Predigt von Bischof Benno Elbs am Ostersonntag 2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Für mich ist es jedes Jahr neu eine berührende Szene: Maria Magdalena, gezeichnet, ja niedergeschlagen vom Geschehen des Karfreitags, kommt am Ostermorgen an das Grab Jesu. All ihrer Hoffnung wurde ein abruptes Ende gesetzt. Der Herr ihres Lebens, auf den sie alles gesetzt hat, ist tot. Als Verbrecher ist er am Kreuz hingerichtet worden. Doch dann heißt es beim Evangelisten Johannes kurz und knapp: „Sie sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.“ (Joh 20,1) Dieser Satz, ganz schlicht und ohne Emotion festgehalten, ist in Wahrheit wie ein Trompetenstoß, der in ihr Leben und in die ganze Welt hineingeschallt ist. Sie setzte sich sofort in Bewegung und lief zu den Jüngern. Auch sie kamen mit Maria von Magdala zum Grab, um dieselbe Erfahrung zu machen: Der Stein und der Leichnam sind weg, das Grab ist leer.

Wie schon bei der Geburt Jesu, wo Menschen aus nah und fern zur Krippe kamen, so setzt auch der Ostermorgen Menschen in Bewegung. Für uns Christinnen und Christen ist die Auferstehung Jesu das, was für das Universum der Urknall war. Durch die Auferstehung Jesu ist etwas ins Rollen bekommen, das auch nach zweitausend Jahren noch nicht zum Stillstand gekommen ist. Die Kraft der Auferstehung hält auch heute immer noch an. Alles, was die Kirche ist und was sie tut – die Sakramente, das Wort Gottes, Nächstenliebe… –, erhält seine Kraft von der Auferstehung. Der wesentliche Teil des Lebens Jesu und der Geschichte seiner Kirche ist Tod und Auferstehung. Das ist der Grundimpuls, der Glaube, Hoffnung und Liebe in Bewegung gesetzt hat. Unzählige Menschen haben sich im Laufe der Geschichte, fasziniert von dieser Botschaft der Auferstehung, aufgemacht und haben sie weitergetragen: Junge und Alte, Ordens- und Eheleute, Eremiten und Missionare – Menschen, die, angetrieben von der Liebe Gottes, diese Solidarität Gottes mit den Armen und Schwachen in Wort und Tat verkünden und leben. Ihnen allen ist zu verdanken, dass der Urknall der Auferstehung kein einmaliges Ereignis blieb irgendwann vor langer Zeit, sondern auch heute spür- und sichtbar ist. 

Es sind vor allem drei Dinge, die durch die Auferstehung in Bewegung gesetzt wurden:

1. Ostern ist die Geburtsstunde des Friedens

Dass Frieden im Zentrum der Osterbotschaft steht, wird uns heuer mehr bewusst als in den vergangenen Jahrzehnten. Das erste, das der Auferstandene zu seinen Jüngern sagt, ist eine Botschaft des Friedens: „Friede sei mit euch.“ (Joh 20,21) Schon bei seiner großen Abschiedsrede im Johannesevangelium hat Jesus angekündigt, nach seiner Rückkehr zum Vater Frieden zu hinterlassen: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ (Joh 14,27) Und über all dem steht das große Wort aus der Bergpredigt: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9) Frieden ist die große Sehnsucht aller Menschen zu aller Zeit. Die Liturgie der Kirche ruft den Gläubigen die Bedeutung des Friedens bei jeder hl. Messe in Erinnerung: nicht nur beim Friedensgruß, sondern auch ganz am Ende. „Gehet hin in Frieden“ ist das letzte Wort jeder hl. Messe. Dass auch in unserer Welt voll Krieg und Spaltung der Friede das letzte Wort haben möge, das ist mein größter Wunsch für das heurige Osterfest. Denn Friede schafft ein Klima des Lebens. Nur in friedvollen Zeiten können Kinder auf eine gute Zukunft für sie bauen. Nur in friedvollen Zeiten können Menschen frei atmen und in Würde leben. Jetzt, wo die Nacht des Krieges über uns hereingebrochen ist, zeigt uns das Licht der Auferstehung Jesu, dass Gott einen anderen Plan mit uns Menschen hat: nicht Krieg, Tod und Vernichtung, sondern Friede und Geschwisterlichkeit. Lassen wir nicht zu, dass uns der Traum des Friedens zerstört wird.

