Am Treppengeländer lehnt eine Matratze, auf einem Tisch steht eine Kiste mit Geschirr. Viel ist es nicht mehr, das noch getan werden muss – das Haus an der Römerstraße 23 in Bregenz ist so gut wie leer. Zum Ende des Monats schließt mit dem Haus Said die letzte Caritas-Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) in Vorarlberg. Beim Pressegespräch blickte man zurück und voraus.

Seit 2004 wurden 451 umF durch die Caritas Vorarlberg betreut, davon gut 60 Prozent in den vergangenen vier Jahren. Die meisten von ihnen stammen aus Afghanistan (198 Jugendliche) und Syrien (39 Jugendliche). In sieben Wohngruppen zwischen Vandans und Bregenz fanden sie ein Zuhause auf Zeit, lernten Deutsch (und Dialekt) und suchten, begleitet von BetreuerInnen, MentorInnen und Ehrenamtlichen, nach einem Platz in der Vorarlberger Gesellschaft. Weil viele von ihnen inzwischen volljährig sind und es seit einigen Monaten quasi keine Neuankömmlinge gibt, habe man sich entschlossen, die nun nicht mehr benötigte Infrastruktur vorläufig aufzugeben. „Mit der Aufnahme dieser geflüchteten Kinder und Jugendlichen hat Vorarlberg eine humanitäre Leistung vollbracht“, zeigte sich Caritasdirektor Walter Schmolly beeindruckt. Auch, wenn nicht jeder Integrationsweg geradlinig verlaufen sei, könne man im Land stolz auf das sein, was man erreicht habe.

Gemeinsam & füreinander

Das sieht Katharina Wiesflecker genauso, als Landesrätin u. a. für die Kinder- und Jugendhilfe zuständig: Der Umgang mit den Geflüchteten sei ein Beispiel an Gemeinsinn und Miteinander gewesen; Land, Gemeinden, Unternehmen und Zivilgesellschaft hätten so gut zusammengearbeitet wie selten. Mit dem Ergebnis, dass Vorarlberg z. B. beim UNHCR Österreich als Musterbeispiel für die Reaktion auf die hohen Flüchtlingszahlen seit 2015 gelte. Aber: „Auch wenn mit dem Haus Said eine der letzten Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schließt, bleibt unser aller Verantwortung für das Wohlergehen dieser Kinder und Jugendlichen bestehen“, so Wiesflecker. Rechtlich gebe es nämlich keinen Unterschied zwischen einheimischen und geflüchteten Jugendlichen – etwas, das man in Vorarlberg glücklicherweise nie ernsthaft habe diskutieren müssen.

Umso größer ist das Kopfschütteln über die Entscheidungen des Bundes, die Ausbildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge massiv einzuschränken und auch Abschiebungen von Lehrlingen durchzusetzen. „Das ist ein menschlicher und unternehmerischer Wahnsinn“, meint DI Joachim Alge von der i+R-Gruppe, die 13 Mitarbeiter aus Afghanistan, Syrien, Sri Lanka und Somalia beschäftigt – vier als Auszubildende, weitere als Bauhelfer und einen als Bautechniker. Gerade in Vorarlberg würden Fachkräfte händeringend gesucht – und die jugendlichen Flüchtlinge brächten eine Motivation und Einsatzbereitschaft mit, die nicht zuletzt seine Poliere beeindruckt hätte. Bei acht seiner Mitarbeiter laufe der subsidiäre Schutz allerdings demnächst aus, und er wisse nicht, ob er sie aufgrund von Abschiebungen verliere. Mit ihnen: die Ressourcen, die er in ihre Ausbildung investiert habe.

Dass man sich hierzulande allein aus „Vernunftgründen“ zu etwas wie dem 3+2-Modell à la Baden-Württemberg durchringt, wünscht sich auch Wiesflecker: Lehrlinge sind dort nicht nur im Laufe ihrer dreijährigen Ausbildung vor Abschiebung geschützt, sondern erhalten auch die Möglichkeit, weitere zwei Jahre im Land zu arbeiten. „Das ist eine Win-Win-Situation für alle“, so die Landesrätin: „Es profitieren die Unternehmen, die in die Ausbildung von Fachkräften investieren, es profitieren Sozialsysteme und Gesellschaft, und es profitieren die Flüchtlinge selbst.“

Friede, Freude, Ziele

„Friede“, „Freude“ und „Ziele“ haben die Bewohner in großen Druckbuchstaben in drei der Fenster des Haus Said geschrieben. Es sind die drei Erfolgsfaktoren von Integrationsarbeit, weiß Bernhard Klisch, Bereichsleiter Flüchtlingshilfe der Caritas. Wer sich angenommen und angekommen fühle, wer wisse, wofür er sich eine fremde Sprache, fremde Gepflogenheiten aneigne, habe viel größere Chancen, sich einzuleben und etwas zurückzugeben, als jemand, den man mit allem alleine lasse, meint Klisch.

Auch darum sei es so wichtig, schnell klare Verhältnisse zu schaffen und die Dauer der Asylverfahren zu beschleunigen. Nicht nur für Flüchtlinge wie den jungen Malerlehrling Mahdi Hassani aus Afghanistan sei die Ungewissheit extrem schwer zu ertragen, auch für Unternehmer sei die ungeklärte rechtliche Situation ein Einstellungshemmnis, verweist Walter Schmolly auf eine Umfrage unter österreichischen Unternehmern.

„Selbst wenn die Zahl der Asylwerber in Österreich drastisch gesunken ist – weltweit sind die Flüchtlingszahlen so hoch wie nie und einer der Hauptfluchtgründe sind Klimaveränderungen“, ergänzt er. Die Ursachen dafür seien jedoch nicht in den Herkunftsländern zu suchen, sondern in den westlichen Industrienationen. „Wir alle tragen Verantwortung und müssen uns fragen, wie wir damit umgehen“, so Schmolly.

Mehr dazu

  • Von 2004 bis Juni 2019 wurden 451 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge durch die Caritas Vorarlberg betreut, davon 274 seit 2015. Sie wurden in sieben Wohngruppen untergebracht.
  • Von den 108 derzeit in Vorarlberg noch betreuten umF sind 52 Asylwerber, 49 subsidiär schutzberechtigt und 7 Konventionsflüchtlinge (Stand: 18. Juni 2019).
  • 2017 und 2018 haben 45 umF eine Bildungsmaßnahme (Pflichtschulabschlusskurs, Übergangsklasse) begonnen und 18 umF eine Lehre.
  • In den WGs wurden zahlreiche Projekte und Workshops durchgeführt: Sexualpädagogische Workshops, Kunstprojekte im Kunsthaus Bregenz mit Marco Ceroli, Präventivschulungen durch die Landespolizeidirektion.