Predigt von Bischof Benno Elbs am Hochfest der Geburt Christi, 25. Dezember 2017, im Dom St. Nikolaus, Feldkirch

Liebe Schwestern und Brüder!

Worauf wartest du? Diese Frage habe ich im Advent jungen Menschen gestellt. Ihre Antworten konnte man auf meinem Instagram-Account jeden Tag in einer Art Adventkalender mitverfolgen. „Ich warte bis die Zeit, nach all der Hektik, wieder für einen kurzen Moment stillsteht und der Liebe einen Platz gibt“, schrieb etwa Levin. „Wie warten auf Schnee, weihnachtliche Dekoration, Ferien, Adventwanderungen, Festessen. Und, natürlich: Auf die Geburt Jesu“, hieß es im Posting von Jugendlichen aus Lustenau. Ja, was feiern wir heute an Weihnachten?

Ein Stall und eine Krippe in einem kleinen Nest im nahen Osten – das ist der Ort, an dem Jesus geboren wird. Und das ist auch der Ort jenes Geschehens, das die Geschichte der Menschheit in ein Davor und ein Danach (vor und nach Christus) einteilt. Ein Stall, eine Krippe – einer Art Futtertrog – und rundherum herum alles, was zu einem Stall gehört an Gestank und Schmutz. Und nun wiederhole ich den vorhergehenden Satz, aber jetzt mit einem Fragezeichen: Das soll der Ort sein, an dem der Erlöser der Welt geboren wurde? Wäre ein Palast nicht passender? Statt Ochs und Esel eine Schar Diener, statt dem Stallgeruch der Krippe ein wohlriechendes Salböl: wäre das nicht angemessener, um Jesus auf Erden zu empfangen? Demgegenüber stellt sich verstärkt die Frage: Diese unscheinbar anmutende Geburt soll die Antwort, die Wahrheit sein, über die hinaus es keine Antwort und Wahrheit gibt?

Die Antwort des heutigen Festtages lautet eindeutig: Ja! Denn was sich hier vollzieht, ist eine Revolution – eine Revolution Gottes. Revolution heißt wörtlich: Umsturz, Umwerfung, radikale Änderung, sodass danach nichts mehr so ist wie davor. Gott wird Mensch – wir haben uns an diesen Satz gewöhnt und denken uns dabei nichts Besonderes. In Wahrheit aber drückt er eben das aus: eine Revolution.

Diese Revolution von Weihnachten, dieser heilige Umsturz Gottes, ist eine Botschaft, die auch uns „umwerfen“ soll. Sie kann uns aufrichten und herausfordern, in jedem Fall aber revolutioniert Weihnachten die Ordnung, das Denken und das Leben. Drei Etappen dieser Revolution möchte ich aufzeigen:

1. Gott ist unter uns – der Himmel kniet nieder

Am Beginn dieser Revolution Gottes steht nicht ein Zeichen der Macht und des Stolzes, sondern die reine Demut. In der Geburt Jesu beugt sich Gott zu uns Menschen herab, gibt in gewisser Weise sein Gott-Sein auf (vgl. Phil 2,6f.), um den Ärmsten von uns nahe zu sein: jenen, die – wie er bei seiner Geburt – im Dreck leben müssen. Das bedeutet: Gott wird an Weihnachten nicht nur Mensch, um als Mensch unter uns Menschen zu sein. Er wird auch Mensch, um weiter unten zu sein als viele von uns, weil er sich klein macht und erniedrigt bis ins Letzte. Aus Liebe zum Dasein unter uns, aus Sympathie und Liebe zu den niedrigsten sozialen Schichten, wird er Mensch. Ein größerer Abstieg Gottes ist eigentlich nicht denkbar. In diesem Sinn kann man sagen, dass der Gott des Christentums ein „heruntergekommener“ Gott: heruntergekommen vom Himmel, heruntergekommen aber auch, weil er auf alles verzichtet hat, was zum Gott-Sein gehört: Ehre, Macht, Ruhm und Majestät. Das ist die erste Dimension der Revolution von Weihnachten.

Die Schriftstellerin Christine Lavant fragt in ihrem Gedicht „Es riecht nach Schnee“: „Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzu-kommen.“ Die weihnachtliche Antwort auf diese Frage heißt: JA! Berührend konnte ich das in den letzten Tagen erleben beim Besuch im Gefängnis in Feldkirch. Hier haben wir, begleitet von schöner weihnachtlicher Musik, das Weihnachtsfest mit den Gefangenen gefeiert. In vielen Augen sind Tränen gestanden. „Harte Jungs“ waren tief gerührt. Machen manche von ihnen wohl die Erfahrung, nicht herauszukommen aus einer Verstrickung in Schuld, Kriminalität oder Sucht? Und genau hier ist diese Botschaft so lebensnah: Der Himmel kniet sich nieder, gerade auch zu diesen Menschen.

