Hirtenwort von Bischof Benno Elbs im Advent 2021

Liebe Schwestern und Brüder!

Bei meinen Wallfahrten nach Bildstein genieße ich gerne die wunderbare Sicht auf unser Land. Dieser Blick auf das Rheintal in Richtung Oberland, in die Schweiz und nach Deutschland überschreitet Grenzen. Es erinnert mich an das Miteinander und an die Verbundenheit untereinander – jenseits aller Gräben und Spaltungstendenzen, die uns in der aktuellen Situation so sehr belasten. Oft denke ich da auch an die vielen Freuden und Sorgen, die Menschen heute haben: das Bangen um die Gesundheit, die Freude über eine berufliche Veränderung, das Hadern mit den eigenen Ecken und Kanten, die Versöhnung nach einem jahrelangen Streit in der Familie. Das alles – Schönes wie Belastendes – macht unser Leben so „wunderbar komplex“ (Evangelii gaudium 270).

Dieser Blick in die Welt und auf das Leben der Menschen kann eine gute Vorbereitung auf das Weihnachtsfest sein. Ähnliches empfiehlt auch der hl. Ignatius von Loyola. In seinem großartigen Exerzitienbuch schreibt er: Wer über die Menschwerdung Gottes an Weihnachten nachdenken will, muss zuerst das Leben der Menschen kennen und betrachten – und zwar ungeschönt und in seiner ganzen Vielfalt: das Weinen und das Lachen, den Frieden und den Krieg, die Gesundheit und die Krankheit... (vgl. Nr. 101-109) Wer deshalb etwas vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes erahnen möchte, hält die Tür zur Welt offen und verschließt nicht die Augen vor der Last des Lebens. Die Menschwerdung Gottes ist keine Flucht vor der Wirklichkeit und kein Lockdown vor der Realität, sondern das Gegenteil. Gott lässt sich auf die Welt und das Leben ein. Er wird Teil unserer Welt. Es ist keine erträumte oder verkitschte, keine vergangene oder zukünftige, sondern jene Welt, wie sie hier und heute ist. Das gilt auch jetzt mitten in einer Pandemie. Diese Welt hat sich Gott erwählt, um Mensch zu werden.

Noch einen Gedanken des hl. Ignatius möchte ich Euch in den Advent mitgeben, nämlich: auf das Leben und die Menschen in ihrer Vielfalt um uns herum zu schauen – und dann zu vertrauen, dass Gott im Hier und Jetzt mitten unter uns Mensch wird. Das geschieht in den Ängsten der Pandemie ebenso wie in kleinen und großen Freuden des Alltags; in der Hektik der Vorweihnachtszeit ebenso wie in der Brüchigkeit der eigenen Lebenssituation. Menschwerdung Gottes heißt: Meine Welt wird zu seiner Welt. Er steht in jeder Situation an unserer Seite und ist in jedem Moment des Lebens mit uns verbunden (vgl. Gaudium et spes 22).

Beim bloßen Betrachten der Welt dürfen wir jedoch nicht stehen bleiben. Gott ist in Jesus Christus jedem Menschen nahegekommen. Wenn wir in seinen Spuren unterwegs sind, müssen die Leidenden, Vergessenen und Ausgebeuteten zu denen werden, die unsere Allernächsten sind. Daran führt kein Weg vorbei.

Die drohende Klimakatastrophe zeigt, dass Amazonien uns genauso angeht wie die Ereignisse vor unserer Haustüre. Nicht nur der Wirtschaftsmarkt, auch die Verantwortung füreinander ist längst globalisiert. Im Mittelpunkt der diesjährigen Adventaktion „Bruder und Schwester in Not“ steht das Gebiet des Amazonas. Es geht um Schutz und Erhalt des Regenwaldes ebenso wie um das Recht auf Land für die indigene Bevölkerung. Die Spenden kommen in diesem Jahr besonders den Projekten von Bischof Erwin Kräutler zugute. Gemeinsam mit ihm bitte ich Euch, die diesjährige Adventaktion nach Euren Möglichkeiten zu unterstützen. Sie ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz des Weltklimas, des Regenwaldes sowie der Existenz der dort lebenden Bevölkerung. Für alle Unterstützung sage ich einfach: Vergelt´s Gott!

Von Herzen wünsche ich Euch und Euren Familien einen gesegneten Advent. Möge diese Zeit voll Hoffnung und Freude über die Erwartung des Kindes von Bethlehem sein.

Bischof Benno Elbs