Eine christliche und eine muslimische Theologin tauschten sich in Bregenz im Rahmen der Veranstaltungsreihe „ChristInnen und MuslimInnen“ über ihre Frauen(vor-)bilder aus und entdeckten dabei viel Gemeinsames. Eingeladen hatten die Katholische Kirche in Bregenz, der Moscheenverein ATIP Vorarlberg und die Stadt Bregenz.

Wo sind die Frauen?

Zweimal musste die Veranstaltung aufgrund von Corona abgesagt werden. Vergangenen Freitag konnte sie stattfinden. „Wo sind die Frauen? Was haben sie für eine Rolle in den Religionen? Und wo sind die Frauen heute? Und wo sollten sie sein?“. Mit diesen Worten leitete die Bregenzer Vizebürgermeisterin Sandra Schoch das Gespräch im Alten Landtagssaal ein. Auffallend viele junge Musliminnen waren gekommen. Sie prägten mit ihren Kopftüchern das Gesamtbild der Veranstaltung. Mit den Theologinnen Ursula Rapp (KPH Edith Stein) und Canan Bayram (KPH Krems-Wien) standen zwei kompetente Gesprächspartnerinnen auf dem Podium. Ursula Hillbrand moderierte das Gespräch.

Unter dem Zeichen des Dialogs

Die Veranstaltung stand unter dem Zeichen des Dialogs. „Dialog ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt und wo mir auch das Herz aufgeht. Dialog kann dort entstehen, wo Begegnung geschieht. Begegnung von Herz zu Herz, die grundsätzlich davon ausgeht, dass wir alle sehr verschieden sind und gleichzeitig davon ausgeht, dass wir uns alle sehr ähnlich sind. So kann ich im Austausch mit anderen immer wieder etwas von meinem Gott neu entdecken“, leitete Thomas Berger-Holzknecht als Vertreter der Katholischen Kirche in Bregenz die Veranstaltung ein. Und auch der Vertreter von ATIB, Halil Calim, betonte die Bedeutung des Dialoges zwischen den beiden größten Religionsgemeinschaften im Land: „Die Einheit in dieser gesellschaftlichen Vielfalt muss sichtbar gemacht werden. Das ist die Motivation der Veranstaltung“.

Spüren, was in mir ist

Frauen brauchen Klarheit, Mut und Kreativität, um sich der eigenen Lebensaufgabe zu stellen, stellt Ursula Rapp fest. Das gilt nicht nur für Religion und Spiritualität. Sie selbst hatte in ihrer Jugend kein weibliches christliches Vorbild. Als Theologin fand sie aber ihre Kraft, als sie für sich die feministische Theologie entdeckte. Im Theologiestudium lernte sie die Lehrsätze brav, doch existentiell musste sie sich in das männlich geprägte theologische Lehrgebäude eher hineinbiegen. Nun war sie aber als Frau gefragt: was sie sagte und lebte, hat einen neuen Ernst bekommen.

Krise als Anlass

Bei der muslimischen Theologin stoßen gesellschaftliche Schranken und die damit verbundene persönliche Krise eine Entwicklung an. Canan Bayram sah sich als unpolitische achtzehnjährige Studentin an der Universität mit einem Kopftuchverbot konfrontiert. Damit war ihr das Studium verwehrt. Männer, die gleich dachten wie sie, hatten dieses Problem nicht. Sie konnten zwar Mitgefühl zeigen, aber ab einem bestimmten Moment konnten sie sie nicht mehr unterstützen, wie sie es nötig hatte. „Und dort zum ersten Mal verstand ich: die Frauensache können wir Frauen anpacken. Das Patriarchat ist ein allgemeines Problem. Das war die Erkenntnis, die ich als Frau hatte“.

Frauen in der Geschichte sichtbar machen

Frauen wurden in der offiziellen Geschichte der Religionen weitgehend ausgeblendet. Man stößt im Islam zwar immer wieder auf einige Frauen aus der Frühzeit: zwei Ehefrauen und eine Tochter des Propheten. Dann ging es aber oft nicht weiter. Waren das nur Ausnahmen? Wir hören eine His-Story („seine Geschichte“ – die Geschichte von Männern) - was ist mit „Her-Story“ („ihrer Geschichte“ – der Geschichte von Frauen), fragt sich Bayram. Gibt es die nicht? Oder gibt es sie und sie war bisher einfach nicht interessant genug? Aus dieser Frage entwickelte sich ihr Forschungsinteresse. Sie begann, über Frauen in der islamischen Tradition zu forschen und entdeckte: es gab sie. Doch ihre Geschichten waren bisher nicht interessant. Die Forscher hatten sich bisher vor allem für die Geschichte der Herrscher, ihre Politik und ihre Kriege interessiert. Dieses Interesse verändert sich in der Gegenwart.

