Mag. Thomas Berger-Holzknecht arbeitet in der Gemeindeleitung der Pfarre Bregenz-Mariahilf und in der Kirchenentwicklung. In den vergangenen Jahren war er Leiter der Initiative „Neu.Land!“. Im Interview spricht er über die Balance von Sicherheit und Lebendigkeit, über neue Wege in der Pastoral und wie die Kirche in 20 Jahren aussehen könnte.

Herbert Rosinger

Herr Mag. Thomas Berger-Holzknecht, seit Sommer vergangenen Jahres arbeiten Sie in der Gemeindeleitung der Pfarre Bregenz-Mariahilf. Welche Schwerpunkte, Highlights und Herausforderungen ergeben sich für Sie mit dieser Aufgabe?
Thomas Berger-Holzknecht: Eine Herausforderung besteht sicher darin, in einer Zeit voller Unwägbarkeiten meine Funktion, die es bisher noch nicht gab, einzunehmen und ein neues Leitungsmodell mit Leben zu füllen. In Sachen Corona geht es mir darum, eine gut verantwortbare Balance zu finden zwischen Sicherheit auf der einen und Lebendigkeit auf der anderen Seite. Und immer ist es wichtig, im Rahmen des Möglichen den Kontakt zu suchen und Hoffnung und Zuversicht zu streuen. Deshalb haben wir in Mariahilf dazu aufgerufen, Alleinstehende regelmäßig anzurufen und zu fragen „Wie goht’s dir?“ „Hoffnung“ war auch der rote Faden, der sich durch unsere Fastenzeit gezogen hat. Die Impulse, die wir in der Kirche zum Mitnehmen und Weiterschenken aufgelegt haben, wurden erfreulich gut aufgenommen. Schon in der Adventszeit haben wir überrascht festgestellt, wie viele Menschen in die Kirche gehen, auch wenn keine Gottesdienste gefeiert werden können. Ein weiteres Highlight meiner Zeit hier ist die Zusammenarbeit im Leitungsteam der Katholischen Kirche in Bregenz und unsere Gespräche darüber, welche Zukunft wir uns für diese Kirche wünschen. Daraus haben wir ein gemeinsames, kraftvolles Leitbild erstellt, an dessen Umsetzung wir in den nächsten Jahren arbeiten werden.

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Entwicklung in den Pfarrgemeinden aus? Gibt es Entwicklungspotential und welche Chancen sehen Sie, neue Wege zu gehen?
Berger-Holzknecht: Ich gehe davon aus, dass es die Kirche und die Pfarrgemeinden aus einem guten Grund gibt: Weil Gott etwas Gutes und Segensvolles für die Menschen in unserem Land bewirken will. Wenn wir diesem Auftrag treu bleiben wollen, müssen wir im Wandel der Zeit und der Gesellschaft immer wieder neu aufbrechen: wie Abraham und Sarah, wie Moses und Mirjam, wie Jesus und seine Freundinnen und Freunde. Zur Chance wird so ein Aufbruch, wenn meine Talente und meine Leidenschaft, die ich für die gute Sache Gottes einsetze, auf stimmige Weise zusammentreffen mit der Not oder mit dem Bedürfnis eines Menschen, der mir begegnet. Dabei macht es - wie ich glaube - für die Liebe Gottes keinen Unterschied, welchen religiösen oder kulturellen Hintergrund dieser Mensch hat. Mit der Initiative „Neu.Land!“ möchte die Katholische Kirche Vorarlberg engagierte Kirchen-Pionier/innen ermutigen und begleiten, dass sie zu den Menschen aufbrechen, die sich in unserer Pfarre fremd fühlen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott schon dort ist. Und für und mit diesen Menschen können wir ganz neue Formen von „Kirche-Sein“ (er-)finden.

