Dirk Fey und Stephan Möllemann-Fey sind evangelische Pastoren. Das ist an sich noch nichts Außergewöhnliches. Dass sie ein Pastorenehepaar sind, ist schon spezieller und dass sie früher einmal katholische Ordensmänner waren, lässt doch aufhorchen. Auf Einladung des DAHOP – Diözesaner Arbeitskreis für Homosexuellenpastoral – kamen sie für einen Begegnungsabend nach St. Arbogast. Dort wurde erzählt, gefragt und beantwortet.

Die Kirche, die Religion – spielte das für Sie immer schon eine Rolle? Oder, anders gefragt, wie sind Sie aufgewachsen und wann und wo kam die Kirche ins Spiel?

Stephan Möllemann-Fey: Aufgewachsen bin ich im Münsterland, in einer sehr ländlichen Gegend. Unser Dorf hatte 6000 Einwohner. Man kannte sich. Aufgewachsen bin ich, wenn man das so sagen will, mit der ganz typischen Prägung der 80er Jahre. Jutesack und Co waren für mich keine Fremden. Ich weiß auch noch, dass ich, als ich noch wirklich klein war, immer schon fasziniert war von der Kirche. Ich wollte da unbedingt zum Altar hin und konnte es kaum erwarten, dass ich endlich Ministrant werden durfte.

Dirk Fey: Ich bin etwas weiter südlich aufgewachsen. In einem Dorf mit rund 1000 Einwohnern. Das Leben dort war geprägt von einer eher konservativeren Volkskirche. Und gleichzeitig war da mein Großvater, der an AIDS verstorben ist. Mein Großvater war schwul. Er war verheiratet. Meine Großmutter wusste, dass ihr Mann homosexuell war. Für die Eltern meines Vaters erfand man aber eine Leukämieerkrankung, als mein Großvater krank wurde. Das war so der Rahmen, in dem ich aufgewachsen bin. An der Kirche fasziniert haben mich in erster Linie die Pastoren, bei uns in Deutschland sagt man ja Pastor. Und da hat mich vor allem beeindruckt, wie man mit ihnen umging.

Kirche hatte also für Sie beide durchaus etwas Faszinierendes an sich?

Möllemann-Fey: Ja, definitiv. Nur ein Beispiel dafür: Mein Vater war Bauer. Er hatte große Hände, mit denen er viel und hart arbeitete. Und dieser große Mann, ich habe ihn als Kind zumindest groß in Erinnerung, machte sich in der Kirche ganz klein. Das beeindruckte mich. Und dann natürlich unser Pastor. Er war ein Mann, der uns zeigte, wie und dass man Kirche gestalten kann. Das faszinierte mich, das wollte ich auch. Dafür musste ich aber zuerst das Abi nachholen. Ich war da auch der erste in meiner Familie mit derartigen Plänen und um das alles schulisch zu schaffen, kam ich ins Internat. Dort lernte ich Dirk kennen.

Fey: Ja, wie soll ich sagen: Mein Verhältnis zu meinem Vater war ein gutes. Nur, als meine Noten sich eher nicht besserten, war hier Handlungsbedarf gegeben. Ich ging also auch aus dem Grund ins Internat, um den Notenschnitt aufzubessern und wieder für bessere Stimmung bei meinem Vater zu sorgen.

Es war, muss man dazu sagen, ein an ein Kloster angeschlossenes Internat. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Möllemann-Fey: Das Kloster hat mir das Gefühl von Heimat gegeben. Wir haben viel gelernt, auch über uns. Wir konnten unsere Stärken ausprobieren und haben auch entdeckt, wo unsere Schwächen liegen. Ja, wie soll ich sagen, wir waren natürlich in der ersten Zeit im Kloster auch begeistert. Da gab es einen kleinen Minivan und mit dem ist dann eine Gruppe von uns durch die Lande gefahren, um auf Jahrmärkten oder Kirchweihfesten unser Lager aufzuschlagen und zu verkünden. Das fand ich toll. Nein, ich fühlte mich wirklich gut. Im Internat habe ich ja auch Dirk kennengelernt und auch einige andere, die dann ins Kloster sind.

In der Zeit vor dem Eintritt ins Kloster, war Ihre Homosexualität da ein Thema? Wie sind Sie damit umgegangen?

