Jede Mutter, die einen Teenager ihr eigen nennen darf, weiß, dass der 16. Geburtstag kein Tag wie jeder andere ist. Vor, an und ab diesem Tag an wird manches anders sein.  Die Vorbereitungen auf dieses Event werfen  in unserer Familie schon im Sommer 2009 ihre Schatten voraus und beeinflussen unser gesamtes Familienleben.  Beispielsweise ist es sonnenklar, dass wir in den Herbstferien nicht wegfahren können, weil besagter Geburtstag genau dann stattfindet. Meine Vorstellung, dass wir zu dieses Ereignis zu dritt in einer schönen Hotelbar in einem kontrollierten Umfang feiern können, wird von Sohnemann entschieden abgelehnt. Den 16. Geburtstag mit Mama und Papa feiern? Das geht wohl gar nicht!  Großzügig bietet er uns an, wir könnten ja auch ohne ihn verreisen. Ein Wellnessurlaub würde uns beiden sicher gut tun. Während  der Vater dieses Knaben geneigt ist, dieses  uneigennützige Angebot  in Erwägung zu ziehen,  befinde ich:  „DAS geht wohl gar nicht!“  Zu viele haarsträubende Berichte und Erzählungen über ausgeartete Geburtstagsfeste, alkoholische Exzesse usw. sind mir da zu Ohren gekommen, als dass ich fernab von Zuhause einen Wellness-Urlaub auch nur annähernd genießen könnte.

Dem Sohn ist das herzlich egal. Nachdem zwei seiner besten Kumpels ebenfalls dieses magische Alter von 16 erreicht haben, beschließen sie zu dritt eine Party zu schmeißen.  Facebook sei Dank, haben sich auch gleich mal 70 Leute angemeldet.  Das bedeutet für die drei Geburtstagskinder bereits im Vorfeld einen hohen organisatorisch-logistischen Aufwand. Die Schule bekommt einen neuen Stellenwert. Aber nicht als Ort, wo Bildung stattfindet,  sondern  als unverzichtbarer Bestandteil für soziales Netzwerken. Meine dezente Anfrage, ob denn vor lauter Partyvorbereitungen auch mal ans Lernen und an die Hausaufgaben gedacht würde, wischt der Sohn mit einer Handbewegung vom Tisch: „Rechnungswesen, Bio, Englisch und so‘n Zeug habe ich wöchentlich. Aber der 16. Geburtstag, der findet nur einmal im Leben statt. Dass musst du doch verstehen.“ 

Mein Verständnis wird die nächsten Wochen auf eine harte Probe gestellt.  Nachdem der Sohn jedoch über ein unerschütterliches Selbstvertrauen verfügt und seit Jahren  „Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“  praktiziert, bleibt mir nur noch zu hoffen, dass die  Schulnoten nicht komplett in den Keller rasseln.

Gut, der 16. Geburtstag war wahrscheinlich schon zu allen Zeiten ein besonderer Tag. So habe ich von meinem damaligen Freund 16 Rosen geschenkt bekommen.... Während ich mit glänzenden Augen in romantischen Erinnerungen schwelge, sieht mich mein Sohn mit großen Augen an: „ Was? 16 Rosen? Wieso hat der Typ dir gleich 16 Rosen geschenkt? Fünf hätten es auch getan und dann wäre sich noch ein Kasten Bier ausgegangen.“ O.k., ich merke schon, nicht nur die Zeiten sondern auch die Prioritäten haben sich geändert.

Das Zimmer unseres Sohnes wird kurzer Hand zum Umschlageplatz für Organisation und Planung erklärt. Wer bisher der Meinung war, Hochrechnungen würden nur an Wahlsonntagen getätigt, wird eines Besseren belehrt. Die  Menge an Getränken muss an die täglich wachsende Gästeliste, die inzwischen bei 85 Personen angelangt ist, angepasst werden. Die Jungs rechnen, dass die Köpfe rauchen. Machen Überschlagsrechnungen, wer kommt und  schätzen ab, wie es um das Fassungsvermögen der Eingeladenen an alkoholischen und antialkoholischen Getränken  bestellt sein könnte.

Ich mach mir etwas Sorgen, was den Alkohol angeht. Aaron, ein Freund meines Sohnes, von mir liebevoll „Prinz Charming“ genannt, schaut mich mitfühlend an: „Tut mir leid, dass ich das sagen muss, aber „sich die Kante zu geben“, das gehört einfach dazu.“ Als er meinen entsetzten Blick sieht, klopft er mir beschwichtigend auf die Schulter: „Da muss man durch. Das bleibt keiner Mutter erspart. Meine hat es schon hinter sich.“ Und dann mit etwas verklärtem Blick: „Oh Mann. DAS war vielleicht ein Abend. Gott sei Dank hat sich Lukas um mich gekümmert und mir einen Eimer vor‘s Bett gestellt.“ Herzlichen Dank, Aaron, für die tröstenden Worte. Soll ich mich nun beruhigt fühlen?

