Die Gabe der Empathie und des Mitgefühls ist entscheidend für gesellschaftliche Miteinander. Wie wichtig es ist, die Welt auch einmal aus der Sicht der anderen wahrzunehmen, zeigt sich in vielen Bereichen und Situationen. Gedanken zum Sonntag von Bischof Benno Elbs.

„Die Weltmuttersprache ist das Mitgefühl“, hat André Heller einmal gesagt. Diesem Satz stimme ich voll zu. Mitgefühl ermöglicht uns, in jedem Menschen uns selbst zu erkennen. Wer empathisch ist, durchbricht den Panzer sozialer Kälte, verzichtet auf den Ellbogen des Egoismus, der die anderen ständig zurückdrängt, und richtet den Blick auf das Kleine, Schwache. Mitgefühl ist ein Perspektivenwechsel, der einlädt, die Welt aus der Sicht der anderen wahrzunehmen. 

Ein Blick in unsere Zeit macht deutlich, dass ein solcher Perspektivenwechsel in vielerlei Hinsicht heilsam wäre. Wie würden unsere Beziehungen und Freundschaften aussehen, wenn wir mehr aufeinander hören würden? Wie würde sich mein Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz ändern, wenn nicht immer ich Recht haben müsste, sondern auch die Meinung anderer gelten lassen würde? Wie würde sich das gesellschaftliche Miteinander entwickeln, wenn wir uns nicht von Neid und „ego first“ leiten ließen, sondern die Bedürfnisse und die unabdingbare Würde der anderen an erster Stelle stehen würden? Würden wir dann auch Menschen zumuten, für einen Stundenlohn von 1,50 Euro zu arbeiten?

Mitgefühl und Auferstehung

Einen Perspektivenwechsel musste ich auch am vergangenen Ostersonntag vollziehen. Zwischen den Gottesdiensten am Vormittag erreichte mich die Meldung des Terroranschlags auf Kirchen und Hotels in Sri Lanka. Unzählige Tote, darunter auch viele Kinder. Der Ostertag, Tag der Freude über die Auferstehung Jesu, wurde zu einem Trauertag. Meldungen wie diese lassen nicht kalt. Sie gehen nahe, setzen das Herz in Bewegung, lassen Solidarität aufkeimen. In solchen Momenten spüre ich, wie die Trauer und das Leid anderer zur eigenen Trauer wird. „Wo Mitgefühl gelebt wird, da ist Auferstehung am Werk.“ (Kardinal Schönborn)

Tag der Arbeit(slosigkeit)  

Empathie, Mitgefühl, Solidarität – das sind für mich drei Titelworte, die als Überschrift über der Gesellschaft von morgen stehen sollten. Es ist ein Grundauftrag an uns alle, darauf zu achten, dass niemand zurückgelassen wird. Deshalb ist es für mich auch ein richtiges Zeichen, dass der Tag vor dem 1. Mai, der in vielen Ländern als „Tag der Arbeit“ bezeichnet wird, zum „Tag der Arbeitslosen“ bestimmt wurde. Nach wie vor können viele Menschen – aus welchen Gründen auch immer – nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Und ich möchte hier auch an jene Menschen erinnern, die – trotz guter Konjunkturlage – von ihrem Gehalt nicht leben können. Diese sog. „Working Poor“ leben trotz fester Anstellung in Armut. Papst Franziskus betont deshalb immer wieder zu Recht: „Arbeit ist eine Quelle der Würde.“ Es ist wichtig, immer wieder neu die Frage zu stellen: Wer dient wem? Ich bin den vielen Unternehmen dankbar, die das Wohl und die Würde der arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt stellen. Denn nicht die Logik des Profits gibt das Maß vor, sondern Solidarität und Gerechtigkeit.

Wir verbringen den Großteil unseres Lebens am Arbeitsplatz. Feiertage sind deshalb eine wohltuende Unterbrechung. Sie machen deutlich: Arbeit ist Lebens-Mittel, aber nicht Lebens-Mitte. Auch wenn viele Menschen in ihrer Arbeit „aufgehen“, so ist es doch die Work-Life-Balance, die viele suchen, aber nicht immer finden. Der wöchentliche Feiertag, der Sonntag, ermöglicht einen Perspektivenwechsel: Er schafft Zeit für Begegnungen und Muße, bietet Raum zur kreativen Entfaltung, lädt ein zu Gebet und Gottesdienst. Achten wir darauf, dass uns dieser heilsame Rhythmus nicht abhanden kommt.

Bischof Benno Elbs