Das Corona-Virus stellt uns vor neue Herausforderungen. Das betrifft die Gesellschaft insgesamt, aber auch die Kirche. In seinen Gedanken zum heutigen vierten Fastensonntag spricht Bischof Benno Elbs über Zusammenhalt, gelebte Spiritualität im Alltag und warum es jetzt ganz besonders wichtig ist, die Freude nicht zu vergessen.

In diesen Tagen ist oft von der Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens die Rede. Trotz des hohen technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts, trotz aller medizinischer Standards, für die wir dankbar sind, wird uns bewusst, dass wir das Leben nicht in der Hand haben. Das Corona-Virus stellt unsere Lebensgewohnheiten, die über die letzten Jahrzehnte hinweg mit einer gewissen Selbstverständlichkeit gewährleistet waren, nachhaltig in Frage.

In einer solchen Situation ist nicht zuletzt auch unser Sicherheitsgefühl verwundet. Da tut es gut, Sätze wie diese zu lesen: „Unsere Schwäche ist der Ort, wo die Zärtlichkeit wohnt. Zärtlichkeit ist nicht dort, wo Menschen stark sind und auf niemanden angewiesen, sondern wo Menschen schwach sind. Wo das Leben verletzbar ist, dort ist die Zärtlichkeit zu Hause. Wo leben zerbrechlich ist, wird Sanftmut geboren. Gott hat Mitleid mit unserer Schwäche.“ Das hat der niederländische Priester und Dichter Joop Roeland (+ 2010) einmal gesagt.

Drei Fragen

Die Erfahrung, die hier ausgesprochen ist, konnten viele Menschen in den letzten Tagen machen: In der Not wachsen Solidarität, Menschlichkeit und Mitgefühl. In ungewissen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, wird unser Blick für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen geschärft: für das ältere Ehepaar, das nebenan wohnt; für die gebrechliche Frau aus meiner Straße, die selber nicht mehr einkaufen gehen kann; für den Mann, der allein wohnt und sich freut, wenn man ihn fragt: Wie geht es dir? Gerade als Kirche haben wir hier eine besondere Verantwortung. Unsere Pfarren spannen ein Netz des Gebetes, aber auch der Solidarität über unser Land. Auch wenn im Moment keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden, heißt das nicht, dass christliches Leben ausgesetzt ist. Ganz im Gegenteil: Besonders jetzt sind wir aufgerufen, die Kranken, Armen, Trauernden und Einsamen nicht zu vergessen. Ich möchte Sie einladen, sich drei Fragen zu stellen: An wen denke ich? Wem helfe ich? Für wen bete ich? Ich bin dankbar, dass viele Menschen jetzt genau das tun – und damit das Immunsystem der Menschlichkeit und Nächstenliebe in unserer Gesellschaft stärken.

Freude in Zeiten der Krise?

Heute feiern wir den 4. Fastensonntag. Er wird auch „Laetare“ genannt – das heißt übersetzt. „Freue dich!“ Die Mitte der Fastenzeit ist erreicht, es geht Richtung Ostern. Jedoch: Freude kann man nicht verordnen, man kann sie auch nicht auf künstlichem Wege herbeiführen. Wie kann ich Freude empfinden im Angesicht des Corona-Virus, das viele Menschen in Sorge versetzt um ihre Gesundheit und ihre finanzielle Existenz?

Ich glaube, dass man besonders in Zeiten der Krise den Blick für das Gute nicht vernachlässigen darf. Ich bin froh, dass es Konstanten des Lebens gibt, die auf das Schöne aufmerksam machen. Ich freue mich über die Blumen, die gerade zu blühen beginnen, und über die Bäume, die ihr erstes Grün tragen. Bewundernswert finde ich auch die Initiative, jeden Abend auf dem Balkon zu musizieren und mit Liedern ein beeindruckendes Zeichen des Miteinanders zu setzen. Das alles sind kleine Schritte, die uns Freude schenken.

Heilsame Zuwendung

Für mich ist das Lesen in der Bibel immer wieder – und ganz besonders in schwierigen Phasen – eine sehr gute Schule, um die Freude in meinem Leben wiederzuentdecken. Die Bibel erzählt von Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Eine dieser Erfahrungen lautet: Gott heilt. Er befreit aus Unterdrückung genauso wie vor seelischen und körperlichen Leiden. Das wird auch im Neuen Testament deutlich. Dort, wo Jesus auftritt, werden Menschen wieder gesund und von ihren Sünden befreit; Blinde sehen und Lahme gehen wieder. Auch im Zentrum der heutigen Lesungen steht eine solche Heilungsgeschichte (nachzulesen im Johannesevangelium  9,1-41). Diese Heilung erinnert uns daran, dass Gott der Freund des Lebens und der Menschen ist.

Ich bin dankbar, dass sich gerade jetzt viele Menschen heilend und heilsam um andere kümmern. Diesen Heldinnen und Helden des Alltags in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens danke ich von Herzen. Denn sie leisten Großes in diesen Tagen. 


Bischof Benno Elbs