„Hey, Mum, ist es schon o.k., wenn ein paar Menschen nach dem Fest bei mir übernachten? Da fährt kein Bus mehr und die kommen sonst nicht mehr heim.“

Etwas vorsichtig frage ich nach, was das  „ein paar Menschen“ zahlenmäßig bedeutet.

„Keine Ahnung.“ Ich seufze innerlich. Was habe ich auch anderes erwartet. Das ist die Antwort,  mit der ich die letzten 3 1/2 Jahre zu leben gelernt habe. Genau genommen, seit der Junior die Schwelle der Pubertät überschritten hat. Die Aussicht, dass da Leute  unbekannter Zahl in seinem Zimmer nächtigen werden, hat für mich als Mutter  jedoch erfreuliche Nebenwirkungen . Sohnemann fängt an sein Zimmer aufzuräumen. Leert den überquellenden Papierkorb, staubt die Möbel ab und eines Tages, als ich von der Arbeit nach Hause komme, orte ich aus dem Zimmer meines Sohnes eine Lärmquelle, die ich dort seit Monaten nicht mehr vernommen habe. Es handelt sich um das Geräusch eines Staubsaugers.  Dann widmet er sich dem Turm an T-shirts, Jacken, Sweater, Jeans, Wäsche und Socken, welcher seit Wochen zu einer beachtlichen Größe angewachsen ist.  Wenn man so vielbeschäftigt ist, wie der Herr Sohn, der DAS Event seines knapp 16jährigen Lebens plant, bleibt keine Zeit zu überlegen, was in den Schrank gehängt werden soll, was gelüftet werden muss und was wirklich in die Wäsche gehört. So profane Alltagsdinge  sind nur kleingeistigen und chronisch unterbeschäftigten Menschen wichtig. Menschen, in deren Leben sich nichts Interessantes abspielt, die zwanghaft nach einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung suchen und  daher ausreichend Zeit haben, sich um solche Belanglosigkeiten zu kümmern. In diese Kategorie falle ganz klar ich. Weil der Junior Wichtigeres zu tun hat, stopft er den ganzen Wäscheberg kurzerhand in den Wäschekorb. Aus dem Augen, aus dem Sinn. Das Zimmer wirkt nach seiner Aufräumaktion als wäre er ausgezogen.

Während der Count-down läuft, es sind nur noch vier Tage bis zum Geburtstag,  werde ich als Unbeteiligte immer nervöser. Ganz im Gegensatz zum  Sohn der  die Ruhe weg hat.   Während ich noch Ursachenforschung betreibe,  warum das so ist, eröffnet er mir so nebenbei und ganz spontan, dass er sich auf den ganzen Stress hin eine kleine Auszeit verdient hat. Um sich zu erholen und für die Party richtig fit zu sein, ist eine Reise zu  seiner älteren, partyerprobten  Schwester nach Wien genau das Richtige. Christina würde ihn sicher noch mit ein paar wertvollen Tipps versorgen und ihn über manche   Risiken und Nebenwirkungen solcher Feste bestens aufklären.   Und was macht man als 16jähriger, wenn man Mädchen nicht nur durch innere Qualitäten sondern auch durch ein ansprechendes Äußeres beeindrucken möchte? Man nimmt ein gleichaltriges, weibliches Wesen als Einkaufsberaterin mit, welche folgende  drei  Aufgaben erfüllen sollte: sichere Orientierungshilfe durch den Wiener Modeketten Dschungel;  Wissen, was modisch gerade up to date ist und  eine gewisse Ausdauer im Shoppen, d.h. nicht bereits nach dem dritten Laden zu schwächeln beginnen. Wenn man sich mit diesem weiblichen Wesen auch darüber hinaus noch gut unterhalten kann, umso besser. Und wer wäre für diese ehrenvolle Aufgabe besser geeignet als seine gleichaltrige  Cousine Annika, die all diese Anforderungen mühelos erfüllt und deren Anwesenheit auch den Spaßfaktor garantiert.  Auf meine verblüffte Frage, wer sich um die letzten Vorbereitungen kümmert, während er mit ihr durch die Wiener Shoppingmeilen flaniert, winkt er lässig ab: „Wozu hat man Freunde.“ Und in der Tat, die springen 100 % vorwurfsfrei für ihn ein.

