Der Moderator der Geschichtswerkstatt Silbertal resümierte bei der Lampert-Akademie 2008 über ein einzigartiges Erinnerungsprojekt in Silbertal, einem Dorf, das sich plötzlich mit der Biografie eines NS-Verbrechers aus den eigenen Reihen konfrontiert sah.

Gedächtniskultur in Silbertal, rund um die Täterbiografie des Josef Vallaster.


Sehr geehrte Damen und Herren,
in den nächsten, knapp 20 Minuten, werde ich versuchen, Entstehungsgeschichte, Arbeitsweise und Ergebnisse der  Geschichtswerkstatt Silbertal zu skizzieren. Selbstbild und Methodik der Initiative gehören dazu ebenso wie Schwierigkeiten, beim konkreten Versuch nämlich, fragend und zuhörend, forschend und dokumentierend an die NS-Geschichte zu erinnern. Schließlich verweist das Arbeitsspektrum dieser Werkstatt auf die zentrale Frage der heutigen ORF-Akademie: Was heißt das, Erinnerungskultur im Wandel? Und welchen Umgang pflegen wir mit dem Gedenken in Vorarlberg? Silbertal als Fallbeispiel sozusagen.

 

Zunächst die Genese des Erinnerungsprojekts

Lange Zeit pflegte man Erinnern und Gedenken an Krieg und Nationalsozialismus auch in Silbertal – ich möchte sagen - sehr österreichisch. Als geläufige Ausdrucksform dafür stehen die Kriegerdenkmäler und Heldenehrungen einerseits, ein lange konsensfähiges Verschweigen und Verdrängen andererseits. In Silbertal, änderte sich dies bereits vor Jahren ganz gravierend: Hans Netzer, pensionierter Silbertaler Lehrer, Nebenerwerbslandwirt und versierter Dorfchronist, publizierte vor Jahren einen Band zu den Silbertaler Kriegsteilnehmern des 1. und 2. Weltkriegs – und durchbrach damit bereits deutlich die Konventionen vom heroischen Erinnern an Krieg und Gewalt.

Auf das gesamte Montafon bezogen, bietet der Heimatschutzverein, ebenfalls seit Jahren, eine Fülle von Veranstaltungen mit begleitenden Publikationen zur Zeit des Nationalsozialismus. Allerdings, die Beachtung dieses dichten Angebots blieb landesweit gesehen marginal. Medial ebenso. Für eine wirklich breite Auseinandersetzung bedurfte es offensichtlich eines plakativen Aufhängers. Und der bot sich im Frühsommer 2007, mit der Veröffentlichung eines Zeitungsbeitrags, über den „unbekannten Massenmörder Josef Vallaster aus dem Silbertal.“ Das war die Zäsur im kollektiven Erinnern der Gemeinde, möglicherweise des ganzen Tales.

Zum Faktischen

Vallaster war in der NS-Tötungsanstalt Hartheim und im Vernichtungslager Sobibor direkt an der Ermordung von zehntausenden Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, sowie Menschen jüdischer Herkunft beteiligt. Am 14. Oktober 1943 wurde er bei einem Aufstand von Häftlingen in Sobibor erschlagen. 1968 wurde sein Name mit den Namen weiterer Silbertaler Männern auf das durch die Gemeinde errichtete Kriegerdenkmal graviert. Die Wiederentdeckung dieses Vorarlberger NS-Täters, sowie das ehrende Gedenken an ihn, führte zu ebenso heftigen wie kontroversen Debatten in der regionalen und überregionalen Öffentlichkeit, in den Zeitungen ebenso wie im Vorarlberger Landtag.

Der Fall Josef Vallaster – denn inzwischen war es ein solcher -  wurde für das historische Gedächtnis in Silbertal ein Problem, ein Konfliktherd, eine Belastung. Zuerst prägten – gleichsam reflexartig - Abwehr und Entrüstung die Reaktionen in der Gemeinde. Dann trat eine merkwürdige Stille ein, eine lähmende Passivität. Das Dorf war regelrecht „paralysiert.“ wie es Hannes Boric, Silbertaler Gemeindebürger, einmal treffend charakterisiert hat. Waren also die Reaktionen anfänglich noch von Rat- und Orientierungslosigkeit gekennzeichnet, setzte sich bald die Einsicht durch, das Wissen um, und das Erinnern an die nationalsozialistische Vergangenheit der Gemeinde, bedürfe einer gründlichen Aufarbeitung.