Kultur der Beziehung

Eine ähnliche Erfahrung machte auch Ursula Rapp. Viele Frauen in den unterschiedlichen christlichen Konfessionen stehen für eine Kultur des Friedens und der Beziehung. Diese Kultur ist eine andere als die Kultur des Krieges, die meist im Mittelpunkt der Geschichtsbücher steht. Deshalb sind weibliche Vorbilder für Rapp so wichtig: weil sie für die Bedeutung von Nähe, Pflege und Verlässlichkeit stehen. Als Beispiel einer solchen Frau verweist Rapp auf Katharina von Bora, die Ehefrau Martin Luthers. Sie hatte sich im 16. Jahrhundert den Mut, ihren künftigen Ehemann frei zu wählen. Später führte sie ein Leben, in dem der Einsatz für Kranke und Arme im Mittelpunkt stand.

Die Erfahrung von Frauen müssen ernst genommen werden

Bayram hatte sich während ihres Studiums mit Geschlechterforschung beschäftigt. Sie machte aber im Lauf der Zeit die Erfahrung, dass dies ein Randthema der islamischen Theologie war. Deshalb hat sie sich entschieden, sich auf islamisches Recht zu spezialisieren. Auch in diesem Bereich gab es Frauenvorbilder. Zum Beispiel Fatima bint Abbas. Sie lebte im 13. Jahrhundert in Ägypten und ging in die Geschichtsbücher ein, weil sie mit einem Rechtsgelehrten einen öffentlichen Disput um die Menstruation der Frau hatte. Frauen müssen nach der Menstruation eine rituelle Reinigung durchführen. Sie beruft sich aber darauf, dass sie als Frau über eine unmittelbare Erfahrung verfügte, die ihm als Mann nicht zugänglich war. Die Kommentare merken an, dass Fatima damit den Disput gewonnen hat. „Erfahrung ist wichtig und nur wir Frauen können über unsere Erfahrungen sprechen. Wenn wir sagen, wir sind gekränkt und wir fühlen uns benachteiligt, muss das ernst genommen werden“ fordert Canan Bayram.

Gott im Körper erfahren

Das Thema des Körpers ist auch in der Katholischen Kirche wichtig, betont Ursula Rapp. Frauen haben keinen Zugang zum Priesteramt. Dabei spielt das Thema der Menstruation ebenfalls eine Rolle. Umgekehrt stellt sich die Frage, welche spezifischen religiösen Erfahrungen Frauen machen und wie diese Erfahrungen eingebracht werden können in einer Glaubensgemeinschaft, in der Männer und ihre Erfahrungen im Mittelpunkt stehen. „Ich erfahre Gott auch körperlich, weil Gott auch in meinem Körper wohnt“.

Frauen als Mystikerinnen

In beiden Religionsgemeinschaften spielten Frauen in der Mystik eine herausragende Rolle. Eine der bekanntesten islamischen Mystikerinnen ist Rābiʿa al-ʿAdawiyya. Es gab aber viele andere. Zum Beispiel Nafisa bint al-hasan, eine Urenkelin des Propheten. Zu ihrem Grab pilgern noch heute täglich etwa 1000 Menschen. Sie lebte in einer Zeit großer politischer Unruhen. Jeder wollte, dass sie sich positioniere. Sie weigerte sich, das zu tun und zog sich zurück. Und gerade in diesem Rückzug und ihrer Askese wurde sie stark, dass sie noch heute wirkt. Sie wurde auch in ihrer Zeit von bedeutenden Männern verehrt.

Frauen sind auch in der christlichen Mystik bedeutend, bestätigt Ursula Rapp. In der frühen Kirche gab es auch noch Frauen, die noch in der Verkündigung tätig waren. Das wurde dann mehr und mehr eingeschränkt. Prophetinnen aber gab es noch längere Zeit. Das sind Menschen, die Offenbarungen empfangen. Darum wurde die Mystik zum weiblichen Weg, sich theologisch zu äußern. Denn ihre Visionen konnte ihnen niemand verwehren. Beispiele für solche Frauen sind Theresa von Avila, Hildegard von Bingen oder Mechthild von Magdeburg.

Viele Gemeinsamkeiten

Während der etwa 90 Minuten des dichten Gespräches zeigte es sich, dass es zwischen den beiden Referentinnen tatsächlich viel an Übereinstimmung gab. „Meine fruchtbarsten Gespräche hatte ich mit katholischen, protestantischen Frauen, die feministische Theologie betrieben haben. Es ist dieses Geschwisterliche, das einen verbindet“ bekennt Canan Bayram. Dies ist an diesem Abend deutlich spürbar geworden.