In Armenien engagiert sich die Caritas Vorarlberg mit mustergültigen Projekten für Kinder in Not. Das größte ist „Emili Aregak - Emils Kleine Sonne“, wo die Uhren anders gehen, wie sich eine Gruppe von Journalisten aus Österreich überzeugen konnte. Kinder mit (Mehrfach-)Behinderungen im Alter von 2 bis 18 Jahren erfahren hier in einer liebevollen Atmosphäre ihren besonderen Wert. Hier scheint nicht nur die Sonne, sondern ein klein wenig vom Himmel wird für diese Kinder erfahrbar.

Wolfgang Ölz

Sara Stites ist als Freiwillige aus Los Angeles für die Pressearbeit in „Emils Kleiner Sonne“ zuständig und beschreibt das Betreten des Therapiezentrums so: „Sofort fühlt man die Wärme, nicht nur die physische, sondern auch die menschliche Wärme, die hier im Haus herrscht.“ Ein starkes Bild für ein Land, in dem das Thermometer bis zu minus 30 Grad anzeigt. Alleine schon der Duft des Holzbodens in dem Gebäude, in dem sich Vorarlberger Holzbau-Architektur und armenische Gestaltungselemente verbinden, lässt heimelige Gefühle entstehen. Bei der Eröffnung im September 2015 war die Photovoltaikanlage mit Erdwärmenutzung die größte ihrer Art im gesamten Kaukasus. Nicht gebrauchte Energie wird zu einem bestimmten Tarif ins öffentliche Netz eingespeist. „Emils Kleine Sonne“ nutzt die echte Sonne.

Wenn, dann richtig gut

Die Direktorin Tigranuhi Akopyan nennt „Emils Kleine Sonne“ ein Beispiel für die ganze Region. Immer wieder kommen Gäste aus Russland und den europäischen Ländern, besonders aus Österreich und Vorarlberg, um sich diesen „kleinen“ Ort anzusehen, an dem über hundert Kinder mit Mehrfachbehinderungen und ihre Eltern an ihrer Entwicklung arbeiten und ihre Chancen nutzen. Caritaspräsident Michael Landau streut Vorarlberg Rosen. Die hiesige Caritas leiste „super Arbeit und setzte tolle Projekte um“. Die Vorarlberger Caritas und mit ihr die Caritas Österreich treibe viel voran, was nicht zuletzt an „Emils Kleiner Sonne“ sichtbar werde. Hier zeigt sich, dass die Vorarlberger, wenn sie einmal ein Ziel vor Augen haben, dieses dann richtig gut („körig“) verfolgen. Auch die Vorarlberger Unternehmen, die viel Geld und Wissen für das Projekt einbrachten, beweisen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziales Engagement Hand in Hand gehen können.

Offen für alle

Das Förderzentrum „Emils Kleine Sonne“ ist das Gegenteil einer „Gated Community“, wo sich Reiche mittels Mauern und Zäunen von der Außenwelt abschirmen. Der Zugang ist nämlich offen, sodass auch die Kinder aus der Nachbarschaft den Spielplatz auf dem 28.000 Quadratmeter großen Außenbereich nutzen können. Die betreuten Kinder kommen ab 10 Uhr für mehrere Stunden, machen Therapien, essen um 12 Uhr zu Mittag und werden wieder nach Hause gebracht. 

Sprechen, gehen und Schach spielen

Das Therapieangebot umfasst Kunst-, Sport- und Ergotherapie sowie psychologische Beratung und Sport. Die Erfolge sind frappant. Hier wird mit jungen Menschen gearbeitet, die herkömmliche medizinische Institute in Armenien schon aufgegeben haben. Kinder, die an einen Rollstuhl gefesselt waren, machen auf einmal ihre ersten Schritte, Stumme sprechen plötzlich, oder ein autistisches, vollständig gelähmtes Kind lernt über den Augenkontakt das armenische Schulfach Schach. Im Sinne eines Empowerment-Programms organisieren sich die Mütter in Selbsthilfegruppen, drei arbeiten in der Küche mit. So werden Gefühle der Scham und Angst verarbeitet und das Selbstvertrauen der Kinder und ihrer Familien immens gesteigert.

Wer ist Emil?

Ein Erfolgsprojekt wie „Emils Kleine Sonne“ hat natürlich viele Mütter und Väter, gerade wenn es bewusst als Involvierungsprojekt mit breiter Beteiligung im Land angelegt ist.  Zu nennen ist zunächst vor allem der Namensgeber, der Vorarlberger Reiseunternehmer Emil Nachbaur, der, selbst im Rollstuhl, neben den unzähligen Privatspender/innen mit einer sehr großzügigen Spende 2010 die Grundlage geschaffen hat. Natürlich fließen auch Gelder aus dem Caritasbudget. Die Idee für das Vorhaben stammt von Norbert Mathis, einem ehemaligen Mitarbeiter der Caritas, der trotz Pensionierung täglich in der Auslandsstelle in Dornbirn arbeitet.