Fey: Wie bin ich damit umgegangen… Dass ich homosexuell empfinde, das war mir schnell klar. Im Internat trifft man ja auch andere junge Männer mit den gleichen Empfindungen. Und es war Stephan und mir auch bald klar, dass wir theoretisch- und auch praktisch - gut zueinander passen würden. Es war uns aber auch bald klar, dass wir in der damaligen Gesellschaft kaum als homosexuelles Paar leben können. Also war für mich klar, dass es für mich der Weg mit der Kirche sein würde. Sobald wir von unserem Entschluss ins Kloster zu gehen sprachen, wurden wir auch nicht mehr von außen auf unsere Sexualität angesprochen. Die typischen Fragen wie: Warum hast du keine Freundin? Warum bist du nicht verheiratet? Meine Homosexualität war eher ein Thema in der Beichte, also im forum internum. Und dann kam das Jahr 2005. Damals hatte Papst Benedikt erlassen, dass homosexuelle Männer nicht zu Priester geweiht werden dürften. Das hat mich innerlich gespalten. Ich wusste nicht mehr, ob ich liberal oder konservativ war.

Möllemann-Fey: Für mich war es ab 2005 teilweise kaum mehr möglich, mit dieser Spannung umzugehen. Uns war klar, dass wir den Weg in den Orden gehen wollten. Aber ich konnte auch nicht gegen meine Empfindungen leben. Dass ich schwul war, wusste ich schon sehr früh. Schon mit 12 habe ich das einmal meinem Vater gesagt. Die Antwort war eher kurz. Im Noviziat habe ich mich dann mit meiner Sexualität auch ausgesöhnt. Ein Heterosexueller muss ja auch den Zölibat leben, habe ich mir da gesagt. Und ich musste auch damit umgehen, dass ich genau daran eben auch scheitere. Es ging nicht. Dann kam das schlechte Gewissen, dass man etwas verheimlicht, dass man es wieder nicht geschafft hat.

Wie ging es dann für Sie weiter?

Fey: Wir sind im Orden schnell in der Hierarchie gestiegen. Das ist jetzt oft so. Ob das für einen jungen Menschen gut ist, wenn das so schnell geht, weiß ich nicht. 2008 war ich mit 30 Jahren schon Leiter eines Exerzitienhauses. Stefan war stellvertretender Provinzial.
Mir war wichtig, dass ich als Leiter eines Exerzitienhauses, der auch selbst Exerzitien leiten sollte, dementsprechend ausgebildet wurde. Also haben wir Ausbildungen gemacht. Und immer kamen dieselben Kritikpunkte gegenüber der Kirche, den Priestern etc. Ich war so genervt davon. Und eines abends habe ich zu Stephan gesagt: „Und das Schlimmste ist: Sie haben sogar recht mit ihrer Kritik.“

Wann war für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie für sich entschieden haben, dass es so nicht mehr weitergehen kann?

Fey: Das war der Tag, an dem wir erfahren haben, dass ein Angestellten des Kloster – kein Ordensmann, ein Angestellter - entlassen werden sollte, weil er öffentlich mit einem Mann leben wollte. Er sollte nicht einmal eine Abfindung erhalten. Da war für uns klar, das geht für uns so nicht.

Möllemann-Fey: Wir haben sogar in der Gemeinschaft nach Lösungen und Wegen gesucht. Wir haben darauf hingewiesen, dass Klöster und Orden in der Geschichte schon oft Orte waren, die einen anderen Weg gewählt haben. Aber es ging nichts. Der Mann war auch Teil der Laiengruppe unseres Ordens und sogar aus dieser Gruppe sollte er entlassen werden.

Fey: Ich habe dann versucht, in der Gruppe über das Thema zu diskutieren. Es war nicht möglich. Da merkten wir, dass in dem Bereich von Kirche, in dem wir waren, Veränderung nicht möglich war. Da sagten wir uns: Gut, dann aber ohne uns.

Wie erlebten Sie den Abschied von Ihrer Gemeinschaft?

Fey: 2016 entschieden wir uns zu gehen und gingen dann zunächst ins Nichts.

