Predigt von Bischof Benno Elbs beim Fernsehgottesdienst am 25. Dezember 2022 im Dom St. Nikolaus in Feldkirch

Alle Jahre wieder hören wir am Christtag den Beginn des Johannesevangeliums. Wir hören von jenem großen Wort Gottes, das aller Welt den Anfang gab, schließlich selbst in die Welt kam und „Fleisch“, d.h. Mensch, wurde. Ein Wort also, das nicht nur ausgesprochen wird und wieder verhallt, sondern das bleibend Gestalt und Form annimmt. Gott ist gekommen, um zu bleiben. Er bekommt im Kind von Bethlehem ein Gesicht und ein Herz. Er wird angreifbar, nahbar, versteh- und hörbar für alle, die sich zu ihm hinunterbücken.

Ruinenlandschaft

Das Wort Gottes wird Mensch. Doch es kommt nicht in eine heile Welt. Das war damals nicht so und das ist es auch heute nicht. Unsere Welt, unser Leben ist immer auch verwundet und ausgebeutet. Menschen leiden unter Krieg und Verfolgung, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Die Tränen der Mütter und Kinder sind kaum auszuhalten. Vieles liegt in Trümmern da. Doch die Heilige Schrift sagt uns, dass gerade in den dunklen Momenten des Lebens Gott zu wirken beginnt. In der ersten Lesung aus dem Buch Jesaja haben wir von einem Freudenboten gehört, der mitten in der Trümmerlandschaft, die Jerusalem damals war, Frieden und Heil verkündet. „Brecht in Jubel aus, jauchzt zusammen, ihr Trümmer Jerusalems.“ (52,9) Bemerkenswert ist, dass die Trümmer nicht aus dem Weg geräumt, sondern angesprochen werden. Die Trümmer selbst sollen in Jubel ausbrechen und sich freuen. Mitten in den Ruinen der Zeit kommt Gott zurück in die Stadt und in das eigene Leben.

Dieser Gedanke ist auf ganz wunderbare Weise abgebildet am Annenaltar von Wolf Huber hier im Dom in Feldkirch. Dort ist die Geburtsszene nicht in einem Stall angesiedelt, sondern in einer Ruinenlandschaft. Ruinen stehen für das Ende. Sie künden von vergangenen Zeiten und sind die letzten Überreste einst prachtvoller Bauten. Gerade in dieser Ruinenlandschaft – dort, wo alles zusammenbricht –, geschieht ein neuer Anfang. Dort, wo nichts auf Leben hindeutet, wird ein Kind geboren.

Gott mischt sich ein

Dieses Bild am Annenaltar zeigt uns: Auch wenn alles am Ende zu sein scheint, ist nicht alles aus, weil Gott in Jesus Christus einen neuen Anfang setzt. Wenn es schwierig wird und das eigene Leben in Trümmern dazuliegen scheint, macht sich Gott nicht aus dem Staub, sondern mischt sich ein. Er mischt sich unter die Menschen, er mischt sich ein in unser Leben – nicht mit der drohenden Geste eines Herrschers, sondern in der zerbrechlichen Gestalt und mit dem vertrauenerweckenden Blick eines Kindes. Der große Gottsucher und Heilige der Nächstenliebe, Charles de Foucauld, hat einmal gesagt: „Um uns zu retten, ist Gott zu uns gekommen, hat sich unter uns gemischt, hat mit uns gelebt, in vertrautestem und engstem Kontakt.“ Durch diese vertraute Berührung wird das gewandelt, was in uns gekränkt und verwundet ist.

Gott mischt sich unter die Menschen – das ist das Programm des Lebens Jesu:

Er mischt sich ein in unsere Ängste und Sorgen und sagt: „Hab Mut, fürchte dich nicht.“
Als Versöhner mischt Jesus sich ein in unsere Kriege und offenen Konflikte und sagt: „Selig, die Frieden stiften.“
Als Heiland mischt Jesus sich ein in unsere offenen Wunden und sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben.“
Als Alpha und Omega, als Ausgangs- und Zielpunkt unseres Daseins und der ganzen Geschichte mischt er sich ein und sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Als Immanuel, als Gott-mit-Uns, mischt sich Jesus ein in unseren Lebensweg und sagt: Ich bin da, wo du bist.

Alle Jahre wieder hören wir zu Weihnachten von diesem großen Wort Gottes, das Mensch wird. Es ist ein Wort, das Liebe, Trost und Hoffnung schenkt. Ein Wort, das Himmel und Erde und Menschen untereinander verbindet. Ein Wort, das sich unter die Menschen mischt und uns die Botschaft mit auf den Weg gibt: Ich bin bei dir; ich stehe an deiner Seite.

Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass dieses Wort auch in ihrem Leben Gestalt gewinnt und Sie weihnachtlich leben können: als Menschen der Hoffnung und der Zuversicht, als Menschen, die in den Trümmern unserer Zeit den Pulsschlag der Liebe, der uns in der Krippe begegnet, an andere weiterschenken können.

Bischof Benno Elbs