Gedanken zum Sonntag von Bischof Benno Elbs.

Oft sind es nur kurze Augenblicke, in denen die ganze Ungeheuerlichkeit des Lebens auf erschütternde Weise sichtbar wird. Das ist mir letzte Woche wieder bewusstgeworden, als ich mich mit dem heiligen P. Maximilian Kolbe (1894-1941) beschäftigt habe. Er war Mitglied des Minoritenordens und wurde, da er sich gegen das NS-Regime auflehnte, nach Auschwitz deportiert. Als dort eines Tages ein Häftling angeblich fliehen konnte, wurden alle anderen Gefangenen zum Appell gerufen. Zehn von ihnen sollten willkürlich ausgewählt werden, um als Vergeltung für den Geflohenen im Hungerbunker langsam und qualvoll zu sterben. Unter diesen zehn war auch Franciszek Gajowniczek, ein verheirateter Familienvater. Flehentlich bat er darum, verschont zu werden – er habe doch Frau und Kinder. In dieser Situation, bei der es mir schon beim bloßen Gedanken Atem und Stimme verschlägt, hat P. Kolbe das Wort ergriffen und sich bereiterklärt, für ihn in den Hungerkerker zu gehen. Ein Leben für ein Leben. Während der Tage im Bunker, wo sie ohne Wasser und Brot dem Tod entgegenhungerten, tröstete P. Kolbe seine Mitgefangenen fortwährend und betete mit ihnen. Er verstarb am 14. August 2021, vor genau 80 Jahren.

„Es gibt keine größere Liebe…“

Für Märtyrer der NS-Zeit, zu denen auch so lichtvolle Gestalten wie Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer, Franz Jägerstätter oder der Vorarlberger Priester Carl Lampert gehören, war ihr Glaube an Gott sowie ihre Suche nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit verbunden mit Verfolgung, Folter und Tod. In der äußersten Bedrängnis ihres Lebens haben sie weder kapituliert noch sich mit den Mächtigen arrangiert. Vielmehr ist ihnen in der Freiheit ihres Gewissens und in ihrem Glauben eine Kraft zugewachsen, die sie zum Einsatz für ihre Mitmenschen gedrängt hat. Das Sterben des hl. Maximilian Kolbe zeigt uns deshalb das Antlitz des wahren Gottes, der nichts anderes ist als sich verschenkende Liebe. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“, sagt Jesus in den Tagen vor seiner Kreuzigung zu seinen Jüngern. Dieses Wort Jesu hat P. Kolbe in der Hölle von Auschwitz zur Tat werden lassen.

Einsatz für das Evangelium

An den heiligen P. Maximilian Kolbe musste ich auch denken, als ich das Evangelium dieses Sonntages (Johannes 6,60-69) gelesen habe. Dort mündet die sog. Brotrede, in der sich Jesus selbst als das wahre Brot bezeichnet, das vom Himmel kommt und ewiges Leben schenkt, in eine veritable Krise. Viele von denen, die ihm bisher gefolgt waren, fühlen sich von seinen Worten provoziert, gehen auf Distanz zu ihm und wenden sich ab. Als einer nach dem anderen ihn verlässt, fragt Jesus die übriggebliebenen Jünger: „Wollt auch ihr weggehen?“

Jesus stellt die Jünger vor eine Entscheidung und erinnert daran: Zum Christsein braucht es Entschiedenheit, um im Streit für Versöhnung, im Egoismus für Solidarität und – wie im Fall P. Kolbes – inmitten einer gottlosen Ideologie für Gott einzustehen. P. Kolbe hat gespürt, dass angesichts der Bitten des Familienvaters er und nur er gefragt ist. Sein Glaube war für ihn wie ein Kompass, der sein Handeln am Evangelium ausgerichtet hat. Und selbst in der Hungerzelle war Jesus für ihn das wahre Brot, das nährt und Leben schenkt.

Ein Leben für ein Leben: Was wie ein rasch vollzogener Tauschhandel klingt, ist in Wirklichkeit das Lebens- und Glaubenszeugnis eines großen Ordensmannes. Gewiss, das Schicksal von P. Kolbe passt nur wenig in die sommerliche Urlaubszeit. Und doch zeigt es uns angesichts weltweit wiederentfachter Krisenherde: Es gibt – damals wie heute – eine Antwort auf Unrecht und Unmenschlichkeit, ja sogar auf die Absurdität eines Todeslagers wie Auschwitz.

Franciszek Gajowniczek, jener Mann, an dessen Stelle P. Kolbe in den Tod ging, hat das KZ überlebt und im Jahr 1982 an der Heiligsprechung von P. Kolbe teilgenommen.

Bischof Benno Elbs