Der junge, muslimische Architekt Kemal Cansiz (1994) aus Dornbirn plant mit Architekt Joachim Specht eine neue Moschee für ATIB Lustenau. Hans Rapp sprach mit ihm über Moscheen, Kirchen, islamische und Vorarlberger Architektur und das Projekt der neuen Moschee.

Sie haben unter anderem in Tokio Architektur studiert. Was hat Sie nach Tokio geführt?

Kemal Cansiz: Ich habe als Kind das große Marmara-Erdbeben in der Türkei 1999 erlebt, bei dem sehr viele Menschen ums Leben gekommen sind. Unter anderem auch Bekannte und Verwandte von mir. Das hat mich damals als Kind mit fünf Jahren sehr berührt. Da machte ich mir Überlegungen zum erdbebensicheren und menschengerechten Bauen. In diesen Bereichen sind die Japaner Vorreiter. Es gibt sehr dicht besiedelte Gebiete und die Häuser haben zugleich kleine Gärten. Es gibt auch große Parks. Tokyo ist eine Stadt, in der man extreme Pole zu sehen bekommt. Darüber hinaus sind die Japaner im Holzbau führend.

Wie sind Sie zum Projekt „Kulturzentrum und Moschee Lustenau“ (KUM) gekommen?

Kemal Cansiz: Es war schon immer mein Wunsch, eine Moschee zu gestalten. Mein Studium hat sich in der türkisch-muslimischen Gemeinschaft herumgesprochen. Ich habe auch einen Onkel in Lustenau, der hier sehr präsent ist. Über seine Kontakte zum Vorstand kam es zu einem Kennenlernen und einem Gespräch. Der Verein dachte schon länger an einen Neubau. Ich arbeitete knapp zwei Jahr lang ehrenamtlich Tag und Nacht an den Wochenenden und an den Abenden. Kurz vor der Baueingabe und der Intensivierung der Kontakte mit den Behörden habe ich bemerkt, dass das nicht mehr geht. So habe ich Jochen Specht kennengelernt und treibe das Projekt gemeinsam mit ihm als Projektgemeinschaft voran.

Was ist denn der Unterschied zwischen einer Kirche und einer Moschee?

Kemal Cansiz: Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten und einige wenige Unterschiede. Wenn ich eine Moschee und eine Kirche betrachte, sehe ich, dass sich die Kirche baulich kompakter in die Höhe streckt. Eine Moschee verbreitet sich – abgesehen von den Türmen – eher in die Fläche. Auch innen gibt es viele Gemeinsamkeiten: das Spirituelle, das Spiel von Licht und Schatten. Wenn man in eine Moschee hineinkommt, zieht man sich erst einmal die Schuhe aus. Dadurch entsteht bei mir der Eindruck, ich bin an einem wohnlichen Ort. Das ist wie zuhause. In eine Kirche komme ich hinein und plötzlich entsteht durch die Sakralarchitektur ein „Wow“-Effekt und ich bin direkt im Geschehen. Dadurch ist die Kirche sehr öffentlich geprägt.

Dürfen auch Nicht-Muslime die Moschee betreten?

Kemal Cansiz: Alle Menschen dürfen in die Moschee. Natürlich mit Respekt. Man zieht sich die Schuhe aus, damit die Reinheit nicht verloren geht. Falls es Betende gibt, sollte man sich natürlich auch leise unterhalten. Aber das gilt für alle Menschen. Nicht nur für Nicht-Muslime. Da spielt wieder unser Projekt KUM in Lustenau eine sehr wichtige Rolle. Wir möchten mit dem Projekt bewirken, dass die ATIB Lustenau den Glauben so repräsentiert, wie er ist: offen und einladend. Beim KUM in Lustenau wird es so sein, dass alle Räumlichkeiten, außer der Gebetsraum, mit Schuhen betreten werden können. Wir hoffen, dass das unter anderem in weiterer Schritt der Öffnung sein wird.

Was gehört notwendigerweise zu einer Moschee, was darf nicht fehlen?

