Gemeinden als Orte der Gastfreundschaft - der (radikale) missionarische Weg der Kirche - die Brennpunkte christlichen Lebens. Bischof Benno Elbs nimmt im KirchenBlatt-Interview Stellung zu den Veränderungen in den Seelsorgeräumen und Pfarren.

Dietmar Steinmair

KirchenBlatt: Herr Bischof, in Bregenz, Dornbirn und Bludenz sind die Seelsorgeräume - Stichwort „Kirche in der Stadt“ - umgesetzt, Hohenems und Lustenau sind auf dem Weg dorthin. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz für die Umstrukturierungen in den städtischen Lebensräumen aus?
Bischof Benno Elbs: Zuvor noch ein Blick auf das Ziel dieser „Wege der Pfarrgemeinde“, wie der pastorale Entwicklungsprozess überschrieben war. Ziel ist ein neuer Aufbruch, ein neues Pfingsten, ein „nach vorne Spielen“, um es mit einem Wort von Papst Franziskus zu sagen, und nicht ein von Angst geprägtes Verteidigen von verlorenem Terrain. Jesu frohe Botschaft des Glaubens, der Hoffnung, der Nächstenliebe soll unsere Herzen erfüllen.
Ich freue mich, dass sehr viele Menschen, Haupt- und Ehrenamtliche, Priester und Laien, sehr engagiert diesen Weg gehen. Und es ist schön zu sehen, dass erste Früchte sichtbar werden. Neue pastorale Initiativen im Jugendbereich zum Beispiel, das „Haus der Kirche“ in Bregenz mit ganz neuen Begegnungs- und Evangelisationsmöglichkeiten, und vieles mehr.

Da und dort gibt es auch Reibungswiderstände. Als Bischof sind Sie sowohl Hirte aller Gläubigen als auch Vorgesetzter der Priester und pastoralen Mitarbeiter/innen. Kann die Diözesanleitung alle Wünsche unter einen Hut bringen?
Elbs: Natürlich gibt es auch Widerstände. Vertrautes geht zu Ende. Das schafft Verunsicherung bei uns allen. Das Neue ist oft noch nicht sichtbar. Es sind vielleicht erste Keime, so wie im Frühling. Man sieht oft noch nicht, was daraus wird. Darum braucht es auch die Tugend der Geduld, dass man dem Neuen, das grade erst zu sprießen beginnt, eine Chance lässt. Ich plädiere für ein großes Vertrauen: Gott ist mit uns als Kirche unterwegs. Gott hat keine Angst vor dem Neuen. Dann werden wir zu Gemeinden, die Orte der Gastfreundschaft sind, Orte der Nähe, wo das „Revolutionäre der zärtlichen Liebe Gottes“ (Evangelii gaudium) erlebt und erfahren werden kann. Ich würde mir wünschen, dass wir uns noch viel radikaler um einen solchen missionarischen Weg der Kirche heute bemühen.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Zusammenschluss zu Pfarrverbänden - also: mehrere Gemeinden, ein Pfarrer - bewährt?
Elbs: Einerseits ist es eine Chance, wie wir sie auch im politischen und sozialen Bereich kennen: Größere Verbände haben mehr Möglichkeiten, mehr Ressourcen, mehr Ideen, mehr Kreativität, mehr Menschen, die sich begegnen. Auf der anderen Seite bedeutet es da und dort natürlich auch eine große Herausforderung für die handelnden Personen, besonders für die Priester und pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Entscheidend für mich ist, dass wir uns wirklich für das Heute entscheiden und nicht nostalgisch Dingen nachtrauern, die unweigerlich zu Ende gehen. Wichtig ist, wie es in der heiligen Schrift heißt, das bewusste Ja zum Heute, zu den Menschen, denen wir begegnen. Dann stoßen wir auch zu den Quellen der Freude vor, die im Evangelium wurzeln.