Riskant war es allerdings, dieses Ansinnen: Ohne Erfahrungswerte vergleichbarer Initiativen im regionalen Umfeld, konfrontiert mit Belastungen, Ängsten und Widerständen im Dorf, teils skeptisch beurteilt von medialer und fachlicher Kritik. Nicht zuletzt, auch eine immer tiefere Spaltung der Gemeinde in den Kernfragen. Bis hinein in einzelne Familien polarisierte etwa die Frage, ob eine solche Auseinandersetzung nicht nur Schaden anrichte, nur „Böses Blut“ bewirke, wie der Dorfpfarrer wiederholt warnte. Oder, auf Stammtischhöhe, die Entrüstung, man solle diese Zeiten doch endliche ruhen lassen, und das Dorf lasse sich nicht von außen das Erinnern diktieren: Weder von „den“ Medien, noch von „den“ Historikern, auch nicht von den Politikern. Und wie in solchen Zusammenhängen erschreckend routiniert, auch hier eine aggressive Thematisierung „der“ Juden. Sogar eine empörte Suche nach möglichen Netzbeschmutzern im eigenen Dorf setzte ein: Wer hat wem da draußen und da drunten was „gesteckt?“ Und in dieser Stimmung, die zwischen Depression und Entrüstung pendelte, geschah es auch, dass familiäre Spaltungstendenzen, Schlaflosigkeit, Angstzustände und andere Symptome beklagt wurden. Auch Schulkinder blieben von dieser Stimmung nicht verschont.

Und so sah sich das Dorf hin und her geworfen zwischen zwei Polen derselben Forderung, nämlich nach einem „endlich.“ Während im Innern die Stimmung überwog, endlich einen Schlussstrich unter die Zeit des Nationalsozialismus zu ziehen, dominierte von außen die Forderung, dieses skandalöse Gedenken endlich zu beseitigen, und endlich „Klartext“ zu reden. Oder zu schreiben. Auf eine Tafel zum Beispiel. Auch beim österreichischen Bundespräsidenten landete übrigens eine solche Forderung.

Diese Stimmungslage zu skizzieren, scheint mir wichtig. Denn nichts vermag deutlicher aufzuzeigen, was möglich ist, wenn ein Dorf Haltung zeigt. Wie es möglich ist, eine Entwicklung von kollektiver Depression, hin zu einem neuen kollektiven Selbstwertgefühl in der Gemeinde zu steuern. Dazu bedurfte es jedoch einer Initiative, die vor allem Zivilcourage beweisen musste – und mittlerweile hinlänglich bewiesen hat. Als Moderator all dessen, was an Entwicklungen in Silbertal im folgenden skizziert werden soll, sehe ich mich selbst – übrigens auch als Nicht-Silbertaler – autorisiert, den maßgeblichen Trägern und Trägerinnen der Geschichtswerkstatt in Silbertal solche Prädikate anzuheften.

Wie auch immer, die Silbertaler haben all diese Herausforderungen angenommen.
Und dazu nun im zweiten Teil meiner Ausführungen:

Was tut eine Geschichtswerkstatt in einem Vorarlberger Dorf?

Im Sommer 2007, nach dem eben genannten Stimmungs-Prolog, haben sich in der Gemeinde Interessierte, Bereitwillige – und, ja auch Mutige- gefunden. Der selbst definierte und selbst auferlegte Auftrag war es, einen Prototyp dörflicher Erinnerungskultur zu entwickeln, diese Erinnerungskultur zu etablieren sowie Wissens- und Verständnisbrücken zu bauen – vor allem im Hinblick auf die NS-Vergangenheit des Dorfes. Die ungebrochen belastende Zeit sollte offen und vorbehaltlos aufgearbeitet werden, ohne anzuklagen, ohne die Privatsphäre einzelner Bürger zu verletzen. Als leitende Arbeitsprinzipien wurden Objektivität, Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein festgeschrieben. In Anbetracht der Vorgeschichte ein wohl sehr ambitioniertes Ansinnen. Ein Leitbild gewissermaßen.

Im Unterschied zur medialen Debatte des Jahres 2007 war es der Werkstatt wichtig, Josef Vallaster in einen historischen Kontext zu stellen, und den Blick über diesen Einzeltäter hinaus auf andere Akteure der damaligen Geschichte ebenso wie auf die damaligen Strukturen zu lenken. Nicht zuletzt auf die Opfer dieser Geschichte.

