Wenn man Michael Zündel zuhört, kann man den Eindruck gewinnen, dass die Dinge in Äthiopien eigentlich ganz einfach sind: Wer genug zu essen hat und ein Auskommen, hat auch einen Kopf für Bildung und Weiterentwicklung – was am Ende allen nützt. Nur: Ausgerechnet einfach ist die Sache nicht. Natürlich nicht.

Wenn es so wäre, litten im Land am Horn von Afrika nicht mehr als zwei Millionen Menschen Hunger – schon wieder. Wenn es so wäre, hätten ausländische Investoren wie die aus China nicht ein so leichtes Spiel. Wenn es so wäre, wäre Zündel ohne Job.

Michael ZündelMichael Zündel ist Mitarbeiter der Auslandshilfe der Caritas Vorarlberg und seit 14 Jahren hauptamtlich für alle Bildungsprojekte zuständig. Rechnet man auch die Jahre seines ehrenamtlichen Engagements hinzu, blickt er auf 24 Jahre Erfahrung zurück. Man kann also sagen: Er kennt Land und Leute. Und beobachtet zweierlei – erstens: Der Klimawandel ist in der Sahelzone angekommen. „Die Häufigkeit der Dürren hat sich in letzten 15 Jahren stark verschärft. Früher gab es im Schnitt all sieben bis acht Jahre zu wenig oder keinen Regen, heute passiert das alle drei Jahre.“ Und zweitens: Bildung wirkt. War das Verhältnis von Buben und Mädchen in den Schulen in seinen ersten Jahren bei der Auslandshilfe noch deutlich unausgewogen, bewege man sich zumindest in den Partnerschulen der Organisation inzwischen in Richtung Parität. Mit weitreichenden Folgen – für die einstmals noch problematischere Stellung der Frau, für die Unabhängigkeit der Menschen von Einflüsterungen aller Art, für die Entwicklung eines ganzen Landes.

Zwei großen Krisen auf einmal

Dem geht es gerade nicht so gut: Die Corona-Pandemie hat Millionen Tagelöhner/innen über Nacht die Lebensgrundlage entzogen, weil sie beispielsweise in ihren Jobs als Hausangestellte nicht mehr willkommen waren oder Lockdowns die Arbeit auf den Blumenfarmen zum Erliegen gebracht haben. Menschen, die bis dato von weniger als einem Euro Verdienst am Tag haben leben müssen, stehen mit nichts mehr da.

Dazu kommt der Konflikt in der Region Tigray, durch den rund 2,5 Millionen Menschen in dem abgeriegelten Landesteil Haus, Hof und Einkommen verloren haben und akut vom Hunger bedroht sind. Aber auch der Rest Äthiopiens bekommt die Auswirkungen des Bürgerkriegs zu spüren. Weniger durch konkrete Ereignisse, denn nach Einschätzung Zündels seien viele Äthiopier/innen aufgrund von Nachrichtensperren schlechter über die Situation in Tigray informiert als manche/r Medienkonsument/in im Ausland, aber durch eine diffuse Ungewissheit und massiv gestiegene Preise für Nahrungsmittel und Produkte des täglichen Bedarfs. Die Inflation sei heftig: Bekam man für einen Euro bis vor einem Jahr 32 der Landeswährung Birr, sind es inzwischen 53. Selbst Lehrer/innen reiche ihr Verdienst von umgerechnet rund 60 Euro im Monat inzwischen nicht mehr, um alle Kosten zu decken.

Man war schon weiter

Dabei ging es in den vergangenen Jahren eigentlich bergauf. Daran haben nicht zuletzt die aggressiven Investitionen aus Nationen wie China ihren Anteil, die für Zündel das Geschmäckle des Neokolonialismus tragen, weil die Bevölkerung Äthiopiens allenfalls marginal von solchen ausländischen Industrie- und Großanbauflächen profitiert. Dennoch: Es passierte was. Ein Krieg wie der in der im Norden allerdings werfe das Land wieder weit zurück.

Ein Ziel der Auslandshilfe sei es darum, den Äthiopier/innen ein Leben in Eigenständigkeit zu ermöglichen – gewissermaßen als Gegenbewegung zum wachsenden Einfluss aus dem Ausland. Dazu konzentriere man sich auf vier wesentliche Bereiche: Projekte zur Etablierung einer „wetterfesten“ und ökologischen Landwirtschaft, den Ausbau von Bildungsprojekten, insbesondere für Mädchen und Frauen, die in vielen der 82 verschiedenen Ethnien des Landes traditionell die Hauptlast des Daseins tragen – von Haushaltsführung über Kindererziehung bis Einkommenserwirtschaftung und Wasserbeschaffung. Außerdem versuche man die medizinische Versorgung weiter auszubauen, um Mütter- und Kindersterblichkeit zu reduzieren.

Dranbleiben – komme, was wolle.

Mammutaufgaben. An denen man verzweifeln könnte – wäre man anders gestrickt als Zündel, der sich selbst einen „hoffnungslosen Optimisten“ nennt. Viele Erfolge – kleinere, mittlere, größere – seien schließlich erst in der Retrospektive zu erkennen. Und: „Entwicklungsarbeit ist keine Einbahnstraße, sondern ein Geben und Nehmen.“ Vor allem bedeute Entwicklungshilfe, zuzuhören und hinzusehen. Auf die Gegebenheiten vor Ort, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen. Und sie bedeute, Projektideen in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort bei Bedarf auch einfach mal umzuwerfen. Nicht in der Katastrophenhilfe freilich. Wo es an Wasser, Nahrung und sanitärer Versorgung fehle, müsse man nicht lang diskutieren. An anderen Stellen dafür schon. „Wir lernen gemeinsam“, sagt Zündel. Was helfe: „Die Äthiopier sind Neuerungen gegenüber viel aufgeschlossener als wir.“

Etwas, dass er auch dem Rest der Menschheit wünscht. Weil wir eben in einer globalisierten Welt leben. Weil es darum definitiv auch etwas mit uns zu tun hat, wenn eine weitere Dürre die Sahelzone verheert und sich ein Virus wie Covid-19 nahezu ungehindert über einen ganzen Kontinent ausbreiten kann; unter munterer Mutationstätigkeit. Weil das Mittel und die Kalorien vorhanden wären, um die Weltbevölkerung zu ernähren – und trotzdem alle zehn Sekunden ein Kind an Hunger stirbt. Weil eigentlich alles ganz einfach wäre, wenn wir uns nur ein bisschen solidarischer zeigten. Und nicht erst dann, wenn es uns ganz persönlich betrifft.

Spenden für die Menschen in Äthiopien und der Region Tigray

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Kennwort: Hungerhilfe 2021
Online-Spenden: www.caritas-vorarlberg.at