Burkina Faso? Ja - Afrika, irgendwo da. Eher links, oder? Nein, Kennelbach, ein Wohnzimmer, eine filmreife Geschichte und Hartmut Dünser. Seit 20 Jahren baut er Brunnen in Afrika - in Burkina Faso. Und heuer wird er dafür mit dem Romeropreis der Katholischen Männerbewegung ausgezeichnet.

Herr Dünser, warum tun Sie, was Sie tun?
Hartmut Dünser: Weil es für mich einfach schon immer Afrika war. Das hat mich angezogen. Ich kann dazu vielleicht eine Geschichte erzählen, die es besser erklärt. 2017 starb Louis Tankoano, mein langjähriger Projektpartner vor Ort, vor allem aber ein echter Freund. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte und wer seinen Platz einnehmen sollte. Zwei Wochen später bin ich nach Afrika gereist und habe dort einen ehemaligen Mitarbeiter in unseren Werkstätten getroffen. Er hatte - etwas weiter weg - einen guten Job mit einem Einkommen von 300.000 CFA-Francs (Anm. rund 460 Euro). Ich habe ihn gefragt, ob er die Aufgaben von Louis übernehmen möchte und war überrascht, als er "Ja" sagte. Wir konnten ihm zwar nur 200.000 CFA-Francs bezahlen, nahmen aber an, dass er dafür ja auch näher an unsere Station ziehen werde, usw. Nach einiger Zeit fiel mir bei der Kontrolle der Abrechnungen auf, dass da nie diese 200.000 CFA-Francs auftauchten. Also habe ich ihn gefragt, was da los sei. Er antwortete mir: "Ich möchte kein Geld dafür."

Das ist an sich schon eine außergewöhnliche Geschichte, angesichts der Situation in Burkina Faso ist sie aber noch um einiges beeindruckender. 
Dünser:
Wenn man weiß, dass die Menschen in Burkina Faso jeden Tag um ihre Existenz kämpfen müssen, dass es deshalb ganz selbstverständlich ist, dass sie zunächst einmal an sich denken, dann ist dieser Satz noch außergewöhnlicher. Und so war es auch mit mir und einer Arbeit. Es hat lange gedauert, bis die Menschen in Diapaga, der Stadt, in der wir mit unseren Projekten begonnen haben, verstanden habe, warum ich tue, was ich tue. Nach ca. fünf Jahren kam einer von ihnen zu mir und sagte: "Jetzt weiß ich, warum du kommst, du kommst für die Ärmsten." Gut, meine Abenteuerlust, mein eiserner Wille und mein Ziel, immer Neues zu lernen, haben sicher auch dazu beigetragen, dass ich nun seit 20 Jahren für die Menschen in Burkina Faso arbeite. Wissen Sie, ich bin nämlich eigentlich ein sehr ungeduldiger Mensch, aber in Burkina Faso, da habe ich gelernt, was es heißt, geduldig zu sein.

Sie haben gesagt, dass es für Sie schon immer Afrika war. Erinnern Sie sich noch, als Sie zum ersten Mal in Burkina Faso landeten?
Dünser: Da war dieser Geruch nach Holzfeuern. Er war überall. Bei uns kennt man ihn kaum noch. Und natürlich war es warm, heiß, wie bei uns nur im Hochsommer. Es war überwältigend. Am nächsten Morgen bin ich ganz früh aufgestanden und habe mir - allein, ohne die Gruppe, mit der ich gereist bin - die Hauptstadt Ouagadougou ein bisschen angeschaut. Da habe ich die Straßen gesehen, und die Hütten und ich konnte nicht glauben, dass dort Menschen leben.

Sie haben dann auch lokale Organisationen besucht und dabei Ihren späteren Projektpartner Louis Tankoano kennengelernt.
Dünser: Stimmt, wir haben die Organisation "Tin Sedi" besucht. "Tin Sedi" bedeutet in der Sprache der Gourmantché so viel wie "Wir richten uns auf". Louis war der Partner vor Ort und ziemlich schnell habe ich gesehen, dass die guten Projekte und Ideen mehr Wollen als etwas anderes sind. Als dann klar war, dass wir mit unserer "Runde Eine Welt" mit "Tin Sedi" zusammenarbeiten, haben wir Stück für Stück begonnen, Louis' Träume zu verwirklichen.

Womit fängt man da an?
Dünser: Wir haben Brunnen gebaut, Dämme, später kamen Getreidemühlen dazu, die von Frauen betrieben werden und Alphabetisierungskurse. Landflucht war ein großes Thema, von dem viele Dörfer betroffen waren. Also haben wir die Menschen vor Ort gefragt, was sie lernen wollen. Maurer und Zweirad-Mechaniker waren die Wünsche der Männer, eine Ausbildung zur Schneiderin, war unserer. Man muss wissen, Schneider ist in Burkina Faso ein Beruf, den nur Männer ausüben und wir haben ihnen gesagt, nein, das können auch die Frauen und wir zeigen ihnen, wie. 

Die Brunnen, die Sie bis heute noch bauen, standen ganz am Anfang.
Dünser: Ja, und das ist auch wichtig. Man muss sich vorstellen, dass es Wasser, das nicht verseucht ist, so in Burkina Faso eigentlich nicht gibt. Die Frauen holen das Wasser aus Wasserlöchern. Es sind wirklich Löcher. Schweine suhlen sich darin, Kühe liegen im und am Wasser. Und dann tragen die Frauen die schweren Wasserbehälter kilometerweise zurück in ihr Dorf und zu ihren Hütten. Mit einem Brunnen ist dann zum ersten Mal für diese Menschen sauberes Wasser da. Unsere Brunnen werden übrigens bis heute von Hand gegraben. Und sobald der Brunnen da ist, entstehen Gärten. In den Gärten wachsen Nahrungsmittel, die gesund sind und die man auch auf dem Markt weiterverkaufen kann. Und damit verdienen Frauen zum ersten Mal ihr eigenes Geld.