Nach nunmehr eineinhalb Jahren Geschichtswerkstatt Silbertal, mit Aussicht auf eine bevorstehende Bilanz am 28. dieses Monats, hier ein Versuch, die Geschichte dieser autonomen Erinnerungsarbeit im Detail zu skizzieren.

Spuren des Forschungs- und Erfahrungswissens. Leitbild und Methodik einer Erinnerungswerkstatt.

Grundsätzlich arbeitete die Geschichtswerkstatt zeitgleich und parallel auf zwei Ebenen. Begleitet von einem wissenschaftlichen Expertenteam, erschloss die Werkstatt das Feld dörflicher Erinnerungsspuren. Die Arbeitsweise hat sich im Sinne einer Begegnung und eines Austauschs zwischen Forschungskompetenz und Erfahrungskompetenz entwickelt. Zusätzlich wurden in jeder thematischen Phase inhaltliche Akzentuierungen auf eine breite Informations- und Diskussionsebene gestellt. Auch hier fungierten die Experten als maßgebliche Akteure.

Bisher leisteten auf Expertenebene vor allem Wolfgang Weber, Hanno Loewy, Margarethe Ruff, Werner Bundschuh, Norbert Schnetzer, Andreas Rudigier, Florian Schwanninger, Peter Strasser, Matthias Beitl u.a. wertvollste Unterstützung. Unverzichtbar dabei die Rolle der beiden Beiräte Wolfgang Weber und Andreas Rudigier. Sie standen und stehen der Werkstatt als Berater und Mentoren zur Verfügung.

Bewährt hat sich darüber hinaus die Kooperation mit themennahen Einrich-tungen. Das gesamte Programm wäre nicht realisierbar gewesen, ohne die Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems, der Stichting Sobibor in Amsterdam, dem Theater am Saumarkt, dem Bildungswerk Stanislaw Hantz in Kassel, der Gedenkstätte Hartheim, der Gedenkstätte Sobibor, der Stadtverwaltung Lublin, dem Heimatschutzverein Montafon, dem Katholischen Bildungswerk Vorarlberg, dem Kulturforum Bregenzerwald.

Eine Anmerkung zum letztgenannten Projektpartner: Das KUFO, wie es mittlerweile auch im Montafon geläufig ist, hat sich in mehrfacher Hinsicht als Bereicherung erwiesen: Über etliche Bergkämme hinweg, entwickelten sich Begegnungen, Synergien und Kontakte, die wir heute nicht mehr missen wollen. Insbesondere zum themennahen Problem der Euthanasie hat Silbertal aus dem Bregenzerwald wesentliche Impulse erhalten. Als personelle Brücke fungierte übrigens auch hier Dr. Wolfgang Weber. Dieser – und diese ganz persönliche Anmerkung sei mir erlaubt – nimmt in unüblicher, jedoch sehr partnerschaftlichen Weise, seine institutionsorientierten Aufgaben in zweifacher Hinsicht ernst und wahr: Einerseits gewährt er fachkundigen Zugang zum historischen Gedächtnis Vorarlbergs. Andererseits unterstützt Wolfgang Weber auch die zeithistorischen Initiativen in den Tälern, in den peripheren Regionen des Landes also. Sowohl im Bregenzerwald, als auch in Silbertal lebt die Forschungsarbeit vom intensiven Transfer zwischen dem zentralen Gedächtnisspeicher in Bregenz und den regionalen Initiativen in den Tälern.

Natürlich, ein Manko, wenn man so will, hatte das Kulturforum Bregenzerwald bei seiner fundierten Erinnerungsarbeit zu tragen: Es fehlte ein spektakulärer „Aufhänger,“ den Silbertal, ungewollt natürlich, zu bieten hatte. Eine recht zweifelhafte und problematische Publizität allerdings. Denn eine Analyse der veröffentlichten Rezeptionen beider Erinnerungsprojekte legt den Schluss nahe, dass eine Arbeit zu „Euthanasieopfern“ weniger mediales Echo auszulösen vermag, als die Arbeit rund um ein monströses Täterschicksal. Aber Zwischentöne sind wohl nicht immer der zugkräftigste Stoff, aus dem Storys gemacht werden. Und ich bin dankbar, das in einem öffentlich-rechtlichen Medium sagen zu können.

