Predigt von Wilfried M. Blum Caritasseelsorger der Diözese Feldkirch anlässlich des 78. Todestags des seligen Carl Lampert.

Meine Geschichte mit Carl Lampert

Schön, wenn es eine ermutigende Erinnerungskultur für Carl Lampert gibt! In einer schnelllebigen und vor allem in einer von Krisen erschütterten Zeit macht es Sinn innezuhalten und über Menschen nachzudenken, die Spuren hinterlassen haben – wie Carl Lampert. Bekanntlich gilt der Auftrag: Hüte das Feuer und nicht die Asche! Auch wenn es jetzt schon viele Jahre her ist, als ich hier Pfarrer war, so hat diese Zeit doch tiefe Spuren durch Carl Lampert hinterlassen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich am letzten Sonntag in der Kirche Mariahilf in Innsbruck mit der Gemeinde den Festgottesdienst feiern durfte. Es ist jener Ort, wo Carl Lampert nach seiner Rückkehr aus Rom gewohnt und priesterlich gewirkt hatte. Und heute dürfen wir uns an ihn – hier in seiner Heimatgemeinde erinnern. Meine Gedanken für Innsbruck mögen auch heute hier (etwas angepasst) helfen, das Feuer der Erinnerung zu hüten. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich noch gerne an die vielen Feierlichkeiten rund um den 50. Todestag mit Bischof Reinhold Stecher. Damals und bis heute gab es unzählige ergreifende Initiativen und Aktionen, um das Andenken wachzuhalten. Um die Asche der Erinnerung zu verhindern, stellt sich immer neu die Frage: Was heute? Welche Spuren bleiben?

Unsere Zeit braucht Haltungen eines Carl Lampert.

Was sind für mich Haltungen, die auch unserer Zeit gut tun (könnten)?

- Gradlinigkeit oder „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein!“ (Mt 5,37)
Wir erleben in unserer politischen Un-Kultur, dass Haltungen wie Hemden gewechselt werden – das fängt oben an und geht an der Basis weiter. Wenn es opportun ist, ist oft das Hemd näher als der Rock, und das Geld im Börserl wichtiger als ein Verzicht mit Blick auf unsere Zukunft. Ich schätze am Provikar seine Gradlinigkeit, die nicht immer – auch in den oberen Kirchenkreisen – positiv gesehen wurde. Das war auch mit ein Grund, warum es so lange bis zur Seligsprechung gedauert hat. Bischof Stecher hatte Klaus Küng dazu ermutigt, als er zum Jubiläum in Göfis war.

- Reifung oder „Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“ (Mt 13,30)
Ein Mensch braucht Zeit zum Reifen. Carl Lampert war als Kaplan ein feiner Maxl, der die Geselligkeit und das Festen geliebt hat und mit ihm die Jugendlichen seiner Pfarre in Dornbirn. Und dieser Mann ist zu einem Menschen herangereift, der sich so demütigen und foltern lassen musste, dass ihn sein Bruder bei einem Besuch in Berlin fast nicht mehr erkannt hatte. „Ecce homo!“ - Wir kennen das Wort aus der Passionsgeschichte. Diese Szene hat mich immer zutiefst angerührt und auch in mir die Frage aufgeworfen: Wir weit könnte ich gehen? Wozu wäre ich bereit? Ist mein Leben heute so gereift, dass ich dazu JA sagen könnte? Mir kommen jetzt z. B. Menschen in der Ukraine, Russland oder ebenso im Iran in den Sinn.

- Unschuld oder „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.“ (Mt 5,11)
Wir leben in einer Zeit, wo wir zu Weltmeistern geworden sind, auf allen Ebenen stets nach Sündenblöcken zu suchen. Immer andere sind schuld!
In unserer Tagespolitik, im kirchlichen Alltag und in familiären Situationen ist der Zeigefinger auf das Gegenüber in Dauerstellung (obwohl ja mehr Finger zurückzeigen). Noch etwas hat mich in den letzten Wochen mehr als betroffen gemacht: Bei der vergangenen UNO-Vollversammlung trat der Präsident Pakistans ans Rednerpult und sagt (sinngemäß): „Mein Land steht jetzt zu einem Drittel unter Wasser, obwohl wir praktisch keine CO2-Ausstöße haben.“ Und er sagte es, ohne Verbitterung und spitzer Zunge.

