Gedanken von Bischof Benno Elbs zum Jahreswechsel 2018/2019

Wir stehen am Ende eines Kalenderjahres, das für uns als Kirche in Vorarlberg von großer Bedeutung gewesen ist. Wir haben das 50-jährige Bestehen unserer Diözese gefeiert. Dieses Jahr war geprägt von dem großen Wunsch, das entscheidend Christliche aufleben zu lassen. Und so ist der Blick auf dieses Jahr wie ein Blick ins Evangelium geworden.

Wir haben das Jahr begonnen mit einem „Mahl für alle“. Menschen, die normalerweise nicht eingeladen sind, am großen Gabentisch der Welt teilzunehmen, haben wir zu Tisch gebeten: Obdachlose, Suchtkranke, Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, und viele mehr. Ich denke auch an das große Fest am See. Es ist ein Fest der Freude, des Glaubens und der Zuversicht geworden. Weit mehr als 15.000 Menschen aus dem ganzen Land sind unserer Einladung gefolgt und haben mit uns gefeiert und gebetet. Es wurde spürbar: Freude und das Feiern von Festen gehören zentral zum Christsein dazu. Über das Jahr verstreut haben wir miteinander Gottesdienste gefeiert. Gebet und Gottesdienst sind wie die Nabelschnur, mit dem ein ungeborenes Kind mit der Mutter verbunden ist. Von dort kommen Nahrung und Leben für unser Christsein.

Zudem haben wir das Carl-Lampert-Kreuz auf dem Gipfel des Kreuzjoch im Montafon errichtet. Es ist ein sichtbares Zeichen unseres Glaubens, das in die Landschaft hineinstrahlt. Es steht auch für das, was dem seligen Carl Lampert bis zu seinem Tod Kraft gegeben hat: Das Kreuz ist Zeichen jener inneren Kraft, die uns angesichts der Grausamkeiten des Lebens nicht verzweifeln lässt. Dieses Kreuz ist darum zugleich auch eine Mahnung: Achten wir darauf, dass „Menschen Menschen bleiben“ (Carl Lampert).

Auch politisch war es ein bewegtes Jahr. Die Dürreperiode im Sommer hat uns wieder wachgerüttelt und in Erinnerung gerufen, welche Verantwortung wir für die Umwelt haben. Der Brexit naht – ob mit oder ohne Abkommen, steht noch aus. Handelskonflikte belasten die internationale Gemeinschaft. Und auch innenpolitisch harren viele Probleme noch einer Klärung. Das menschliche Drama der Flüchtlingsfamilie in Sulzberg hat betroffen gemacht und zugleich aufgezeigt, dass zentral christliche Werte wie Humanität und Solidarität mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Und es sind auch viele persönliche Wege und Schicksale, die dieses Jahr prägen: Wege der Freude, des Zusammenfindens, der Versöhnung, aber auch große Wege der Sorge, der Trauer wie Krankheit.

Der Blick zurück kann ein Blick des Dankes, vielleicht aber auch ein Blick der Sorge und Trauer sein. Am Ende dieses Jahres und am Beginn des neuen steht der große Segenswunsch, den wir in der Lesung aus dem Buch Numeri gehört haben. „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden.“ (6,24-26) Ich glaube, dass wir diesen großen Segen an den Beginn des neuen Jahres stellen dürfen. Was heißt das: eine Gesegnete/ein Gesegneter zu sein?

Segnen heißt: sich in die Gegenwart Gottes stellen

Der Schritt in die Gegenwart Gottes erfordert Mut, weil wir in einen Raum eintreten, der größer ist als unser Verstehen und unser Denken. Wir stellen uns am Beginn eines Jahres in diese heilende und heilsame Gegenwart Gottes. Gesegnet zu sein, heißt, einfach die Berührung Gottes zu spüren, die Liebe Gottes zu erfahrbar und greifbar zu erleben. Immer, wenn wir uns gegenseitig ein Kreuzzeichen auf die Stirn geben – als Ehepartner, als Eltern, als Kinder –, dann ist genau das die Zusage: Lass Dich von Gott berühren, stell Dich in diese Gegenwart Gottes.

Den Satz aus der Lesung: „Lass dein Angesicht leuchten“, kann man auch so ausdrücken: Gott schaut auf uns – auch im neuen Jahr. Mit seinem Blick starrt uns Gott nicht an, sondern er behütet und bewahrt uns, „er schaut auf uns“.

Segnen: keine Versicherung, sondern Vorzeichen der Liebe

Segnen bedeutet nicht, einem andern einzureden: Alles wird gut! Der Segen ist keine Versicherung. Gottes Segen schützt nicht magisch vor Unglück, aber er trägt in allem Leid und durch alles Leid. Jesus ist als Sohn Gottes diesen Weg selbst gegangen.

Wie in der Musik ein Vorzeichen den Ton verändert, so steht Gottes Segen wie eine Zusage der Liebe und der Treue vor allen Situationen unseres Lebens. Das Vorzeichen der Liebe Gottes gibt uns Halt auch in den schwierigen Situationen des Lebens.

Vor wenigen Wochen habe ich bei der Beerdigung eines Jugendlichen genau das erlebt. Es war berührend zu spüren, wie junge Menschen diese Familie tragen. Das Leid ist unermesslich, wenn man das eigene Kind beerdigen muss; die Wut, die Angst, die Trauer, die Ohnmacht, die einen da überfallen, ebenso. Aber mitten in dieser Situation des Schmerzes und des Abschieds standen auch Umarmungen und der Zuspruch der Liebe und des Segens Gottes.

In den Segen des neuen Jahres sind auch die Feinde eingeschlossen

„Segnet Eure Verfolger! Segnet sie, verflucht sie nicht!“, heißt es im Römerbrief (12,14).Wir wissen alle: Es gehört wohl zum Schwersten, diejenigen zu segnen, die uns Böses wollen, die schlecht über uns reden, die uns die kleinen und großen Erfolge nicht gönnen und uns das Leben schwer machen. Zentral im christlichen Glauben ist die Haltung der Versöhnung und des Verzeihens.

Dietrich Bonhoeffer hat während des 2. Weltkrieges aktiv im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gekämpft und wurde 1945 hingerichtet. Nach mehr als einem Jahr Haft schreibt er aus dem Militärgefängnis Tegel: „Segnen heißt, die Hand auf etwas legen und sagen: Du gehörst trotz allem Gott.“ Bonhoeffer zeigt hier eine Möglichkeit auf, wie wir mit Menschen umgehen können, die uns Leid zugefügt haben: sie nicht zu verachten, zu verfluchen oder gar zu verdammen, sondern die Hand auf sie zu legen und zu sagen: Auch du bist ein gesegnetes Kind Gottes. Wer selbst gesegnet wurde, kann nicht anders, als diesen Segen weiterzugeben und selbst zum Segen zu werden. Nur wer aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt, von Hass und erwidertem Hass aussteigt, kann die Welt erneuern.

Ich wünsche uns allen, dass dieses neue Jahr ein gesegnetes sei. Dass wir immer wieder hineingestellt werden in den Raum Gottes, in den Raum der Liebe und wir dort erfahren: in den Fragen, die uns das Leben stellt und zumutet, sind wir begleitet durch Gottes Segen. Die Zusage Gottes: Ich stehe auf Deiner Seite, soll am Beginn des neuen Jahres stehen.

Ich wünsche uns, dass der Segen Gottes als Vorzeichen vor allen Wegen stehe, die wir im neuen Jahr einschlagen.

Bischof Benno Elbs