Oder ich denke an einen Besuch im Krankenhaus, wo ein junger Mensch mit sich selbst ringt. Er leidet an einer Essstörung, die zu einem lebensbedrohlichen Gewichtsverlust führt. Obwohl er es eigentlich möchte, schafft er es nicht, aus diesem Kreislauf von Essen, Erbrechen und Nahrungsverweigerung herauszukommen. Ohnmacht steht in den Augen dieses jungen Menschen. Und auch hier gilt der Satz: Gott, der Himmel kniet sich nieder. Ja, Weihnachten heißt: Gott ist unter uns, er ist tiefer als jedes menschliche Leid.

2. Gott mit uns

Ein zweiter Schritt führt uns zu einer Verheißung aus dem Buch Jesaja. Dort wird angekündigt, dass der Messias geboren und den Namen Immanuel tragen wird. Das heißt übersetzt: Gott mit uns (vgl. Jes 7,14). Unsere Hoffnung, dass Gott nichts Menschliches fremd ist und in allen Momenten unseres Lebens an unserer Seite steht, gründet sich in diesem Satz: Gott ist ein Gott mit uns. Oder, wie es der große Theologe Karl Rahner formuliert hat: „Vom Gott, den wir in Christus bekennen, muss man sagen, dass er genau da sei, wo wir sind […].“  Gott ist da, wo wir sind: Auch hier wird das von alters her überlieferte Gottesbild befreiend aufgebrochen: Götter waren immer anders als die Menschen und es gab keine Möglichkeit, mit ihnen in Beziehung zu kommen. Bei Christus ist das aber völlig anders: Er ist kein abgehobener Weltenherrscher, sondern – ein Kind.

3. Gott ist für uns

Führen wir uns nochmals die Szene des Weihnachtsevangeliums nach Lukas vor Augen. Jesus wird in einem Stall geboren. Davor mussten seine Eltern die Erfahrung machen: Wir sind nicht willkommen! Ausgestoßen, allein und obdachlos suchen sie Zuflucht in einem Stall. Ich frage mich, ich frage euch: Stehen wir manchmal in unserem Leben nicht auch so ähnlich da? Sind nicht auch wir manchmal die Unerwünschten, die Unverstandenen, die Isolierten, die Einsamen. Bin nicht auch ich manchmal derjenige, der in einem toten Winkel kauert und sagt: Die anderen interessieren sich nicht für mich? Wie es mir geht, lässt die anderen kalt? Und habe dabei das Gefühl: Meine vielleicht manchmal schüchternen Hilferufe verklingen ohne Widerhall im Lärm der Welt? Oder vielleicht sind auch wir es, die bei anderen solche Gefühle der Ausgrenzung auslösen?

Dass Gott Mensch wird, heißt aber genau das Tröstliche: Ich bin für dich da! Ich interessiere mich für dich, obwohl ich nichts davon habe. Nur weil du es bist! Gott steigt ein in unser Leben und gibt den Rechtlosen das Recht, den Würdelosen die Würde zurück und macht uns alle zu Kindern Gottes. Gott wurde Mensch, damit der Mensch vergöttlicht wird. Dieser Satz aus der alten Kirche beschreibt am besten, was das Schlagwort Gott-für-Uns bedeutet: Das Interesse Gottes gilt uns allen. Dann ändert sich, revolutioniert sich das Leben. Dann ist jede und jeder von uns in den Augen Gottes kostbar und erlangt eine göttliche Würde. Dann bleiben wir zwar mit beiden Beinen am Boden und im Leben, aber wir werden zu einem Wohnraum jenes Gottes, der für uns Mensch geworden ist. Wir sind ein Tempel des Heiligen Geistes. Wir sind eine Krippe für das Gotteskind. Das macht unser Zimmer hell.


Wenn wir auf das bisher Gesagte zurückschauen, können wir zusammenfassen: Weihnachten ist ein umwerfendes Fest! Es wirft unser Denken und unsere Vorstellungen um und revolutioniert unser Leben von Grund auf. „Darum versprach der Herr selbst ein Zeichen der Liebe und Güte […], damit sich alle, die weder Macht noch Weisheit erschreckt, wenigstens durch das Angebot der Liebe anziehen lassen.“ (Bernhard von Clairvaux )

An Weihnachten revolutioniert Gott die Welt. Denn seit der Geburt Jesu ist die grenzenlose und sich verschenkende Liebe Gottes unter uns, mit uns und für uns da.