Eine lebendige Community

Unter den achtzig Firmen, die Vorarlberger Knowhow in den Kaukasus transferierten, sind der ehemalige Lecher Banker Bernd Fischer und seine Frau Klaudia als Bauleiter ganz besonders hervorgetreten. Auch die Landesregierung und andere Einrichtungen haben ihr Scherflein beigetragen. Es gibt außerdem eine lebendige Gemeinde, die mit Herz bei der Weiterentwicklung dabei ist.

Und schon neue Ideen

Robert Moosbrugger, der das Projekt seitens der Auslandshilfe der Caritas über viele Jahre intensiv begleitet hat, spricht davon, dass die Caritas Vorarlberg „Emils Kleine Sonne“ mittelfristig in eine Stiftung überführen will. So sollen der Bestand und die 40 Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. Auch die 35 Freiwilligen sind von großer Bedeutung. Über die Jahre sind die Mitarbeiter/innen für Robert Moosbrugger von Kolleg/innen fast zu Freunden geworden. Auch habe er schon ein nächstes Vorhaben im Kopf: Statt in den Privatwohnungen mit giftigem Müll zu heizen, möchte er das nutzlos verbrannte Stroh auf den Feldern den Bauern in großem Stil abkaufen und daraus hochwertiges, kostengünstiges Heizmaterial herstellen.

Armenien heute und damals

Geschichte und Gegenwart der Kaukasus-Republik

Armenien ist mit 29.800 Quadratkilometern ein relativ kleines Land. Die Kaukasus-Republik befindet sich östlich der Türkei und hat 3,5 Millionen Einwohner/innen. Ein Drittel der zehn Millionen ethnischer Armenier lebt in Russland, ein weiteres Drittel in der weltweiten Diaspora. Armenien gilt seit 301 als die erste christliche Nation. Heute ist die apostolisch-armenische Kirche die Mehrheit, die Katholik/innen sind mit ca. 325.000 Gläubigen eine Minderheit. Das große Erdbeben von 1988 in unmittelbarer Nähe der zweitgrößten Stadt des Landes, Gjumri, hat bis heute sichtbare Spuren hinterlassen. 30.000 Todesopfer, 30.000 Verletzte und eine halbe Million Menschen, die ihren Besitz verloren haben, so die schreckliche Bilanz dieser Katastrophe. Damals hat Österreich neben der Soforthilfe ein Kinderspital, Notquartiere und ein ganzes Dorf wiederaufgebaut.

Immer noch Russland

Armenien war die zweitreichste Teilrepublik der Sowjetunion. Die Computerbranche und die Chemieindustrie waren gut entwickelt und hatten mit der kommunistischen Welt einen guten Absatzmarkt. Heute gehen viele junge Männer nach Russland, weil die Arbeitslosenrate in Armenien bei 45 Prozent liegt. Die Energie bezieht Armenien aus einem einzigen Atomkraftwerk altsowjetischer Bauart. Zu zwei von vier Nachbarn hat Armenien konfliktreiche Beziehungen. Während zu Georgien und dem Iran die Grenzen offenstehen, ist die Grenze zur Türkei dicht, und mit Aserbaidschan führt Armenien seit Jahren einen Kampf um die Provinz Bergkarabach.

Extreme Kinderarmut

In den letzten Jahren fand eine langsame wirtschaftliche Aufwärtsbewegung statt. Das Wachstum liegt zwischen 5 und 7 Prozent. In der Millionen-Hauptstadt Jerewan wird investiert, große Konzerne errichten Standorte, während das Gebiet um Gjumri weiterhin sehr arm ist. Es ist kein Einzelfall, dass eine Mutter mit sechs Kindern mit 100 Euro im Monat durchkommen muss.

Neue Politik

Im April 2018 fand die sogenannte „samtene Revolution“ statt. Dieser Volksaufstand ohne Blutvergießen jagte die alte Nomenklatur aus dem Amt. Der neue Premierminister Nikol Paschinjan, der bei den Parlamentswahlen im Dezember 2018 mit einer großen Mehrheit ausgestattet wurde, gibt Anlass zu berechtigter Hoffnung. Die Bevölkerung vertraut ihm, auch weil er sich der Bekämpfung der Korruption verschrieben hat.

Geleugneter Völkermord

Das schwärzeste Kapitel in der Geschichte Armeniens ist der Völkermord von 1915-1917. Das Osmanische Reich tötete damals 1,5 Millionen Armenier/innen. Es gibt kaum jemanden, der damals keine Vorfahren verloren hat, trotzdem vermeiden manche westliche Politiker immer noch aus Kalkül, von einem Genozid zu sprechen, während Papst Franziskus bei seinem Armenienbesuch im Juni 2016 explizit von einem Völkermord sprach.

Das KirchenBlatt bietet von 18. bis 27. September 2019 eine Reise mit Pfr. Hubert Lenz nach Armenien an