Oft ist in der Voweihnachtszeit ein Abgesang auf die religiöse Dimension des Weihnachtsfestes zu hören: der christliche Inhalt sei verloren gegangen und einem allgemeinen Konsumrausch zum Opfer gefallen. Warum sich Bischof Benno Elbs an dieser Pauschalkritik nicht beteiligt und was ihm an der Weihnachtsbotschaft jedes Jahr neu zu denken gibt, darüber spricht er in seinen Gedanken zum heutigen 4. Adventsonntag.

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Weihnachtsfest. Je näher der Heilige Abend kommt, umso mehr stellen Sie sich wahrscheinlich die Frage, wie Sie in diesem Jahr unter erschwerten Corona-Bedingungen Weihnachten feiern. Gerade die Pandemie zwingt uns in diesem Jahr dazu, gewohnte und lieb gewordene Bräuche neu zu gestalten. Immer wieder ist mit Blick auf das Weihnachtsfest auch die Kritik zu hören, die Erinnerung der Geburt Christi falle einem allgemeinen Konsumrausch zum Opfer. Das Fest der Geburt Jesu sei zu einem Familienfest geworden, bei dem für wenige Stunden idyllische Eintracht und Harmonie vorgetäuscht würden. So – oder so ähnlich – lauten bekannte Vorbehalte, die den Bedeutungsverlust des Weihnachtsfestes beklagen.

Wie ein Brennglas

Ich sträube mich grundsätzlich gegen derartige pessimistische und zeitkritische Pauschalurteile. Denn die Art und Weise, wie Menschen Weihnachten feiern, verrät auch etwas über die Hoffnung, die sie in sich tragen, sowie über ihre Fragen und Urbedürfnisse. Deshalb frage ich mich auch: Warum freuen sich viele Menschen, die sich als nicht gläubig oder jedenfalls als distanzierte Kirchenmitglieder bezeichnen würden, jedes Jahr aufs Neue auf Weihnachten? Nur wegen des vorweihnachtlichen Einkaufsrummels oder der glitzernden Hausbeleuchtung? Das kann ich nicht ganz glauben.

Vielmehr stimme ich dem vor kurzem viel zu früh verstorbenen Theologen Eberhard Schockenhoff zu, der meinte, dass sich zu Weihnachten das menschliche Leben wie in einem Brennglas verdichtet. Denn Weihnachten rührt die Tiefenschicht unserer Seele an: Das Zusammensein im Familienkreis weckt die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Lebensfreude, nach Schenken und Beschenkt-Werden, nach Geborgenheit und Nähe. Und auch umgekehrt: Wer Weihnachten alleine verbringt, in dem brennt vielleicht noch die Wunde einer zerbrochenen Beziehung oder des Todes eines geliebten Menschen. „Alle Jahre wieder“ ist das Weihnachtsfest wie ein Sammelpunkt des Lebens, ein Ritual in einer ritualarmen Zeit, das Halt gibt. In all dem kann ein Lichtschimmer jenes Gottes durchleuchten, der an Weihnachten Mensch wird und alles Menschliche mit uns geteilt hat.

Gott macht sich nicht aus dem Staub

Es ist auch eine Dimension unseres Lebens, dass uns unser Inneres manchmal wie ein Stall vorkommt. Der Psychologe C. G. Jung erinnerte daran, dass Jesus, der in einem Stall geboren wurde, jedes Jahr zu Weihnachten auch in dem Stall in unserem Inneren zur Welt kommt. Der Stall steht für alles Ungeordnete, Peinliche und Chaotische, das wir anderen nicht zeigen wollen und deshalb lieber in einer finsteren Ecke geheim halten. Gott kommt dort zur Welt, wo Menschen den eigenen sprichwörtlichen Saustall nicht verdrängen, sondern zugänglich machen. Im Kind von Bethlehem geht Gott auf einmalige Weise auf uns Menschen zu, um unser gebrochenes Leben zu heilen.

Wer auf das Kind im Stall blickt, wird auch im Stall des eigenen Leben Gott suchen und finden. Denn eine Botschaft auf dem Weg Richtung Weihnachten heißt auch: Wenn es schwierig wird im Leben, macht sich Gott nicht aus dem Staub, sondern mischt sich unter die Menschen. Er geht dorthin, wo die Sehnsucht nach Heil und Heilung, nach Trost und Hoffnung groß ist. Darin liegt für mich der eigentliche Grund, weshalb uns Weihnachten im Herzen berührt – und weshalb mir dieses Fest jedes Jahr neu zu denken gibt und Zuversicht schenkt.

Bischof Benno Elbs