Ein Gliederungsversuch der Werkstattarbeit in einzelne Phasen

In der ersten Phase galt das Augenmerk jenen Orten, an denen Josef Vallaster zum Täter geworden ist. Historiker, Zeitzeugen und Nachkommen von Opfern, aber auch von Tätern, informierten über die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz und im deutschen Vernichtungslager Sobibor.

In einer zweiten Phase rückte das Dorf selbst in den Mittelpunkt der Spurensuche. Ein Selbstbild der Gemeinde unterm Hakenkreuz war das Veranstaltungsmotto dazu.  Zentrale Fragestellungen widmeten sich dem Dorfalltag im Nationalsozialismus, weiters der Euthanasie im Montafon, und nicht zuletzt dem damaligen Lager für Zwangsarbeiter in Silbertal.

Spezielles Interesse galt der Frage, in welchem Milieu ein Täterschicksal wie jenes von Josef Vallaster seinen Ausgang nehmen konnte. Irritierend vor allem die Entwicklung seiner Persönlichkeitsstruktur. Während Josef Vallaster in seiner Silbertaler Jugendzeit offenbar unauffällig und „harmlos“ gewirkt hat, bescheinigen ihm Zeitzeugen in Sobibor eine außerordentliche Brutalität. Immer wieder fällt in Silbertal der Satz, man habe ihn „für alles brauchen können.“ Gemeint als Beleg für seine praktische und zupackende Veranlagung im dörflichen Alltag, hat diese Eigenschaft an den Vernichtungsorten Hartheim und Sobibor monströse Züge angenommen.

Nicht zuletzt diskutierten Vorarlberger Historiker mit Mitgliedern der Geschichtswerkstatt den Stellenwert und die Problematik einer solchen Initiative; im Jüdischen Museum, im Theater am Saumarkt, im Heimatschutzverein Montafon, bei und nach den Veranstaltungen in Silbertal. Immerhin waren und sind Außenwahrnehmungen und Einschätzungen der Geschichtswerkstatt durchaus heterogen, anfänglich auch konträr. Und die Frage, wie wir mit unseren Erinnerungen umgehen, ist virulent. Regelrechte Denkschulen und Erinnerungslager rücken da zusammen, um gegen das jeweils andere Lager ins Feld zu ziehen. Immerhin, Hanno Loewy ist es gelungen, die Streitparteien um das Silbertaler Modell an einen Tisch zu bringen. im Jüdischen Museum Hohenems, im Dezember 2007.

Spuren des Verdrängens und des Erinnerns

Die dritte Phase, im jetzigen Herbst, widmete sich dem heutigen Umgang mit belastenden Erinnerungen an Krieg und Nationalsozialismus. Ein Blick in uns selbst, gewissermaßen. Während die Psychotherapeutin Eva Gold Möglichkeiten aufgezeigt hat, wie sich Betroffene den belastenden Erinnerungen im familiären und im persönlichen Bereich stellen können, gewährte Reinhard Haller in seinem Vortrag Einblick in soziale und psychische Entstehungsbedingungen problematischer Persönlichkeitsstrukturen.

Die letzte Phase der Herbstarbeit gilt parallel dazu der Frage nach angemessenen Erinnerungs- und Gedenkformen für die Zukunft. Während die Gemeinde Silbertal in Sobibor einem österreichischen Opfer dieses Vernichtungslagers einen Gedenkstein gewidmet hat, stellt die Geschichtswerkstatt Ideen für das zukünftige Gedenken in der eigenen Gemeinde zur Diskussion. Nach Maßgabe der Möglichkeiten sollte es ein Gedenken sein, das alle heimischen Opfer des Nationalsozialismus einschließt. Keinesfalls sollte ein selektives Erinnern auf eine exklusive Opfergruppe beschränkt bleiben. Und keinesfalls darf es ein fremdbestimmtes Erinnern sein. Ich möchte diesen Aspekt bewusst nicht weiter ausführen.