Kemal Cansiz: Wenn man es ganz genau nimmt, dann hat eine Moschee nur ein Kriterium zu erfüllen. Sie muss ein sicherer, sauberer, hygienischer Raum sein. Alle weiteren Bestandteile bzw. Merkmale einer Moschee sind im Grunde eine Aufwertung dieses Raumes. Die erste Moschee, die Prophetenmosche, war tatsächlich nur eine Außenfläche, die mit Mauern umrahmt war. Alle anderen Elemente kamen im Lauf der Zeit dazu. Der Mihrab (Gebetsnische) gibt zum Beispiel die Gebetsrichtung vor. Dann kommt die Minbar dazu (Kanzel): Das ist eine Treppe, auf der der Prediger an den Freitagen steht und von einer erhöhten Position aus seine Predigt hält. So wird er im ganzen Raum gehört. Früher gab es keine Mikrofone. Auch eine Kuppel ist eine Aufwertung des Innenraums. So wirkt der Raum großzügiger und die Atmosphäre wird besser.

Sakralbauten haben immer mit Ästhetik und Schönheit zu tun. Sie sollen das Göttliche repräsentieren. Sie müssen nach außen strahlen.

Kemal Cansiz: An dieser Stelle kann ich drei Hadithen (Worte des Propheten, die nicht im Koran stehen) erwähnen. Muhammad sagt: die Hauptverantwortung des Menschen auf der Welt ist es, die Welt zu verschönern. Er sagt auch: was auch immer ihr macht, alles entspricht eurem Glauben. Das ist ein sehr kritischer Satz. Menschen sollen sich verantwortungsbewusst verhalten und verantwortungsbewusst gestalten. Der dritte Satz lautet: Allah ist schön und liebt das Schöne. Da kommt man nicht weg von der Ästhetik.

Und der Turm?

Kemal Cansiz: Der Turm entstand dadurch, dass der Muezzin hochging und den Gebetsruf ausübte. Der Gebetsruf ist aber nicht die einzige Funktion der Minarette: Wie auch bei Kirchtürmen soll das Gotteshaus durch das Minarett als Sakralbau erkennbar werden. Der Turm in Lustenau, der keine charakteristischen Merkmale eines klassischen Minaretts aufweist und somit von uns auch nicht als „Minarett“ bezeichnet wird, wird leer sein. Der Grund dafür ist, dass wir keine Bedenken wegen Muezzin und Gebetsrufen erwecken möchten.

In muslimischen Ländern, wie etwa dem Iran, ist die Moschee ja auch ein Aufenthaltsraum.

Kemal Cansiz: Moscheen sind multifunktional. Sie können Herbergen, soziale Einrichtungen, Ausbildungsstätten und anderes sein. Der türkische Name „Camii“ kommt vom arabischen Game’a und er bedeutet „Gemeinschaft“. Man kommt dort auch außerhalb der Gebetszeiten zusammen: um zu plaudern, um etwas zu besprechen. Menschen suchen Hilfe, Zuflucht, essen oder übernachten hier. Es ist ein leerer Raum, wo man fast alles machen kann.

Gibt es eine eigene „islamische“ oder nicht eher eine türkische oder iranische Architektur?

Kemal Cansiz: Von EINER islamischen Architektur kann man nicht reden. Die islamische Architektur beherbergt viele unterschiedliche Architekturstile. Sie haben aber wesentliche gemeinsame Merkmale. Raumgestaltung, Kalligraphie, Farben verschiedener Bedeutung, aber auch Material oder Techniken. Abgesehen von diesen formalen und gestalterischen Merkmalen beruht islamische Architektur auf den ideellen Prinzipien des Glaubens und der islamischen Philosophie. Aber es geht ja nicht nur um Moscheen. Islamische Architektur ist viel mehr. Die islamisch geprägte Architektur betrifft genauso Wohnbauten, Bibliotheken oder Schulen. Nachhaltigkeit ist in der islamischen Tradition beispielsweise sehr wichtig. Dazu dienen Gärten, Plätze und Höfe in oder an den Gebäuden. Viele Beispiele der so genannten modernen Architektur wie wir sie heute kennen, mit dem alleinigen Ziel wirtschaftlicher Profite, ist auf keinen Fall eine islamische Architektur.

Wie sehen die Moscheen in Vorarlberg aus?

