Gedanken zum Osterfest von Bischof Benno Elbs.

In einer jüdischen Geschichte fragt ein Rabbi seine Schüler: „Wie kann man die Stunde bestimmen, in der die Nacht endet und der Tag beginnt.“ Die Schüler rätseln: Wenn man einen Apfel- von einem Birnbaum unterscheiden kann? Oder einen Hund von einem Schaf? „Nein“, antwortet der Rabbi. „Es ist dann, wenn du in das Gesicht eines Menschen blickst und darin deine Schwester und deinen Bruder erkennst. Bis dahin ist es noch Nacht.“

Ohne Zweifel sind es dunkle Wochen, die wir gerade erleben. Die Nacht des Krieges und mit ihm seine grausamen Folgen sind über Europa hereingebrochen. Silberstreifen am Ende dieses dunklen Horizontes sind kaum zu erkennen. Man stellt sich die bange Frage: Wie lange wird es noch dauern, bis sich in dieser „Nacht der Menschheit“ (Nelly Sachs) Menschen nicht als Feinde, sondern als Schwestern und Brüder erkennen?

„Es war aber Nacht“ – mit diesen knappen Worten leitet der Evangelist Johannes seine Erzählung vom Leiden und Sterben Jesu ein. Die Bildsprache von Nacht und Tag führt auch in die Mitte des Osterfestes. Das Kreuz Jesu bringt die dunkle Seite des Lebens ans Licht: Hass, Gewalt, das Leid Unschuldiger. Im Tod Jesu verdüstert sich die Welt. Eine Nacht muss durchgemacht werden, um Auferstehung feiern zu können. Erst im zarten Licht des Ostermorgens konnte die Erkenntnis wach werden: Jesus ist auferstanden; das Leben ist stärker als der Tod.

Wer so in der Osternacht hoffend und bittend das Licht der Auferstehung empfängt, drückt auch seine Solidarität aus. Auferstehung hat etwas mit Aufstand zu tun. Ostern ist ein Protest gegen den Tod und das Leid. Wohl auch deshalb waren die ersten Worte, die der Auferstandene am Ostermorgen zu seinen Jüngern sagte: „Friede sei mit euch.“ Um diesen Frieden bitte und bete ich heuer ganz besonders.

Bischof Benno Elbs