Predigt von Bischof Benno Elbs am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria am 8. Dezember 2022 im Dom St. Nikolaus in Feldkirch

Liebe Schwestern und Brüder!

Das heutige Hochfest Mariä Empfängnis ist eng mit der Geschichte Österreichs verbunden. Während der Zeit der Nazi-Diktatur wurde es abgeschafft, nach dem Abzug der Besatzungsmächte im Jahr 1955 auf Drängen hunderttausender Gläubiger wurde es wiedereingeführt – und das auch als staatlicher Feiertag und als Dank für die wiedererlangte Freiheit. Der heutige Feiertag ist deshalb für uns auch Anlass zu danken für das große Geschenk, in einem freien Land in Wohlstand leben zu dürfen – und im selben Moment für all jene Menschen zu beten, die in der Ukraine und unzähligen anderen Ländern der Welt unter Krieg, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Verfolgung leiden.

Das Fest Mariä Empfängnis selbst jedoch ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten fraglich geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Menschen nicht (mehr) wissen, was heute gefeiert wird. „Hochfest der ohne Erbsünde empfangene Jungfrau und Gottesmutter Maria“, oder kürzer Mariä Erwählung. Welche Botschaft verbirgt sich hinter diesen Worten?

Ich möchte zwei Versuche unternehmen, das Festgeheimnis des heutigen Tages zu erschließen – zuerst mit Worten und dann mit einem Bild.

Ein guter Anfang

In der zweiten Lesung aus dem Epheserbrief haben wir gehört: „Gott hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden durch Jesus Christus.“ (Eph 1,5) Das ist das positive Vorzeichen an unserem Lebensanfang. Wir sind von Gott gesegnet, erwählt, aus Liebe bestimmt, Kinder Gottes zu sein – und das gratis, aus Gnade. Von Gott geliebt, erwählt und zu etwas Besonderem berufen zu sein, gilt für uns alle. In herausragender Weise gilt das aber für Maria. Anders als Adam und Eva hat sie sich vor Gott nicht versteckt, sondern hat sich von ihm finden lassen. Sie ist, wie das heutige Fest uns sagt, die unbefleckt Empfangene, das bedeutet: Sie ist von Anbeginn ihres Lebens an in der Liebe Gottes geborgen.

Während bei uns, wie es in der Sprache der Theologie heißt, dieser gute Anfang getrübt ist durch den Sündenfall Adams, ist er bei Maria von ihrer Empfängnis an erhalten geblieben. Das sagt das Fest des heutigen Tages: Sie ist ein ganz gewöhnlicher Mensch, aber so in Gott verwurzelt und von ihm umfangen, dass sie frei ist von aller Verstrickung in das Schlechte und Böse. Das unterscheidet sie von uns. Wir sind verwundet und verwunden deshalb andere Mensch in Gedanken, Worten und Werken. Wir sind innerlich verletzlich und verletzen andere. Von alldem – das meint unbefleckte Empfängnis – ist Maria ausgenommen.

Gottes Umarmung

Bei meinem zweiten Versuch, das heutige Fest verständlich zu machen, möchte ich auf ein Bild zurückgreifen. Im Altarraum der Kirche Santa Maria in Trastevere in Rom ist ein großes Mosaik mit einer einzigartigen Mariendarstellung zu sehen. Dargestellt sind Jesus und Maria, umringt von einigen Heiligen, wobei Jesus mit seiner rechten Hand Maria umarmt und Maria mit ihrer Linken auf Jesus zeigt. Diese Darstellung fasst alles, was ich vorhin mit vielen Worten zu erklären versuchte, bildlich zusammen. Maria lebt in der Umarmung Jesu, in der Umarmung Gottes. In ihr ist sie seit dem Zeitpunkt ihrer Empfängnis geborgen. Der, den sie in ihrem Leib trägt und dem sie das Leben schenkt, ist zugleich der, der sie stets umarmt hält.

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit Maria lernen wir, nein zu sagen zu allem, was das Leben niederhält. Mit ihr lernen wir aber auch, ja zu sagen zu Gott, der unser Leben mit Freude erfüllen möchte. Maria zeigt uns: Je weniger ein Mensch sich selbst in den Mittelpunkt rückt, umso offener ist er für andere Menschen und für Gott.

Ich wünsche Euch für diese Adventzeit, dass Ihr das Ja Gottes zu Euch spüren und dass Ihr, wie Maria, die Umarmung Gottes erfahren könnt.