In Vorarlberg waren Sie Berufschuldirektor - und auch in Burkina Faso haben Sie damit begonnen, Ausbildungsstätten aufzubauen.
Dünser: Die Idee einer "Berufsschule" kam mir ziemlich bald. Und, wie gesagt, wenn ich von etwas überzeugt bin, dann hilft mein eiserner Wille auch dabei, das umzusetzen. Wir haben also ein Ausbildungszentrum ausgebaut und dort in den vergangenen Jahren rund 70 Maurer, 100 Mechaniker und ca. 90 Schneiderinnen ausgebildet. Dann kamen die Getreidemühlen, wobei ich mich lange gegen sie gewehrt habe. Warum? Zu oft habe ich Traktoren in den Straßengräben liegen sehen. Sie waren völlig in Ordnung, bis auf ein Ersatzteil, das fehlte und das dann nicht zu bekommen war. Deshalb war ich skeptisch gegenüber allem, was sich nicht leicht vor Ort organisieren ließ. Aber mit den Getreidemühlen haben wir dann ja noch einen anderen Kurs verbunden - das war ein bisschen ein Trick.

Sie meinen, Sie haben da noch ein größeres Ziel verfolgt - und erreicht?
Dünser: Ja. Stellen Sie sich vor. Es gab damals Alphabetisierungskurse. Ob eine Frau diesen Kurs besuchen durfte, bestimmte aber immer noch der Mann. Was meinen Sie, wie viele Frauen so einen Kurs machen konnten? Mit den Getreidemühlen änderte sich das. Unsere Mühlen wurden nämlich von Frauen gemanagt. Um das aber tun zu können, mussten sie lesen und schreiben können. Und da sich mit den Mühlen Geld verdienen ließ, hatten die Männer nichts mehr dagegen, dass ihre Frauen lesen und schreiben lernten. 19 Kurse im Jahr halten wir jetzt ab und haben so mehr als 1500 Frauen alphabetisiert. 

Hat das die Frauen bzw. Ihre Zusammenarbeit mit den Frauen verändert?
Dünser: Sehr sogar. Die Frauen wurden selbstbewusster, trauten sich, Fragen zu stellen und von nun an lief die Kommunikation meist direkt zwischen ihnen und uns. Ich muss sagen, ich bewundere diese Frauen bis heute. Sie saßen in den Klassen, die kleinsten ihrer Kinder hatten sie bei sich - natürlich, wo hätten sie auch bleiben sollen. Im besten Fall schliefen die Kinder, im schlimmsten schrien und weinten sie. Und da saßen diese Frauen und lernten.

Von Diapaga aus betreuen Sie mit Ihren Projekten und Partnern vor Ort heute rund 60 Dörfer. Wie viele waren es am Anfang und wie soll es weitergehen?
Dünser: Angefangen haben wir mit 15 Dörfern. In jedem Dorf leben rund 500 Menschen. Die Dörfer liegen in einem Umkreis von rund 20 Kilometer um Diapaga. Das ist, hin und retour, eine Tagesreise. Natürlich bekommen wir auch Anfragen von weiter und weit entfernten Dörfern, aber das geht dann leider nicht mehr.

In all den Jahren waren Sie regelmäßig und über Monate in Afrika. Was sehen Sie, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?
Dünser: In den ersten fünf Jahren habe ich ein Zimmer bei einer Schwestergemeinschaft gemietet. In Europa wäre mein Zimmer wohl höchstens als Schweinestall in Frage gekommen. Es war unbeschreiblich. Später habe ich mir dann eine eigene Hütte gebaut. Die Verbindungen nach Hause waren schlecht und oft konnte ich mit meiner Frau wochenlang nicht telefonieren. Wenn ich auf die letzten, rund 20 Jahre zurückblicke, dann ist da vor allem Freude - und ein bisschen Angst, dass dieser Einsatz in Burkina Faso ein Ende haben wird, denn das wird es.

Warum?
Dünser: Ich habe keinen Nachfolger. Das Französische ist oft auch für viele eine Hürde und in Burkina Faso an sich wird es immer unruhiger.

Was lässt Sie dennoch weitermachen?
Dünser: Die Menschen, die ich treffe. An ihnen sehe ich, was sich verändert hat. Oft ist es auch einfach nur die Freude, dass jemand zu ihnen kommt. Ich erinnere mich da an eine junge Frau, die ich auf der Straße sah. Sie strahlte und in den Händen hielt sie ihr Kind, das sie gerade vor ein paar Stunden geboren hatte. Sie kam zu mir und ließ mich ihr Kind halten. Oder ich erinnere mich an die Frau, die ich in einer Ecke sitzen sah. Am Leib keine Kleidung, nur Fetzen. Ich habe sie gefragt, was sie tun würde, wenn sie Geld hätte. Sie meinte, sie würde sich eine Mahlzeit kaufen. Eine Mahlzeit, muss man wissen, kostet in Burkina Faso umgerechnet ca. 50 Cent. Das lässt mich weitermachen.

Wie hat Ihre Arbeit Ihre Sicht auf Europa und Afrika verändert?
Dünser: Dazu fällt mir eine Begebenheit ein. Es war auch auf einem Markt. Ein Mann, ein weißer Mann in Anzug, reicht einem farbigen Kind eine Banane. Und das Kind hält die Banane in seiner Hand. Wenn ich mich daran erinnere, frage ich mich immer, ob wir den Menschen in Afrika nicht genau das schenken, was ihnen doch eigentlich schon immer gehört hat? Sie haben ein Recht darauf.