2. Ostern ist die Geburtsstunde der Hoffnung

Es ist interessant, dass Jesus selbst nie von Hoffnung gesprochen hat. Und trotzdem ist die Hoffnung zusammen mit Glauben und Liebe der Herzschlag eines christlichen Lebens. Auferstehung ist Hoffnung: Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, Hoffnung auf Erneuerung, Hoffnung auf einen Gott, der alles neu machen kann. Die Botschaft der Auferstehung könnten wir so zusammenfassen: Dort, wo aus menschlicher Sicht alles aus ist, schafft Gott Zukunft. Die Kirche ist aus dieser Bewegung der Hoffnung heraus entstanden. Und diese Bewegung muss heute neuen Schwung bekommen, heute und zu jeder Zeit. Das Licht der Osterkerze ist ein Symbol für das, was mit der Hoffnung geschehen soll: Das Licht einer einzigen Kerze verteilt sich, entzündet andere und breitet sich immer weiter aus. Ohne Hoffnung hingegen ist unser Leben dunkel und leer. Wenn ein Mensch den Punkt erreicht hat, wo er nichts mehr erhofft; wenn er morgens aufsteht, gleichsam in sich und seiner Deprimiertheit eingeschlossen ist und von seinem Leben nichts mehr erwartet, dann ist er wie gelähmt, eigentlich wie tot. Auferstehung meint in solchen Situationen eine Öffnung, einen Aus- und Aufbruch in eine neue Weite. Auferstehung ist die Zusage Gottes an uns, dass noch nicht alles aus ist; dass die letzte Karte noch nicht ausgespielt und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Auferstehung ist wie ein Atem der Erneuerung, der unser Leben uns unseren Glauben durchweht und belebt.

3. Ein Neuanfang ist immer möglich

Damit haben wir auch schon den dritten Punkt gestreift: Ostern ist immer ein Neuanfang, im ganz persönlichen Leben, aber auch als Gemeinschaft und als Gesellschaft. Mit Ostern beginnt ein neuer Frühling des Lebens, der in alle Lebensbereiche hineinstrahlt. Nur ein Beispiel: Nach mehr als zwei Corona-Jahren haben wir viel aufzuarbeiten. Wie viele Wunden sind da aufgerissen? Wie viele Freundschaften zerbrochen? Wie viele unbedachte, verletzende Worte sind gefallen? Und wieviel haben wir uns zu verzeihen? Für Versöhnung und einen Neuanfang aber ist es nie zu spät. Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass man sich irgendwo verrannt hat, einmal falsch abgebogen ist und man jetzt im wahrsten Sinn des Wortes ansteht. Der Weg der Auferstehung ist ein Weg des Neuanfangs: ein Neuanfang, der im Ja Gottes zur Welt und zum Leben, ja zu mir ganz persönlich gründet.

Liebe Schwestern und Brüder!

Durch die Auferstehung Jesu ist viel in Bewegung gekommen. Nicht nur die Frauen und die Jünger, die zum Grab liefen, haben sich in Bewegung gesetzt. Die Auferstehung Jesu hat Friede und Hoffnung entfacht, die sich seither von Gott zu Mensch, von Mensch zu Mensch verbreiten. Öffnen wir unsere Herzen für diese lebendige Hoffnung und für diesen schier unglaublichen Neuanfang, den Gott in Jesus für die Welt gesetzt hat.