Endlich ist der Tag X da. Und siehe da, der Sohn zeigt endlich die gewünschten Anflüge von Nervosität, was möglicherweise damit zu tun hat, dass die Zahl der Gäste inzwischen auf 93 angewachsen ist.  Bevor er sich ins Bad verzieht schenke ich ihm noch  zwei Proben Eau de Toilette, die mir eine nette Parfümverkäuferin miteingepackt hat. Nach gefühlten Stunden wird die Badezimmertüre mit Schwung aufgerissen und das Geburtstagskind hat seinen großen Auftritt. Hinter ihm ein Schwall an Parfüm. „Hey Mum, riech mal“.  Dass er mengenmäßig einen ganzen Harem betäuben könnte, verschweige ich taktvoll. „Ich finde, ich rieche  wie eine WC-Ente. Das ist das komische Duftzeugs, was du mir geschenkt hast“ , beschwert er sich. Ich  beeile mich zu versichern, dass es ein ganz toller Duft ist und dass dieser ihn in Kombination mit dem Outfit absolut unwiderstehlich macht. Der Sohn sieht mich zweifelnd an, überlegt noch kurz, ob er vielleicht ein zweites Mal unter die Dusche soll um den angeblichen WC-Entenduft abzuwaschen und entschließt sich dann aus rein zeitlichen Gründen, mir doch zu glauben.  Ihn beschäftigt nun vielmehr die Frage, was es zu essen gibt. Eine gute Grundlage für den Abend aller Abende wäre nicht schlecht. Das einzige was ich als Mutter noch tun kann, ist für eine solide Unterlage zu sorgen. So koche ich für die Vorbereitungscrew Spaghetti Carbonara und lasse die bereits völlig aufgekratzte Meute mit einem lachenden und einem weinenden Auge von dannen ziehen. Prinz Charming sieht meinen nachdenklichen Blick, dreht sich nochmals um und klopft mir freundschaftlich auf die Schultern und sagt in beschwörendem Unterton: „Keine Angst. Ich pass auf ihn auf.“  Und weg sind sie.

Der Abend gibt auch nichts mehr her. Innerlich unruhig, schaffe ich es weder ein Buch zu lesen, noch einen Film anzuschauen und so beschließe ich, ins Bett zu gehen. Wider Erwarten schlafe ich sofort ein.......um gegen 1:30 erschreckt hochzufahren. Unterdrücktes Gelächter, ein hin und wieder gezischtes „Mensch, seid doch leise“ noch mehr Gelächter. Wieder ein „Pssst“. Gut, denke ich mir, wenn sie so gut drauf sind, dann ist wohl alles in Ordnung. Und gerade, als ich wieder einschlafen möchte, höre ich glockenhelle Stimmen. Irgendetwas irritiert mich, ich weiß nur noch  nicht was. Und plötzlich sitze ich kerzengerde im Bett. Diese hellen Stimmen  gehören eindeutig weder meinem Sohn, noch einem Prinz Charming, noch einem Sascha, keinem Vinz auch keinem Manuel.  Das sind  Mädchenstimmen! Das war nicht abgemacht. Schlafen die etwa alle im gleichen Raum? Die Antwort kann ich mir selber geben: Natürlich. Wo denn sonst? Nachdem ich um diese Uhrzeit nichts mehr ausrichten kann, versuche ich wieder einzuschlafen. Als Untermalung höre ich immer wieder Gekicher, dann angeregtes Plaudern und irgendwann schlafe ich wieder ein.

Am nächsten Morgen steige ich auf dem Weg zur Küche über ein Schuhlager drüber, dass jedem Schuhladen zur Ehre gereicht hätte. Das Gästefrühstück soll derjenige richten, der die Einladung ausgesprochen hat. Mein Part besteht einzig und alleine darin, den Samstagszopf aufzutauen. Anschließend suche ich das Weite und beschließe mich mit Menschen meiner Altersklasse zu verabreden.

Irgendwann, kurz nach Mittag treffe ich wieder zuhause ein. Das Schuhlager ist verschwunden und mit ihm die Gäste. Einzig der Sohn sitzt noch in aller Seelenruhe beim Frühstück und arbeitet sich durch den Stapel an Honigzopfbrotscheiben durch.  „Na, wie war euer Fest?“  „Mega-cool.“ Die Stimme klingt ziemlich ramponiert, aber ansonsten wirkt er trotz wenig Schlaf erstaunlich fit. „Also“, ich hole tief Luft, „du hast mir nicht gesagt, dass auch Mädchen hier übernachten“. Jetzt ist es heraußen. Erstaunt sieht er mich an: „Klar, habe ich das.“ „Nein, hast du nicht.“ „Mama“, seine Stimme klingt jetzt so  milde und nachsichtig, als würde er mit jemandem sprechen, der intellektuell nicht ganz auf der Höhe ist. „Mama, ich hab doch gesagt, dass Menschen bei mir übernachten werden. Und du willst mir doch nicht etwa sagen, dass Mädchen keine Menschen sind?“

Ich gebe mich geschlagen. Wo er recht hat, hat er recht!

 

Ingrid Holzmüller