Kinder brauchen die schützende Hand ebenso wie Freiraum.

Niemand ist perfekt. Eltern schon gar nicht. Im Gegenteil. Perfekte Eltern sind ein echter Schicksalsschlag.

„Warum besuchen Sie als Mutter oder Vater dieses Elternseminar?“, lautete die Frage, die ich Teilnehmer/innen gestellt hatte. Die überwiegende Antwort der Mütter – weniger der Väter: „Ich möchte bei der Erziehung unserer Kinder alles richtig machen. Und ich möchte hier erfahren, wie das geht.“
Die „idealen“ Eltern sind jene, die jederzeit alle Grundbedürfnisse des Kindes wahrnehmen und „stets die sinnvolle Mitte“ ansprechen. Welche Mutter, welcher Vater bringt das zuwege? Dem Kind immer die richtige Dosis an Liebe, Zeit, Ansprache, Zuhören, Bewegung, Körperkontakt, Herausforderung, Ruhephasen, Weltbildorientierung und ausgewogener Ernährung anzubieten? Und trotzdem messen wir uns alle an Idealvorstellungen. Groß ist die Angst vor Fehlern und Schwächen.

Schwächen nicht vorgesehen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Fehler nicht vorgesehen sind. Schwächen und Unvollkommenheiten auch auszuhalten und zu seinen eigenen Irrtümern und denen seines Kindes zu stehen ist nicht immer leicht. Und wie sollen Kinder den Umgang mit Fehlern lernen, wenn die Eltern den Anspruch haben, immer alles richtig zu machen?
Abgesehen davon: Wie oft hat sich auch eine etwas schwierigere Kindheit und Jugendzeit im Nachhinein als Grundlage für ein erfülltes und erfolgreiches Leben erwiesen – weil man an den Schwierigkeiten und Hürden, die es zu überwinden galt, gewachsen ist.
Mütter und Väter, die mit einem Unfehlbarkeitsanspruch auftreten, sind eine große Belastung für die Kinder. Perfekte Eltern lassen keinen Raum für Fehler und eigene Erfahrungen und betreiben Erziehung als eine Art Hochleistungssport. Es dauert oft Jahre, bis man verinnerlicht hat: „Mein Kind ist nicht ich. Es hat eigene Talente und Schwächen.“
Es ist womöglich der schwierigste, schmerzhafteste, mit Sicherheit jedoch der wichtigste Lernprozess in Sachen Elternschaft: zu erkennen, dass wir unsere Kinder nicht dazu benutzen dürfen, unsere ungelebten Träume und Sehnsüchte zu verwirklichen.
Ein gutes Selbstkonzept entwickeln Eltern und Kinder nicht, wenn sie ständig unter Beobachtung stehen, sondern wenn sie sich Gefühle wie Hilflosigkeit, Ohnmacht und Scheitern eingestehen dürfen. Dann lässt sich auch dem Druck unserer leistungsorientierten Gesellschaft standhalten. Und unter Eltern wird plötzlich Solidarität möglich.

Den Anfang wagen. Man braucht nur den Anfang zu machen und in einer trauten Runde zu erzählen: „Im Moment komme ich mit unserem Sohn/unserer Tochter gar nicht zurecht. Geht es euch auch manchmal so?“ Fast immer kommt dann ein Gespräch in Gang, informativ, tröstlich und hilfreich. Wer stets ängstlich darauf bedacht ist, alles richtig zu machen, verweigert letztendlich Entwicklung und die Erkenntnis, dass Unvollkommenheit nun mal das irdische Los von uns Menschen ist. Tatsache ist: Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen Eltern, die bereit sind, sich mit ihnen weiterzuentwickeln.

 

Ingrid Holzmüller, Leiterin Ehe- und Familienzentrum, gibt Ihnen gerne nähere Informationen. Telefon 05522/74139