Das sind hauptsächlich umgebaute Fabrikshallen. Die Lustenauer Moschee war eine Vorhangfabrik. Auch die ATIB Dornbirn war ein Fabrikshalle. Die ATIB Bregenz war dagegen vorher ein Restaurant. Es gibt auch Beispiele, wo Moscheen aus Wohnhäusern entstanden sind. Die Räume dort sind klein. Die Generation, die damals gekommen ist, hat von Null aus etwas mit eigenen Mitteln aufgebaut. Davor habe ich großen Respekt. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo es mehr Mitglieder sind und sich die finanzielle Lage der Vereine durch die Mitgliedsbeiträge und den Erwerb von Liegenschaften verbessert hat. Man kann sich jetzt auch Neubauten leisten. Das ist eine neue Ära in Europa. Dadurch ist es interessant, neue Lösungen zu finden und auf diese Herausforderungen zu reagieren.

Wie schaut Ihre Lösung für Lustenau aus?

Kemal Cansiz: Die Lösung für Lustenau heißt, dass man auf keinen Fall eine klassische islamische Architektur 1 zu 1 nach Vorarlberg kopiert, sondern dass man eine Lustenauer Moschee schafft, die gleichzeitig Bezug zur Geschichte aufnimmt. Wir haben unser Gebäude nicht wie üblich nach Mekka orientiert, sondern an der Straßenführung. So fügt es sich optimal ein. Wir haben den Gebetsraum im Inneren nach Mekka gedreht. Auch die einfache kubische Formensprache, die sich auch im Turm zeigt, würde ich so sehen. Es gibt Bögen, Arkaden, die wir unter anderem auch in der Feldkircher Altstadt finden. Es gibt ornamentale Holzlamellen vor den Bogenfenstern (Maschrabiyya), die einen muslimischen Hintergrund haben, die aber als Sonnen- und Sichtschutz auch in Vorarlberg sehr verbreitet sind. Die Kuppel ist ein spezielles Element, das vorwiegend in der islamischen Welt zuhause ist. Wir verkleiden sie mit österreichischen Biberschwanz- Ziegeln wie am Stephansdom oder am Dornbirner Marktplatz. Der Gebetsraum ist ein eingefügter Holzbaukörper. Holzbau ist sehr eng mit dem Land verbunden. Ebenso die Vorhänge aus Lustenau, die im Gebetsraum geplant sind. So haben wir es geschafft, wirklich eine Moschee zu schaffen, die nirgendwo anders stehen könnte als in Lustenau.

Frauen und Männer beten meist getrennt. Wird das in der neuen Moschee in Lustenau auch so sein?

Kemal Cansiz: Bei manchen Moscheen beten die Frauen auf einer Empore oder im hinteren Bereich einer Moschee. Männer sind vorne bzw. unten. Diese Trennung gab es früher auch in den Kirchen. Frauen und Männer saßen getrennt. In Lustenau soll es keine Benachteiligung für Frauen geben. In vielen Moscheen sind die Frauen ganz entkoppelt. Sie beten beispielsweise in getrennten Räumlichkeiten und bekommen das Geschehen kaum mit. In Lustenau gestalten wir einen großen Raum mit einer Galerie. Die Frauen können erhöht Platz nehmen und können am Geschehen akustisch und visuell teilnemen. So werden sie nicht benachteiligt.

Wie wird der Bau finanziert?

Kemal Cansiz: Das Projekt wird durch die Mitgliedsbeiträge der Gemeinde finanziert. Das Geld kommt aus einem Kredit einer Vorarlberger Bank. Die Rückzahlungen erfolgen über Mitgliedsbeiträge und den zu erwartenden Mieteinnahmen von künftigen Wohnungen im Bestand und Geschäften im Erdgeschoss des Neubaus. Nach dem Neubau sollen im alten Gebäude Wohnungen geschaffen werden. In dieser Hinsicht denken wir nachhaltig.

Wo steht der Prozess jetzt?

Kemal Cansiz: Wir warten im Moment auf eine Baugenehmigung. Vor etwa sieben bis acht Monaten haben wir das Projekt eingereicht. Jetzt hat die Gemeindevertretung beschlossen, dass für einen solchen Bau als publikumswirksame Veranstaltungsstätte eine Sondergenehmigung nötig ist. für uns zwar unerwartet, aber wir kommen klar damit. Das Projekt benötigt sehr viel Energie. Wir wissen, dass wir zukunftsorientiert bauen und bisher nichts falsch gemacht haben. Wir werden die bisherige kommunikative und offene Strategie weiterführen. «

Weitere Informationen: https://kum.atiblustenau.at