Die Wünsche der Pfarrgemeinden nach einer höchstmöglichen seelsorglichen Betreuung sind verständlich, aber durch den Priestermangel nicht mehr erfüllbar. Gleichzeitig gilt in der Kirche die Lehre: „Die Ortskirche ist die Bischofskirche.“ Es gibt also die zwei Pole Gemeinde und Diözese. Wie können Pfarrgemeinden vor Ort lernen, im größeren Kontext zu denken? Und wie kann umgekehrt ein Bischof für alle Pfarrgemeinden da sein?
Elbs: Ein jeder Christ ist ein Seelsorger, jede Mutter, jeder Vater, ist ein Seelsorger, eine Seelsorgerin für ihre Kinder. Seelsorge, Mission, Evangelisierung - wie immer man das nennen möchte - ist nicht delegierbar. Jeder Christ, jede Christin ist eingeladen, die Freude des Evangeliums zu leben und dafür Zeugnis abzulegen. Der Bischof ist, theologisch gesehen, Hirte für die Diözese, aber nicht allein, sondern zusammen mit allen Priestern. Darum ist es mir persönlich sehr wichtig, in vielen Pfarrgemeinden unterwegs zu sein, Menschen zu treffen, an den verschiedensten Orten des Lebens, an Orten der Freude, des Feierns, der Liturgie, aber auch an Orten der Einsamkeit, der Angst, der Krankheit. Und es ist schön, dass hier viele mithelfen und mittragen, dass das Reich Gottes nahe wird.

Kommen wir von den innerkirchlichen Strukturveränderungen zu den Herausforderungen, die die Welt an die Kirche stellt. Welche Veränderungen in der Arbeits-, Wirtschafts- und Sozial-Welt sind für die Kirche als Institution besonders wichtig?
Elbs: Da ist einmal das Prinzip Hoffnung. Die Kirche darf den Menschen eine Hoffnung verkünden: Auferstehung bedeutet, das Leben, das Gute wird sich letztendlich durchsetzen. Dazu gehören zentral der Einsatz für Gerechtigkeit, die Achtsamkeit für die Schöpfung und ihre Bewahrung und der Einsatz für den Frieden. Es ist der entschiedene Einsatz gegen eine „Wirtschaft, die tötet“, wie es Papst Franziskus in Evangelii gaudium ausdrückt, und das Mitbauen an einer Wirtschaft, die den Menschen hilft, Sinn und Lebensfreude zu vermitteln und den notwendigen Lebensunterhalt für die Familien zu sichern. Wir leben in einem Land, wo viele in Kirche, Zivilgesellschaft und Politik sich für diese Grundwerte engagieren. Dafür dürfen wir sehr dankbar sein.
Dann auch: Der Wert der Würde des Menschen - vom Beginn bis zum Ende des Lebens - die nicht abhängt von Leistung, Ansehen und Geld, sondern die letztendlich von Gott geschenkt ist. Anstrengungen in diesem Bereich sind mir besonders wichtig, weil es immer wieder die Gefahr gibt, dass sich eine Kultur des Todes breit macht, in der schwaches Leben, ungeborenes, krankes keine Existenzberechtigung mehr hat, nicht mehr ausreichend geschützt und geschätzt wird.

An welchen Brennpunkten in einer sich verändernden Welt sollen Christen - als Individuen - präsent sein?
Elbs: Christen sollten grundsätzlich in allen Lebensbereichen präsent sein. Jede und Jeder lebt und verkündet die Werte des Evangeliums dort, wo er lebt und arbeitet: die Gottesliebe, die Nächstenliebe und auch der aufmerksame und sensible Umgang mit sich selbst. Brennpunkte, die sich heute zeigen, sind etwa die Frage des Umgangs mit Menschen auf der Flucht, mit asylsuchenden Menschen, die Frage der sozialen Gerechtigkeit, der Armut, von der besonders Familien auch mit vielen Kindern betroffen sind und, wie schon erwähnt, Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung.

Heißt das, dass dort auch neue Formen von gemeinschaftlichem oder von Gemeinde-Leben entstehen können, ja vielleicht sogar entstehen müssen? Anders gefragt: Sehen Sie neue Formen von Gemeinschaft, die die Kirche von der Welt lernen kann?
Elbs: Es gilt das Wort Jesu: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Wenn wir durch unsere Gemeinden gehen, sehen wir viele Orte, an denen Menschen versuchen, das Gute zu verwirklichen, wo Menschen sich zum Gebet versammeln, wo Menschen sich engagieren für Notleidende, für Hungernde, für Asylwerber, für Frauen in Not, für das ungeborene Leben und vieles mehr. Wer nicht gegen mich ist, der ist für mich, sagt Jesus. Wer sich für das Gute einsetzt, setzt sich letztendlich für Gott ein, ob er das explizit tut oder ohne es ausdrücklich so zu nennen. Gott will das Glück des Menschen. Und jeder, der in einer inneren Beziehung mit Gott steht und aus dieser Haltung heraus lebt, hilft mit, dass das Reich Gottes „Füße bekommt“ und dass das Gute, die Würde des Menschen sich durchsetzen. Das ist das Ziel jeder Pastoral: Nähe und Barmherzigkeit. Denn Gott ist die Liebe.

Vielen Dank für das Gespräch.