Noch scheint das Meinungsspektrum dazu sehr breit. Aber ein schwieriger und langwieriger Findungsprozess ist wohl jener Preis, den man gern entrichtet, wenn man die Entstehungsgeschichte des bisherigen Silbertaler Gedenksteins (aber auch unzähliger österreichischer Kriegerdenkmäler) bedenkt. Allzu lang beanspruchten exklusive örtliche Erinnerungslobbys die alleinige Definitionsmacht darüber, wer von den tatsächlichen, vermeintlichen oder behaupteten Kriegsopfern ein Gedenken „verdient.“ Heute bemüht sich die Gemeinde Silbertal um einen offenen und partizipativen Entscheidungsprozess.

Vor einer Woche, am Eröffnungstag der heurigen Gedenkwoche zu Carl Lampert, lud die Geschichtswerkstatt Silbertal zu einer Gedenkveranstaltung nach der Sonntagsmesse. Am Jahrestag der Novemberpogrome 1938 richtete sich der erinnernde Blick zurück und nach vorn. Ideen und Impulse für eine zukünftige Gestaltung des revidierungsbedürftigen Kriegerdenkmals wurden präsentiert und diskutiert.   KERN – NUKLEUS - ZWIEBEL

Zweiter Aspekt desselben Gedenktages am 9.11. war ein Projekt von Jugendlichen. Schon vor einigen Wochen haben Silbertaler Jugendliche mit älteren Dorfbewohnern Kontakt aufgenommen. Diese Zeitzeugen haben den jungen Menschen gewissermaßen Erzählfenster geöffnet - mit Blick auf Nationalsozialismus und Krieg. Den Jugendlichen war besondere daran gelegen, Beispiele für Zivilcourage in der damaligen Zeit ausfindig zu machen. Signifikante Ergebnisse haben sie filmisch erfasst, und zeigten Ausschnitte daraus.

Schließlich zieht die Geschichtswerkstatt Silbertal am schon mehrmals erwähnten 28.11. eine Bilanz ihrer Arbeit. Hier werden Verlauf und signifikante Ergebnisse des Projekts präsentiert. In diesem Rahmen stellt Dr. Wolfgang Weber seine Publikation zu Josef Vallaster und den dörflichen Strukturen während Vallasters Jugendzeit in Silbertal vor. Diese Handreichung sollte im Hinbliick auf diese Zeit so manche Erinnerungs- und Wissenslücken füllen. Weiters wird an diesem Bilanzabend eine filmische Dokumentation der Werkstattarbeit in Rohfassung gezeigt. Und nicht zuletzt werden Mitglieder der Geschichtswerkstatt auch ihre ganz persönlichen Resümees ziehen.

Eine Geschichtswerkstatt hinterlässt Spuren.

Keine Frage, die Geschichtswerkstatt kann und wird eine positive Bilanz ziehen. In aller Bescheidenheit darf diagnostiziert werden, dass Erinnern, Gedächtniskultur und Geschichtsbewusstsein in Silbertal im November 08 einen völlig anderen Charakter haben, als noch im Juni 07.

Einen Schlussstrich allerdings wird wohl auch die Bilanzveranstaltung nicht ziehen.
Immer häufiger fallen in Werkstattgesprächen Begriffe wie „Zivilcourage.“ Aufbauend auf eine klarer denn je strukturierte Gedächtnislandschaft im Dorf, kann dieser Begriff möglicherweise auch zivilgesellschaftliche Konturen im heutigen und zukünftigen Bewusstsein der Silbertaler schärfen. Und vielleicht findet sich dafür auch eine sinnvolle Verortung und Thematisierung im kulturellen Dorf-geschehen. Darüber denken die Silbertaler gegenwärtig nach. Ohne Zeitdruck und ohne Vorgaben.

Ein weiteres Indiz für Kontinuitäten der Erinnerungsarbeit in Silbertal: Für nächstes Jahr ist im örtlichen Bergbaumuseum eine kleine Ausstellung zu Eugenie Goldstern geplant. Sie ist jene Frau, der Silbertal in Sobibor einen Gedenkstein gesetzt hat. Eine kleine Schau zu dieser ungewöhnlichen Frau soll nahe liegende Fragen vieler Dorfbewohner klären: Warum ein Gedenkakzent in Sobibor? Und warum die Wahl dieses einen Opfers?

Nicht zuletzt, ein selbstkritischer Blickwinkel

Um dem irreführenden Eindruck zu begegnen, die Silbertaler Geschichtswerkstatt habe das Rad des Erinnerns neu erfunden: Es wäre vermessen, dies zu beanspruchen. Noch einmal verweise ich auf die unverzichtbaren Aktivitäten, in die das Silbertaler Erinnerungsprojekt schon von Beginn an eingebettet war: Zum einen die immens wertvolle Arbeit von Hans Netzer im Dorf, zum anderen die engagierte Arbeit des Heimatschutzvereins Montafon mit Andreas Rudigier.