Provikar Lampert musste in seinen Verhandlungen schmerzlich erfahren, dass kein Interesse an Gerechtigkeit da war, sondern nur Denunzierung und Lügen. Denn sein Tod war beschlossen. „Dreimal zum Tod verurteilt“– so lautet ein Büchlein vom unlängst verstorbenen Göfner P. Gaudentius Walser OMFCap. Und das trifft auch den Punkt. Vermutlich kann man sich nicht so einfach in diese Seelenlage hineindenken: Ich bin nicht schuldig und sie glauben meiner Unschuld nicht. Das ist schwer nachvollziehbar!

- Glaube oder „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46)
In all den Jahren, in denen ich mich mit Carl Lampert auseinandergesetzt habe, wurde mir immer klarer: Er lebte seine durch das Leiden und den erlebten Hass radikale Frömmigkeit ganz. Nicht umsonst ist auf der Gedenkstätte hier sein Wort unauslöschlich eingeschrieben: „Liebe - wie leidest du in dem Hass dieser Zeit, (Hass) wie quälst du die Liebe der Ewigkeit.“ Letztlich kann es nur aus einem tiefen, wenn auch manchmal zitternden (Worte u. Schrift seines Abschiedsbriefes) Glauben kommen, dass man nach allen Schikanen und aller Folter nicht verbittert und den Glauben verliert. Nein, es war sein ganz tiefer, durch die leidvollen Erfahrungen, die Rückbindung an seine liebe Familie daheim und in der Kirche gefestigter Glaube. Seine innige Liebe zu Gott und Maria waren seine tragfähigen Wurzeln, aus deren Kraft heraus er diesen seinen Weg gehen konnte. Das ist für mich echte Gläubigkeit ohne süßes und sich bei Gott einkaufendes Beiwerk. Vielleicht brauchen wir in Zeiten mit Fake News und frommer Oberfläch-lichkeit mehr denn je diese tiefe Frömmigkeit eines Provikars. s. Thema: "Hätt ich nicht eine innere Kraft, so möchte´ man verzweifeln."

Ermutigung durch Carl Lampert

Seit der Seligsprechung am 13. Nov. 2011 ist viel Wasser den Rhein und die Ill hinuntergeflossen. Es ist erfahrungsgemäß mühsam, ein Gedenken immer „auf Strom“ zu halten. Natürlich gibt es Carl-Lampert Wochen mit vielfältigen und originellen Programm-Angeboten und die Gottesdienste. Dennoch liegt es an uns, was wir in seinem Sinne weitertragen. Hier in der Pfarrkirche ist die Gedenkstätte. Hier ist er präsent mit Faksimile seines Abschiedsbriefes. Hier ist sozusagen das „Original“. Wir hier sind nicht Carl Lampert, „das Original“. Das sind wir zum Glück nicht und sollen/müssen es auch nicht sein. Wir können aber Zeug*innen sein - auf je unsere eigene Art. Die Situation heute gleicht leider(!) immer mehr jener von damals. Es braucht Wachsamkeit und das Bewusstsein, den Anfängen klar zu wehren.

Der Sel. Carl Lampert kann uns einfach ermutigen,
- wo immer es geht, mit aufrechtem Gang gradlinig durchs Leben zu
gehen - in der Gesellschaft und in der Kirche;
- sich die Zeit zum Reifen offen zu lassen. Manchmal werden wir einfach
durch unser Leben mit allen Höhen und Tiefen über die Jahre reifer,
weiser und gnädiger;
- ohne Verbitterung und Vergrämung auch Unrecht und Ungerechtigkeit
zu ertragen und trotz Unschuld Vorwürfen ausgesetzt zu bleiben;
- bei allen (manchmal skurrilen) spirituellen Angeboten heutzutage hilft
Carl Lampert den Blick auf den zu richten, der die Herausforderung
und Quelle unseres Glaubens ist: Jesus Christus. Er lädt ein, sein eignes
Kreuz auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen (s. Ev.).

Das Leben Carl Lamperts war wie bei Jesus vordergründig eine totale Niederlage, ein Zu-Boden-gehen. Doch letztlich steigen wir – äußerlich vielleicht ärmer – aber umso erfüllter, zufriedener, dankbarer und mit tieferem Gottvertrauen auf. Dafür sich immer neu des Sel. Carl Lamperts zu erinnern, lohnt sich. Es wird zu einer Win-Situation. Gott-sei-Dank!