Hirtenbrief zur Vorbereitung auf Ostern 2015

Liebe Schwestern und Brüder!

„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15). Wohl schon oft haben wir diesen Satz aus dem Evangelium des ersten Fastensonntags gehört. Er fasst in wenigen Worten den Kern der frohen Botschaft Gottes zusammen: sein Reich, ER selbst ist uns nahe. „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“, fordert uns der Evangelist Markus auf.
Gottes Reich, in dem alle Sehnsüchte der Menschen erfüllt sind, in dem alles Unrecht und alle Not überwunden sind, wo Gerechtigkeit herrscht und Frieden, scheint uns oft so unendlich fern: Konflikte und Streit bedrücken uns. Beziehungen scheitern und hinterlassen tiefe Wunden. Wir erleben Gewalt und Terror, Kriege und Hunger. Wir leben zwischen Reichtum und Verschwendung, Korruption und Spekulation. Manche meinen sogar, Abtreibung sei Fortschritt. Aber wer erahnt die versteckte Not, die oft dahinter liegt? Wer schaut auf die verzweifelten Mütter und die ungeborenen Kinder?

„Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ fordert uns Jesus auf und er lädt uns ein, auf seinen Spuren zu gehen. Ja, Gott ist uns nahe, in jedem Augenblick. Berührend war das spürbar, als wir in Raggal die Mutter und den Vater des zweijährigen Hannes beerdigt haben. Eine Lawine hatte sie in den Tod gerissen. In aller Trauer und Verzweiflung war auch die tiefe Solidarität und leise Hoffnung der ganzen Gemeinde spürbar. Bescheiden und fast zaghaft sagen wir gerade in so einer Stunde: „Gott ist da!“ Schon so oft haben wir diese Worte gehört. Aber glauben wir daran? Gerade die 40 Tage der Fastenzeit sind eine besondere Einladung, der Liebe Gottes zu uns Menschen, zu jedem und jeder von uns nachzugehen und dabei vielleicht auch Gott neu zu entdecken.

Die Zahl 40 begegnet uns in der Bibel oft dort, wo es um die Begegnung mit Gott geht. 40 Tage fastete Jesus in der Wüste, genauso wie der Prophet Elija. 40 Tage war Moses auf dem Berg Sinai. 40 Jahre wanderte das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten durch die Wüste. In ihrer Kargheit und Stille hat die Wüste eine besondere Inspirationskraft, die wir auch in der Fastenzeit wiederfinden. Denn die Fastenzeit ist eine Zeit der Klärung, der Erneuerung, um zum inneren Kern des Christseins vorzustoßen, um unnötigen Ballast loszulassen und frei zu werden, damit wir wieder neu und klar sehen. Fasten ist ein Weg, um Körper, Geist und Seele von belastenden Dingen zu befreien, ein Weg, die Sinne zu schärfen und in die Liebe Gottes einzutauchen.
Wie also kann es uns in dieser Fastenzeit gelingen, den Kern unseres Glaubens neu zu leben? Drei Impulse möchte ich dazu mit Ihnen teilen.

Christliche Gemeinden sind Inseln der Barmherzigkeit im Meer der Gleichgültigkeit  (Papst Franziskus).
Im Jahr 2000 hatten die Vereinten Nationen Millenniums-Entwicklungsziele beschlossen, die bis 2015 verwirklicht werden sollten. Es wurden zwar manche Verbesserungen erreicht, bis zum Ziel, Hunger und Armut zu halbieren, bleibt aber noch immer ein weiter Weg. Denn noch immer leiden über 800 Millionen Menschen an Hunger. Es ist an uns, das Meer der Gleichgültigkeit zu überwinden, das das Leid von Millionen Menschen auf der ganzen Welt übersieht, sagt Papst Franziskus. Er ermutigt uns, auf die Kraft des Gebetes zu setzen und auf das Helfen durch Gesten der Nächstenliebe.

Christliche Gemeinden sind Quellen des Friedens
Der Frieden, seine Gefährdung und seine Verletzbarkeit sind seit dem Anschlag am 7. Jänner in Paris neu ins Bewusstsein vieler Menschen in Europa gerückt. Seine Kostbarkeit und seine Zerbrechlichkeit werden uns bewusst: Syrien, Ukraine – an vielen Orten auf der Welt ist der Frieden bedroht und verletzt, ist Leben gefährdet. Wie können wir Wege zum Frieden suchen und gehen – in unserem Alltag, in unserem unmittelbaren Umfeld? Eine Brücke zum Frieden ist das Gebet. Dem stillen, scheinbar ohnmächtigen Beten wohnt eine große Kraft und Dynamik inne. Beim Friedensgebet im Jänner in Dornbirn haben Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen einander die Hand gereicht. Sie signalisierten damit: wir schließen Freundschaft, zeigen Wertschätzung und Achtung vor dem anderen, wir möchten miteinander eine gute Zukunft gestalten, denn jeder und jede sehnt sich nach Frieden. Ich wünsche uns allen, dass wir in dieser Fastenzeit zu Friedensboten werden.

Christliche Gemeinden sind Orte der Heilung
Wunden zu heilen gehört zum zentralen Anliegen Jesu. Gibt es eine größere Wunde der Seele als die Schuld? In meiner Tätigkeit als Priester und Psychotherapeut bin ich vielen verwundeten Seelen begegnet – und meistens verwundet durch Schuld, durch Kränkung, durch Ausgrenzung und Missachtung. Ich möchte uns wünschen, dass wir im Sakrament der Versöhnung das Dunkle unseres Lebens in das Osterlicht hineinhalten können, damit Heilung geschieht in diesen 40 Tagen.

Liebe Schwestern und Brüder! Gott möge Ihren Weg auf Ostern hin segnen. Denn es gilt: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium.

Bischof Benno Elbs