Sich mit dem Thema „Neuland“ zu beschäftigen und neue Wege zu gehen, weckt Neugier und braucht auch Mut, bedeutet Aufbruch. Was braucht es, um Menschen zu ermutigen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, Gott und die Kirche neu zu entdecken, neue Wege zu finden?
Berger-Holzknecht: Auf jeden Fall braucht es ein großes Herz für ganz konkrete Menschen, die sich bei uns fremd fühlen. Oft hilft die produktive Energie, die aus meiner eigenen Unzufriedenheit darüber, wie wir Pfarre und Kirche momentan leben, kommt. Und es braucht Gottvertrauen: Gott ist der Ich-bin-da, mitten unter den Menschen, zu denen ich aufbrechen möchte. Ich kann ihn mit offenen Augen und Ohren und offenem Herzen dort entdecken und mich von ihm überraschen lassen. Und ich darf vertrauen, dass er meine Wege mitgeht, auch die Umwege und Fehlversuche.
Hilfreich scheint mir, Geschichten zu erzählen und Beispiele zu zeigen von christlichen Gemeinden, die diesen Aufbruch ins Neuland schon gewagt haben. So können Ideen entstehen, die in das eigene Umfeld passen. Und hilfreich ist die Vernetzung mit anderen, die sich auf diesen Weg machen. Deshalb werden wir in Arbogast ab Oktober einen ersten Kurs für Kirchenpionier/innen starten. Die Zeit der einsamen Wölfe ist vorbei.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Seelsorge/Pastoral in den nächsten 10, 25 und 50 Jahren Ihrer Meinung nach entwickeln? Mit welchen Veränderungen werden wir konfrontiert werden?
Berger-Holzknecht: Wenn wir mit einer Zeitmaschine in die Zukunft springen könnten, würde uns einiges noch recht bekannt vorkommen. Es wird weiterhin lebendige Orte in Vorarlberg geben, wo fröhlich gebetet und gefeiert wird, wo das Leben und der Glaube geteilt werden und die Liebe Gottes sich glaubwürdig in konkreten Handlungen der Nächstenliebe zeigt. Die Menschen, die hier zusammenkommen, werden aber vielfältiger sein als heute. Und damit werden auch die Formen, wie sie nebeneinander und einander ergänzend feiern, bunter und unterschiedlicher. Je nach Gruppe, die sich trifft, hören wir andere Musik, ist die Raumatmosphäre anders gestaltet, sind die Dauer, die Häufigkeit und der Zeitpunkt der Feiern unterschiedlich. Neben den lebendigen Gottesdiensten mit hoher Beteiligung und Austausch gibt es stille, meditative und sehr schlichte Andachten. Neben der Orgel, dem Chor, den David- und den Taizéliedern hören wir vielleicht Jazz, Rock, Metal, HipHop oder Schlager. Die einen treffen sich in der Kirche, andere in Wohnzimmern und wieder andere in der Natur. Und neben diesen Gottesdienstgemeinden erwarte ich mir ganz neue Gruppen und sogar neue Gemeinden, die die Angebote der klassischen Pfarrgemeinden gut ergänzen werden. Die einen bilden vielleicht neue, verbindliche Gebetsgemeinschaften, ähnlich wie in einem Kloster, haben aber Familie und gehen normal zur Arbeit. Andere Gemeinden bilden sich um ein soziales Anliegen, wie z.B. um „Tischlein deck dich“ oder Kinder in einer Sozialbausiedlung zu unterstützen. Hauptsache relevant, Hauptsache ein Segen, Hauptsache mehr Freude und Gemeinschaft. Hauptsache die Liebe Gottes erreicht die Menschen.

Welchen Stellenwert nehmen nicht geweihte Mitarbeiter/innen in den Pfarrgemeinden ein und wie steht es um hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeit im Allgemeinen?
Berger-Holzknecht: Der Hauptteil an Energie für diese neuen Formen von „Kirche-Sein“ kommt von den Getauften, die ihre Talente und ihre Erfahrungen mit großer Leidenschaft in ihrer Freizeit für die Sache Gottes einsetzen. Das ist übrigens jetzt schon so. Aber der Anteil wird noch steigen. Sie können und werden auch zunehmend die Letztverantwortung für die Pfarren und die anderen Gemeinschaften übernehmen. Wenn ich nach England schaue, wo die anglikanische Kirche schon seit 15 Jahren diesen Weg eingeschlagen hat, sehe ich, dass mit der Zeit zudem eine neue Gruppe von Pionier/innen sich zu pastoralem Fachpersonal ausbilden lässt. Aber die Rolle der Priester und hauptberuflichen Mitarbeiter/innen liegt vor allem in der fachlichen Unterstützung und Begleitung des Engagements der Freiwilligen. Weil unsere Gesellschaft so vielfältig ist, brauchen wir diese Vielfalt der Freiwilligen und die Hauptamtlichen und Priester dürfen hier nicht zum Flaschenhals werden.

Was wünschen Sie für sich selbst bzw. für die Pfarrgemeinde Mariahilf und die Kirche im Allgemeinen?
Berger-Holzknecht: Dass wir uns der Sache Gottes, seiner Heils- und Segensgeschichte, anschließen und in unserem Land, an unserem Ort daran mitwirken. Dass wir dabei unsere Talente, Begabungen und Erfahrungen mit Freude ins Spiel bringen. Dass wir bei den Menschen, die sich jetzt in unseren Pfarren fremd fühlen, neue Freund/innen finden und mit ihnen neue Orte und Formen des „Kirche-Seins“ finden und erfinden. Denn es könnte sein: Das Beste liegt noch vor uns…

Thomas Berger-Holzknecht

Thomas Berger-Holzknecht scheut sich nicht vor Veränderungen und schaut positiv in die Zukunft.

 

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 16 vom 22. April 2021)