Die Geschichtswerkstatt hat es nicht geschafft, skeptische und problematische Haltungen zumindest zu neutralisieren. Nach wie vor gibt es Ressentiments, Anmaßung und Selbstgerechtigkeit im Dorf. Nach wie vor gibt es auch die Warner vor einer mutigen Erinnerungskultur. All diese Faktoren konnten wohl stark relativiert, neutralisiert und  nicht selten revidiert werden. Gleichwohl scheint die Thematik – auch ohne Geschichtswerkstatt – ein Langzeitprojekt zu bleiben. Diese Initiative hat – vor allem im Hinblick auf eine baldige Bilanz – gegen das Missverständnis zu kämpfen, Erinnerungskultur sei somit abzuhaken, sei erledigt. Also doch ein Schlussstrich?

Ein weiterer, selbstkritischer Aspekt sind die mehr oder weniger wohlmeinenden Ratschläge, Zurufe und Belehrungen von außen. Die enge und sehr fruchtbare Kooperation mit einem ganzen Stab von externen Experten hat offenbar den Schluss nahe gelegt, Silbertal könne nicht selbst eine angemessene Erinnerungskultur definieren und entwickeln. Vor allem fehlt vielen der gut gemeinten Ratschläge – insbesondere um das Kriegerdenkmal – das unverzichtbare Sensorium für die Stimmungen und Befindlichkeiten im Dorf. Ohne aber diese mitzudenken, muss jedes kollektive Erinnern scheitern. Es bliebe ein fremdbestimmtes, und damit wirkungsloses Erinnern.

Und so sieht sich die Geschichtswerkstatt nach wie vor zwischen den zwei bereits erwähnten Polen des „endlich:“ Manche sehen – immer noch - die Erinnerungspflichten der Gemeinde so lange nicht erfüllt, so lange nicht irgendwo im Dorf eine anklagende Tafel in den Boden gepflockt wird. Und das wird mit Sicherheit nicht geschehen. Auf der anderen Seite werden manche auch in Zukunft, beim geringsten Erinnerungsakzent, das insistierende „Endlich“ zu Gehör bringen. Aber so ist das wohl, mit dem schwierigen Erinnern. Der Erfolg ist – und bleibt - enden wollend.

Unabsehbar ist auch die Wirkung der bisherigen Arbeit auf die Akzeptanz des zukünftigen Erinnerns. Sollte also eine formal und inhaltlich überzeugende Lösung gefunden werden, bleibt immer noch der wirklich entscheidende Aspekt im Unklaren: Ob nämlich dieses Erinnerungsangebot von den Silbertalerinnen und Silbertalern angenommen, akzeptiert und beansprucht wird. Auch da gilt es, den Menschen die Verständnis- und Toleranzschwelle nicht allzu hoch zu legen.

Und letztlich, das unvermeidliche Resümee

Ohne eine wertende Gesamteinschätzung vorweg nehmen zu wollen: Ein exemplarisches Beispiel dörflicher Erinnerungsarbeit scheint die Geschichts-werkstatt Silbertal – mangels vergleichbarer Anlässe und Initiativen in der Region - jedenfalls zu werden. Wie effizient und konsequent die Werkstatt ihr selbst auferlegtes Pensum abgearbeitet hat, wird sich möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt beurteilen lassen.

Spuren mit Impulsen, Wissen und Erfahrungen kann und wird die Geschichts-werkstatt Silbertal zweifellos hinterlassen. Und so gesehen, können sich an diesem Modell, bei allen genannten Unzulänglichkeiten, in Zukunft weitere Initiativen orientieren. Im Montafon und anderswo. Denn Silbertäler, wie unser Mentor Wolfgang Weber in seinem Band zur NS-Geschichte des Dorfes schreibt, Silbertäler gibt es viele. Wie wahr:

Einzige Einschränkung meinerseits: Silbertäler auf dem Stand Juni 07 mag es noch sehr viele geben. Silbertäler auf dem Stand November 08 gibt es bislang nur eines. Und das, geschätzte Damen und Herren, liegt nach wie vor im Montafon.