Caritas-Direktor Walter Schmolly im KirchenBlatt-Gespräch über die Hungerkampagne, die Zukunft Afrikas und die Spiritualität des Berührbar-seins. Seine Botschaft: Es darf nicht sein, dass Kinder hungern müssen.

Das Gespräch führte Dietmar Steinmair

Herr Schmolly, welche Projekte unterstützt die Caritas Vorarlberg aus der Hungerkampagne?

Walter Schmolly: Die Caritas Vorarlberg unterstützt heuer ein Projekt in Tete im Nordwesten von Mosambik. Die Schwestern vom Kostbaren Blut sind dort schon seit Jahrzehnten unsere Partner. In ihren Tagesstätten erfahren Kinder ganzheitliche Unterstützung und Förderung, von der täglichen Mahlzeit bis zur schulischen Bildung.

Unsere Mitarbeiter, die Mosambik kürzlich besucht haben, berichten, dass sich die Gesamtsituation in diesem Land leider nicht zum Besseren verändert hat. Im Gegenteil: Das Umfeld unseres Partnerprojektes ist schwieriger geworden. Das überrascht insofern als Mosambik sich, gemessen an manchen Wirtschaftsdaten, in den letzten Jahren positiv entwickelt hat. Aber das kommt offensichtlich bei den Familien in der Projektregion nicht an. So wie das eben in vielen Ländern der Fall ist, in denen nicht funktionierende Systeme – beispielsweise im Bildungsbereich – erschreckend stabil sind.

Caritasdirektor Walter Schmolly und Dietmar SteinmairWo setzt die Caritas da an?

Schmolly: Wir wollen in diesem Projekt gemeinsam mit den Schwestern für die Kinder Inseln schaffen, in denen sie gefördert werden und sich entwickeln können. Wir vertrauen darauf: Wenn Kinder und Jugendliche dort die Erfahrung machen, dass es auch ein anderes Leben gibt, dann prägt sie das nachhaltig, und es wächst in ihnen auch die Kraft, später an den notwendigen Veränderungen der Gesellschaft mitzuwirken.

So wie in allen unseren Projekten arbeiten wir auch in Mosambik mit Menschen zusammen, die eine Veränderung wollen: Menschen, die das als ihre Berufung sehen und die mit viel Herz und großer Professionalität Not lindern und überwinden. Wenn man von außen helfen möchte, ist man auf solche Personen, Gruppen, Ordensgemeinschaften oder Einrichtungen angewiesen. Es braucht diese grenzüberschreitenden Netzwerke.

Was macht die Caritas, damit die Projekte nachhaltig bleiben?

Schmolly: Wenn die Kinder und Jugendlichen in diesen „Inseln der Hoffnung“ die Erfahrung machen, dass das Leben anders sein kann, dann gibt das eine Perspektive und dann ist ein Keim der Veränderung eingepflanzt. Die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen kann man aber nur verändern, wenn man Familien stabilisiert. Die Hauptakteurinnen in dieser Veränderung – vor allem, wenn es um die Sorge für die Kinder geht – sind dabei oftmals die Frauen.

Die Projekte von Hilfsorganisationen sind dennoch immer auch eingebettet in politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Wie schätzen Sie diese in Bezug auf Afrika ein?

Schmolly: Afrika galt lange als Kontinent der Hoffnung. Warum ist diese Entwicklung in vielen Ländern nicht gelungen? Die Gründe sind vielfältig, von korrupten Regierungen über den Klimawandel bis hin zu globalen Wirtschaftsbeziehungen. Wir brauchen da beispielsweise nur an die US-Subventionen für die heimische Baumwoll-Produktion oder an die EU-Agrarsubventionen für Tomaten oder Milch denken. Die gestützten billigen Exporte in den Süden zerstören die Märkte in Afrika.

Von den Folgen dieser Entwicklungen wird sich Europa nicht abschotten können. Wenn man diese Entwicklungen nicht will, wird man auch über die wirtschaftlichen Zusammenhänge nachdenken müssen. Aber natürlich auch über unseren Lebensstil, der auf die Lebenssituationen der Menschen in Afrika einwirkt.

Aber bei aller Komplexität dieser Situationen und der vielen Ursachen: Letztendlich steht oder sitzt oder liegt ein Kind vor dir, das Hunger hat. Das berührt und geht unter die Haut. Ich glaube, so geht es ganz vielen Menschen. Die Hungerkampagne ruft das in Erinnerung und ermöglicht etwas beizutragen, dass sich die Situation zunächst einmal für die einzelnen Kinder verbessert.

Ist das aber nicht nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein?

Schmolly: Man kann nicht die ganzen Systeme von heute auf morgen verändern. Was man aber sehr wohl von heute auf morgen kann, ist: Den einzelnen Kindern helfen. Es ist schön und wichtig zu sehen: Hilfe ist möglich und Hilfe wirkt. Dass die Hilfe wirkt, das sehen wir in unseren Projekten. Nehmen wir die Katastrophenhilfe vom letzten Jahr, die finanziert wurde aus der Hungerkampagne in Vorarlberg: In Meki in Äthiopien haben in der Schulausspeisung 800 Kinder mit Mitteln aus Vorarlberg täglich ein warmes Mittagessen bekommen. So konnten sie die Zeit der Dürre übertauchen, ohne dass sie nachhaltige Schäden aus dieser Hungerkatastrophe davongetragen haben.

