Eigentlich wollte Thomas Schmidinger seinen Vortrag zu "Hass und Zusammenleben" mit den Novemberpogromen beginnen, die sich dieser Tage zum 80. Mal jähren. Dann aber hing ein anonymer Brief an der Tür des Carl Lampert-Saals, der die Priester zu den "geistreichsten Hassern in der Weltgeschichte" erklärte. Und schon war man ganz ohne Zeitreise mitten im Thema.

Thomas Schmidinger ist kein Unbekannter. Geboren in Feldkirch, ist der Politikwissenschaftler und Sozial- und Kulturanthropologe in der ganzen Welt unterwegs. Vor allem in der islamischen, liegt sein Schwerpunkt doch auf Kurdistan, Jihadismus, dem Nahen Osten und Internationaler Politik. Und genau diese Welt brachte er dank der Carl Lampert Woche nach Göfis in einen vollbesetzten Carl Lampert Saal.

Vorsicht, die Heiligen Bücher fliegen

"Wir leben in einer Welt, in der Weltanschauungen sehr stark zu Identitätsmarkern werden", eröffnet Schmidinger, dass es darum gehe, das "ich" und das "wir" abzugrenzen.  Und dazu würde man einander eben leider gerne mal "die Heiligen Bücher um die Ohren werfen", bringt er Koran und Bibel ins Spiel. Für ihn handle es sich dabei um literarische Texte, die die Weisheit von Menschen, Völkern und vergangenen Zeiten in einer literarischen Form weitergeben. Und deshalb brauche es auch viel theologisches und historisches Wissen, um sie zu verstehen.

Das Problem: Viele Menschen neigen eher dazu selektiv zu zitieren und die Heiligen Bücher so als Waffe gegen die Menschen zu verwenden, die damit etwas anfangen können. Schnell werde der Islam so zu einer gewalttätigen Religion; ein Vorwurf, den man aufgrund der Bibel übrigens auch dem Christentum machen könnte.

Religion hat eine Funktion bekommen

"Religion hat eine Funktion bekommen", erklärt Schmidinger, denn während es früher "en vogue" gewesen sei die Menschen in "Menschenrassen" einzuteilen, werde diese Kategorisierung nun von Kultur und Religion abgelöst. Dahinter stehe handfestes politisches Interesse, zeigt Schmidinger, wie manche Länder (Stichwort Russland, USA) gezielt Gerüchte streuen. Oder wie der Politikwissenschaftler es formuliert: "Das Schüren von Ressentiments wird benutzt um die demokratische Gesellschaft zu unterminieren."

Die verschiedenen Formen der Ressentiments würden sich befeuern, meint Schmidinger und formuliert etwas überspitzt: "Der Moslem ist ein halsabschneiderischer Wüterich" vs. "jeder antiislamische Akt ist ein Beweis für den Hass des ungläubigen Europäers, gegen den wir in den Krieg ziehen müssen".

Rassismus und Antisemitismus

Wichtig sei zudem zwischen Rassismus und Antisemitismus zu unterscheiden. Ein klassischer Rassist halte andere für minderwertige Untermenschen. Der Antisemitismus würde ohne Rassismus nicht funktionieren, es schwinge aber eine zusätzliche Note mit - nämlich der Vorwurf des Gottesmordes. Dieser sei die Vorlage für die Allmächtigkeit der Juden, welche Ängste schüre und dazu führe, dass Antisemiten die Juden im 20. Jh. nicht nur unterdrücken, sondern auch vernichten wollten.

Und heute?

"Wir befinden uns in einer kritischen Phase der europäischen Geschichte", betont Schmidinger, denn "die Fortexistenz des demokratischen Systems und der europäischen Union ist nicht mehr gewährleistet". Was also tun? Der Mangel an einem gesellschaftlichen und politischen Diskurs in der Gesellschaft sei gefährlich. Und es sei wichtig Widerstand zu leisten, nicht zu verstummen, sondern seine Meinung kundzutun und Zivilcourage zu zeigen, sind sich Schmidinger und die anwesenden Gäste einig. Ehrliche Debatten zu führen und auch mal zivilisiert zu streiten. Soziale Medien bieten hier Chance und Gefahr zugleich. Zensur sei natürlich keine Lösung, hält Schmidinger fest und fordert mehr "internet literacy", mehr Medienkompetenz. Oder vereinfacht formuliert: Wir brauchen demokratisch agierende Menschen. Nur ein Thema von vielen, das die über 60 Interessierten im Anschluss an die Veranstaltung untereinander und mit dem Politikwissenschaftler noch diskutierten.