Bischof Benno Elbs diskutierte im Beisein von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Landeshauptmann Markus Waller beim EU-Kongress in Bregenz über ein wichtiges europäisches Thema: Subsidiarität.

Subsidiarität – dahinter verbirgt sich nicht das Unwort des Jahres 2018, sondern ein zentraler Begriff der katholischen Soziallehre, der zu einem Grundpfeiler der europäischen Gemeinschaft geworden ist. Schnell erklärt: Es geht darum, wie das Zusammenspiel zwischen einer kleinen und einer großen Einheit möglichst effizient geregelt werden kann. Also konkret: Wie sollen Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Pfarren und Diözese, einzelnen Staaten und der Europäischen Union geregelt und verteilt werden? Wer soll was entscheiden? Zweifellos eine Gratwanderung…

Thema und Begriff sind auf den ersten Blick zwar sperrig, aber bedeutsam. Der österreichische EU-Ratsvorsitz hat sich darum zum Ziel gesetzt, die Sensibilität für dieses Thema zu erhöhen und dazu einen zweitägigen Kongress im Festspielhaus Bregenz veranstaltet. Subsidiarität berührt zwar im Innersten die Verfassung der EU, die Umsetzung dieses Prinzips ist allerdings nicht in allen EU-Staaten gleich ausgeprägt. Gesprächsbedarf war also gegeben.

Subsidiarität funktioniert!

Zur Podiumsdiskussion geladen war auch Bischof Benno Elbs. Er betonte gleich zu Beginn, dass sich das Subsidiaritätsprinzip in der Kirche seit langem bewährt hat, und erklärt: „Es geht um einen fairen Ausgleich zwischen Regionalität und Zentralismus: Die kleinere Einheit regelt das, was sie selber regeln kann. Und die größere Einheit kommt zu Hilfe, wenn die kleinere mit ihren Ressourcen an Grenzen stößt.“ Um dieses Grundanliegen in die Tat umzusetzen, sind laut Bischof Benno gegenseitiges Vertrauen und die stetige Bereitschaft zu Dialog und Austausch unbedingt notwendig. Und: Es braucht ein gemeinsames Fundament, mit dem sich alle identifizieren können. Auf Ebene der EU sind dies für den Feldkircher Bischof die großen Gründungsgedanken: Humanität, Menschenrechte, Demokratie und vor allem Frieden. Zu alldem könne auch das Christentum wichtige Impulse liefern: etwa in der Schaffung inklusiver Räume, in der Pflege echten Dialoges, in der Achtung der Würde jedes Menschen. Besonders dürfe man im Gespräch mit jenen Generationen, die die grausame Realität des Krieges nicht mehr erlebt haben, nicht müde werden zu betonen: Europa ist ein einzigartiges Friedensprojekt!

Subsidiarität – aber nicht nur!

Auf die Frage, was Subsidiarität konkret bedeute, rief Bischof Elbs einen wichtigen Punkt der katholischen Soziallehre in Erinnerung: Subsidiarität kann es nur geben im Zusammenspiel mit anderen Prinzipien, besonders mit der Grundhaltung der Solidarität. „Solidarität und Subsidiarität stützen, ergänzen und bestärken einander wechselseitig.“ Als anschauliches Beispiel zog Bischof Benno die Architektur eines großen Gebäudes wie etwa des Petersdoms heran. „Jeder Baustein hat eine Doppelfunktion: Er trägt und er wird getragen.  Wird ein Stein weggenommen, würde der ganze Bau zusammenbrechen. Deshalb glaube ich, dass die EU beides braucht: die Stärkung der Eigenverantwortung und eine solidarische Haltung; Kompetenzverteilung bzw. Vertrauen in die Fähigkeiten des einzelnen Staates und den europäischen Zusammenhalt.“ 

Subsidiarität ist nicht Nationalismus!

Staatliche und überstaatliche Interessen stehen oft in einem Konkurrenzverhältnis und machen Kompromisse notwendig.  Bischof Benno machte darauf aufmerksam, dass diesbezüglich zwei Extreme vermieden werden müssen. Einerseits führe ein übertriebener Zentralismus zur Entmündigung der Regionen; andererseits verleite eine an die Spitze getriebene Subsidiarität zu Egoismus. Das jedoch folge, so Benno Elbs, einem völlig falschen Verständnis, denn: „Subsidiarität ist nicht Nationalismus!“ Die Zentrale als allein verantwortlichen Sündenbock hinzustellen, sei zwar ein vielerorts beliebter Mechanismus. Doch nur das Miteinander verschiedener Ebenen mache tragfähige Lösungen möglich. 

Genau diese stünden bei vielen aktuellen Herausforderungen noch aus, etwa in Bezug auf gesamteuropäisch wichtige Themen wie Klimaschutz und Digitalisierung. Besonders mit Blick auf die Migrationsthematik erinnerte Bischof Benno an die Verantwortung aller EU-Staaten: „In vielen derzeit virulenten Fragen geht es zentral um zwei zutiefst europäische Ideen: Solidarität und Humanität. Der Umgang mit diesen Ideen wird aus meiner Sicht zum Lackmustest der europäischen Einheit!“

Philipp Supper