleich, um in der biblischen Diktion zu bleiben. Eine Frage an die Kirchenleitung formulierte Karl Felder, indem er fesstellte, dass Gemeindeleitung und Eucharistievorstand miteinander verbunden sind bzw. zu verbinden seien. Stefanie Krüger, Pastoralassistentin in Dornbirn, fand es befreiend, den Blickwinkel weg vom Jammern (so ihre leise Befürchtung vor dem Forum) hin zur Feststellung einer großen Kreativtität und Lust zu wandeln. Dekan Paul Solomon aus Bregenz hat während des Forums öfters an das Bild des Volk Gottes gedacht. Dabei stünde auch die Frage immer vor uns: "Was willst du, Herr, was du tust." Dekan Herbert Spieler aus Frastanz stellte 12 verschiedene Trauben als Auftrag und Genuss vor, darunter: Aufmerksamkeit für die verschiedenen Milieus und soziokulturelle Bereiche; Ernstnehmen der leib-seelischen Ganzheit; besondere Aufmerksamkeit für die Art und Weise, wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen gefeiert und nicht nur absolviert werden; die Lust, Neues auszuprobieren und das auch weiterzugeben. Von Riesen berichtete Herbert Spieler ebenso: das Niederdrücken von Aufbrüchen von unten, der Sitz-Katholizismus und die Lebenszeit-Verschwendung; das Übersehen von persönlichen Beziehungen in der seelsorglichen Alltagsroutine.

Paul SolomonHerbert Spieler

 

 

 

 

Aufbruch war auch das Stichwort am Ende der Veranstaltung.

Die TeilnehmerInnen machten sich auf den Weg in ihre Pfarren, kategoriale Bereiche und Familien. Bernhard Spielberg gab den Menschen einen Vorschlag mit auf den Weg: Nicht den Schulterschluss nach innen zu üben, sondern mit den Augen eines Fremden in die eigene Kirche zu schauen. Drei Punkte stellte Hubert Windisch abschließend in den Raum: Erstens seine Ermutigung und die Lust, mit den KatholikInnen in Vorarlberg weiter  in Kontakt zu bleiben. Zweitens die Erinnerung, sich in allem pastoralen Wirken auf Jesus Christus zu konzentrieren, mit dem Wort Jesu: "Ohne mich könnt ihr nichts tun." Drittens die Ernüchterung, dass die griechische Wurzel des Wortes "Pfarrei" "Fremde" bedeutet. Christen sind auf eine gewisse Weise immer fremd.

Die Wünsche und Anregungen der Referenten zum Schluss des Pastoralgesprächs zum Nachhören als MP3-Audio: Dr. Bernhard Spielberg - Dr. Hubert Windisch

Alle Beiträge, Impulse, Referate und Statements werden demnächst in voller Länge (schriftlich) auf dieser Homepage zur Verfügung stehen. Die Thesen, die in die Zwischengespräche gehen, werden auch hier publiziert werden. Bei Bedarf können alle Unterlagen auch per Post zugesandt werden. Sie sind im Pastoralamt (T 05522 3485-209) zu beziehen.