Wir sind es gewohnt, in Maßnahmen, Produkten und Leistungen zu denken, auch in Bereichen, wo dieses Denken völlig verfehlt scheint, nämlich im Helfen, Heilen, Lehren oder Beraten. Produkte sind ein Ergebnis der Ökonomie, und wirtschaftlich betrachtet meint dies käuflich, beanspruchbar, gleichförmig und letztlich herzlos banal.

von Bernhard Gut
DSA, Klin.- u. Gesundheitspsychologe, Dipl. Sozialarbeiter bei der Caritas Vorarlberg

Wie anders liest sich da die Ursprungsgeschichte des Helfens, nämlich die Erzählung vom barmherzigen Samariter, der sich noch den Luxus leisten konnte, jenseits aller modernen Vorgaben einfach zu helfen. Marianne Gronemeyer meint, dass Hilfe weniger eine Tat ist, sondern ein Ereignis - nämlich sich bedingungslos berühren zu lassen von der Wehmut der Not eines anderen Menschen.

Wie halten wir es damit?
Als erstes muss wohl die hilfesuchende Person den Nachweis erbringen, dass sie tatsächlich Unterstützung benötigt - sie muss ihre Bedürftigkeit nachweisen. Die zweite Frage ist dann jene, ob dieser Mensch denn unsere Hilfe überhaupt verdient? Und dann sollte der Hilfesuchende ja schon auch Bedingungen erfüllen - er soll anders werden, eben nicht mehr hilfsbedürftig. Er soll unseren gewohnten Ablauf nicht mehr störend beleben, sondern so sein wie eben alle anderen, alle Nicht-Hilfebedürftigen. Hilfe soll dann gewährt werden, wenn sie Erfolg hat.

Zauberwort „Standardisierung“
Wir haben uns in vielen Bereichen schon längst vom individuellen Menschen wegbewegt hin zu einem großteils verkommenen Bürokratismus, in dem das Zauberwort „Standardisierung“ Platz gegriffen hat und letzte Gültigkeit hat. Und wir haben verlernt, zwei Begriffe auseinanderzuhalten, nämlich Gerechtigkeit und Gleichheit. Ersteres würde nämlich meinen, uns in unserer Verschiedenheit, mit unseren jeweiligen Begrenzungen und Beschränkungen ernst zu nehmen und den Versuch zu unternehmen, diese Vielfalt nebeneinander friedvoll zu leben. Stattdessen haschen wir der Gleichmacherei nach und setzen uns dem unnötigen Stress aus, permanent zu versuchen, jemand Besonderes zu sein.

Schattenseite
Es ist die Schattenseite unseres Wohlstands, dass wir gelernt haben, dass für alles und jedes eine Dienstleistung zur Verfügung steht, die uns allen Unbehagens entledigt. Dass wir uns damit in vielen Bereichen selbst völlig entmündigt haben, entdecken wir erst langsam. Hauptsache, die Versorgung ist gesichert, die Sicherheit gewährleistet, die Ansprüche befriedigt. Was wir hingegen bräuchten, ist mehr Fürsorge statt Vorsorge, mehr Mut statt Sicherheit, mehr Fantasie denn belanglose Gewohnheiten. Und vielleicht haben wir auch ein Stück weit verlernt, für uns und andere zu sorgen. Wir haben die Zuständigkeiten schon lange aus der Hand gegeben, und klagen gleichzeitig über jene, die sie für uns übernommen haben: die Politik, die Bürokratie, die Technik.

Vielleicht ist ja eine der Aufgaben unserer Zeit, dass wir uns gegenseitig wieder befähigen und ermutigen, sich von der Not anderer berühren zu lassen, sich dem Ereignis des Sich-Erbarmens wieder zugänglich zu machen? Es geht letztlich um nichts weniger als um den jeweiligen konkreten Menschen, der mir begegnet: ungeplant, unvorbereitet, überfordert, auf der Suche nach wehmütiger Anteilnahme.

Sich berühren lassen, oder nicht?
Wir können es aber auch wie in der Geschichte des Samariters machen: vorbeigehen, sich auf die Umstände ausreden, sich gestört fühlen, weil anderes wichtiger ist, sich auf andere verlassen, die vielleicht noch die Straße entlangkommen, sich über die mangelnde Sicherheit beklagen, oder dem Darniederliegenden die Schuld geben, er hätte doch einen anderen, sichereren Weg wählen können. Nur ist es so, dass weder die Umstände noch die mangelnde Versorgung oder fehlende Absicherung in diesem einen Moment, wo ich einem notleidenden und hilfsbedürftigen Menschen begegne, helfen. Sondern lediglich unsere Entscheidung, sich berühren lassen zu wollen. Oder auch nicht.