Dass die Maßnahmen gegen den Hunger wirken, sieht man auch an den großen Statistiken: Seit 1990 hat sich der von Hunger betroffene Teil der Weltbevölkerung von 20 Prozent auf 10 Prozent halbiert.

Gibt es eine Chance, das noch weiter zu vermindern?

Schmolly: Die große Perspektive ist jene der „Sustainable Development Goals“ (Anmerkung: Gemeint sind die 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“), die die UNO 2015 für die nächsten 15 Jahre beschlossen hat. Eines davon betrifft die Ernährung. Bis 2030 soll es in unserer Welt keinen Hunger mehr geben, soll Ernährungssicherheit und qualitativ bessere Ernährung für alle Menschen gewährleistet werden und soll die Landwirtschaft sich nachhaltig und ökologisch entwickeln.

Afrika ist der Kontinent der Bauern. Zwei von drei Menschen leben von dem, was sie der Erde abgewinnen können. Eine gute Entwicklung dieses Kontinents hat vor allem mit der guten Entwicklung einer kleinstrukturierten und gut vernetzten Landwirtschaft zu tun, die die Menschen nicht wieder in Abhängigkeit von ausländischen Konzernen bringt.

Das ist aber auch eine Frage der Wirtschaftspolitik …

Schmolly: Ja, die Entwicklungszusammenarbeit und die Auslandshilfe müssen politischer werden und die Veränderungen fordern und unterstützen, die es auch bei uns in Europa braucht. Die Lebenssituationen in Afrika sind nämlich auch abhängig von Veränderungen bei uns. Die Dürrekatastrophen am Horn von Afrika sind mitverursacht durch die Klimaüberhitzung. Und diese fällt ja nicht vom Himmel oder ist einfach ein Schicksal, sondern ist vor allem auch das Resultat des Lebensstils in den nördlichen Gesellschaften. In Europa, in Österreich und in Vorarlberg müssen wir Verantwortung übernehmen und auf Wirtschaftsbeziehungen und einen Lebensstil hinarbeiten, so dass wir nicht auf Kosten anderer leben. Diesen Anteil der Auslandshilfe müssen wir künftig stärker in den Blick bekommen.

Braucht es eine andere Entwicklungszusammenarbeit auch aus dem Grund, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten?

Schmolly: Es wäre unangemessen, wenn man die Auslandshilfe im Gesamten instrumentalisieren würde zur Abwendung von Migration. Es geht um den Menschen und sein Recht auf ein würdevolles Leben. Das soll und darf man nicht für unsere Themen in Europa verzwecken. Aber natürlich: Menschen, die in ihrer Heimat keine Existenzmöglichkeit sehen, machen sich auf den Weg. Insofern gibt es da einen Zusammenhang.

Dass wir die Migrationsproblematik nicht durch Abschottung lösen, könnten wir eigentlich aus unserer europäischen Geschichte wissen. Mauern und Eiserne Vorhänge können die Probleme bestenfalls hinauszögern und verschleppen, aber letztlich spitzen sie sich immer mehr zu.

Wenn wir erfahren, dass ein hungerndes Kind uns anrührt und in Bewegung bringt, dann spüren wir das Maß des Menschlichen – das ist ein wichtiges Korrektiv gegenüber der Dynamik, die Europa derzeit auf politischer Ebene beherrscht. Die menschliche Verbundenheit endet nicht an der EU-Außengrenze.

Eine letzte Frage: Welche Spiritualität ist wichtig für die Arbeit der Auslandshilfe?

Schmolly: Dazu zwei Beobachtungen: Die Spiritualität hat für die notwendigen Veränderungen in den Ländern des Südens, aber auch bei uns im Norden, als Kraft für diese Veränderungen eine große Bedeutung. Das zeigt sich auch in der Rolle, die Ordensgemeinschaften, kirchliche Einrichtungen  aber auch einzelne Christinen und Christen in diesen Veränderungsprozessen gespielt haben und spielen. Die zweite: Die Erfahrung, dass die Not eines Anderen mich berührt und mich in die Pflicht nimmt - diese Erfahrung halte ich für eine zutiefst spirituelle. Wenn ich das Evangelium richtig verstehe, dann ist das die Kernerfahrung dessen, wie das Reich Gottes in der Welt ankommt. Die Antwort Jesu auf die Frage, was den Unterschied in meinem Leben macht, lautet immer wieder:  Sich von der Not des Anderen finden zu lassen.

Die Spiritualität des Mitfühlens und der Empathie ist eine Spiritualität, die ins Handeln und ins Teilen führt. Im Evangelium ist die Hilfe nicht dem Glauben als Folge nachgereiht, so als ob es zuerst den Glauben gäbe und man sich in der Konsequenz engagiert, sondern in den Erzählungen Jesu ist letztlich die Botschaft: Gerade in diesem Berührt-Werden, in dieser Offenheit, in dieser Berührbarkeit ereignet sich der Glaube. Das ist der Glaube, das ist Mystik, das ist Spiritualität.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 27 vom 5. Juli 2018)