Herrlich, einfach herrlich. Frische Luft, Wiesen, ein bisschen Wald hin und wieder - und der Rhein, der meist ruhig vor sich hin fließt. So ist es heute. 1938 war es anders. Und in Lustenau und Hohenems erinnert eine temporäre Installation daran, wie es war, am "Fluchtpunkt Alter Rhein".

Schön radelt es sich da zwischen dem Zollamt Wiesenrain und dem Schmitter. Auf und ab treten die Beine im Takt und das Rad dreht sich. Blick nach vorne und in der Nase die Kühle des Fahrtwindes. Idealerweise stiehlt sich noch die Abendsonne wärmend durch Gebüsch und Baumsaum. Es ist schön hier, so zwischen Lustenau und Hohenems an der Grenze zur Schweiz.

Dann aber kommen die radelnden Tritte ins Stocken. Lesen will man, was da am Radweg geschrieben steht. Und man steigt ab - und ein bisschen anders wieder auf. Wenn das passiert, ist man auf die Kunstinstallation "Fluchtpunkt Alter Rhein" gestoßen. Initiiert hat sie die Vorarlberger Künstlerin Margit Bartl-Frank, die in Feldkirch geboren heute in der Schweiz lebt. Nah an der Grenze.

 

"Ich packte meine wenigen Habseligkeiten"

Gut sind künstlerische Interventionen meist auch dann, wenn sie überraschen und wenn sie ihr "Publikum" eiskalt erwischen. Im Falle der temporären Installation "Fluchtpunkt Alter Rein" ist das so. Völlig unvorbereitet tappt man da hinein und was man zuerst unbedingt lesen wollte, berührt plötzlich. Was da nämlich im Grenzgebiet zwischen Österreich und der Schweiz geschrieben steht, ist nichts anderes als die Erinnerung der vielen Menschen, die zwischen 1938 und 1945 an der Grenze zur Schweiz aufschlugen. Da waren sie. Vieles hatten sie zurückgelassen. Vor ihnen lag die Ungewissheit, hinter ihnen der Tod. "Ich packte meine wenigen Habseligkeiten in einen kleinen Koffer, den ich mit einer Hand hochhielt", steht da zum Beispiel. Wenige Radminuten weiter kontert die Amtliche Verlautbarung zur Ausreise von Juden, dass "jedes Begleiten oder Führen von Juden (...), die den Versuch unternehmen, nach der Schweiz zu gelangen (...), bestraft wird."

Tausende kamen damals, in jenen Jahren an die Grenze. Der Schweizer Grenzoffizier Paul Grüninger war einer jener Menschen, die halfen. An ihn erinnert heute eine Brücke, so wie die Zitate entlang des grenznahen Radwegs an die Vielen auf der Flucht erinnern.


Die, die an der Grenze standen

Es ist nicht das erste Mal, dass Margit Bartl-Frank die Flucht über den Rhein zurück ins Gedächtnis ruft. 2015 hatte sie mit dem Projekt "Ida's Weg" der Geschichte einer jüdischen Familie nachgespürt. Für "Fluchtpunkt Alter Rhein" recherchierte sie, sprach mit Zeitzeugen und durchforstete amtliches Schriftgut. Neun Zitate sind es nun, die sich dies- und jenseits des Rheins ganz unerwartet und plötzlich in den Weg stellen.  „Sie stellen die damaligen Ereignisse aus Sicht der Opfer dar und machen somit einen Teil der Geschichte temporär sichtbar“, erklärt Bartl-Frank.

Temporär? Ja, temporär, denn mit dem Lauf der Zeit verblasst auch die Farbe und verwässert die Schrift. Irgendwann ist dann alles weggewaschen, einfach verschwunden. So wie die, die damals hier an der Grenze standen.

 

"Fluchtpunkt Alter Rhein"

Temporäre Kunstinstallation von Margit Bartl-Frank
Neun Zitate auf dem Radweg zwischen Zollamt Wiesenrain und Schmitter (nahe am Rohr)