Möllemann-Fey: Es war schwierig zu gehen. Meiner Kommunität durfte ich am Vorabend sagen, dass ich am nächsten Morgen gehen werde. Morgens um 8 musste ich das Haus verlassen. Da stand ich also. Hinter mir die geschlossene Tür, vor mir: nichts.

Wohin sind Sie gegangen?

Möllemann-Fey: Eine Freundin in Oberbayern hat uns eine Wohnung geliehen. Weil ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung. Beim Arbeitsamt sagte man uns, dass sie nicht zuständig seien für uns. Und so ging das hin und her.

Fey: Und dann kam uns die Flüchtlingswelle zu Hilfe. Plötzlich brauchte man Betreuer. So fanden wir also Arbeit. Zur Kirche gingen wir bewusst auf Abstand. Wir haben dann auch gemerkt, dass Kirche uns fehlt. Der barocke Prunk war für uns aber nicht mehr auszuhalten, obwohl wir noch wenig vorher mitten drin waren. Also haben wir uns in der protestantischen Gemeinde engagiert. Wir sind mit unserer Geschichte sehr offensiv umgegangen. Das schien aber für die Gemeinde in Ordnung zu sein und das war so ganz anders als die Homophobie, die wir kannten.

Und wie kam es vom reinen Engagement zum Pastorenehepaar?

Fey: Die Idee kam uns durch unsere Arbeit in der protestantischen Gemeinde. Also haben wir uns in der Nordkirche beworben. Als Antwort kam so etwas in der Art wie: „Wenn Sie bereit sind, Landpastoren in Mecklenburg oder Vorpommern zu werden, dann sollten wir uns treffen.“ Und nach einem Bewerbungsgespräch, einem  theologischen Kolloquium und drei Jahren Probezeit sind wir jetzt gewählte Pastoren in unseren Gemeinden. Ich am Land und Stephan in der Stadt.

Mit dem Ausstieg aus dem Kloster kam ja auch der Zeitpunkt, an dem Sie mit Ihren Familien über ihre Zukunft sprachen. Wie haben die reagiert?

Möllemann-Fey: Meine Eltern waren zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. Vielleicht habe ich das so auch gebraucht, um darüber reden zu können. Meine weitere Familie reagierte sehr gut. Beim nächsten Familientreffen war die erste Frage meines Onkel: „Wo ist der Dirk?“

Fey: Meine Großeltern väterlicherseits waren schon verstorben und mein Vater hatte am Beispiel seines Schwiegervater ja gesehen, was es hieß, sich immer verstellen zu müssen. Meine Mutter war überhaupt kein Problem und mit meinem Vater habe ich eine Wanderung gemacht. Dann war es gut. Meine Oma, also die Frau meines homosexuellen Großvaters, fragte dann nur: „Ja, wer ist das denn“, und ich konnte ihr antworten: „Oma, den kennst du schon seit 20 Jahren.“

Und heute, ist Ihr Privatleben Thema in Ihren Pfarren?

Fey: Am Land war das für die Gemeinde kein Problem. In der evangelischen Kirche muss sich der Pastor ja den Gemeindevertretern zuerst vorstellen, bevor sie darüber entscheiden, ob man Pastor in ihrer Gemeinde wird. Von daher war es für alle von Anfang an klar, dass Stephan und ich ein Ehepaar sind. In der Stadt, bei Stephan, gab es eine kritische Stimme. Aber auch da ist der Umgang inzwischen sehr freundschaftlich.

Möllemann-Fey: Ja, und bei mir ist es so, dass eher die Touristen, die den Gottesdienst besuchen, große Augen machen, wenn ich zum Beispiel in der Predigt aus unserer Ehe erzähle. Für die Gemeinde ist es kein Problem. Und wenn ich am Ende des Gottesdienstes an der Türe stehe und mich von den Gottesdienstbesucher/innen verabschiede, dann höre ich nicht selten, dass ich doch auch meinem Mann einen schönen Gruß bestellen soll.

Info DAHOP

Der Diözesane Arbeitskreis für Homosexuellenpastoral wurde 2015 in der Diözese Feldkirch ins Leben gerufen.
Angesiedelt ist der Arbeitskreis im EHE- und Familienzentrum der Diözese und wird von dessen Leiter, Mag. Edgar Ferchl-Blum, auch geleitet.

Das Grundlagenpapier des DAHOP finden Sie hier.