Die Lesempfehlungen, die Jana Volkmann und Johannes Kößler Ende September an Vorarlbergs Bibliothekar/innen weitergaben, hatten es in sich.

A liest C und D, aber nicht B. F liest auch G, aber G nicht F, sondern lieber H. So wie E. Nur I – I liest (fast) alles. Und Sie?

Sind hoffentlich jetzt nicht vollends verwirrt. Die Lösung ist nämlich so einfach wie brillant: Mit diesen neun Buchstaben codiert der Wiener Buchhändler Johannes Kößler Typologien von Krimileser/innen. A liebt Actionthriller, B eher Psychothriller und Dramystery. C steht auf True Crime und Horror, für D muss es politisch, wirtschaftlich oder wissenschaftlich sein. E mag es „cosy“ und touristisch, F liest am liebsten Krimis aus der Region. Für G heißt diese Region ausschließlich Skandinavien, wohingegen es für H literarischen Anspruch braucht. Und I – ja, I ist praktisch alles recht.

Morden in Fjorden...

Jede Empfehlung, die Kößler vergangene Woche gut 40 Vorarlberger Bibliothekar/innen mit auf den Weg gegeben hat, hat er entsprechend markiert: „So dunkel der Wald“, der erste Krimi der jungen Wiener Autorin Michaela Kastel sei beispielsweise für B, C und G geeignet, ihr neuester, „Worüber wir schweigen“, sei dagegen eher was für B, E, H und I. An Amy Stewarts aberwitziger, aber wahrer Geschichte um die Schwestern Kopp im New Jersey des anbrechenden 20. Jahrhunderts hätten E, F, H und I ihren Spaß; Bernhard Aichners Neuling über die Supermarktangestellte Rita und 13 Kilo Kokain in einer Bananenkiste empfehle er dagegen A, B, D, G, H und I. Dror Mishanis „Drei“ lege er allen ans Herz: Israels Krimi-König erzählt in seinem Roman die Geschichte von Orna, Emilia und Ella, die in Tel Aviv auf der Suche nach Liebe und Perspektive sind und dabei an einen Mann geraten, mit dem endlich alles möglich zu sein scheint. Auch das, womit sie nicht rechnen – und wovon auch der/die Leser/in nichts ahnt, denn Mishani krempelt seinen Krimi auf links und konzentriert sich auf das, was ein Mordopfer an Leben und Leerstellen hinterlässt.

Krimis boomen, nach wie vor: 487 Opfer von literarischen Gewaltverbrechen hat Kößler, der Vielleser, allein in den „Akten“ zwischen Juni 2019 und April 2020 gezählt – und das vermutlich sehr bewusst so doppeldeutig formuliert. Denn die „Fälle“, die er nicht empfehlen kann, Indiz „literarische Qualität“, erwähnt er auch. Dass der Mitinhaber der Wiener Seeseiten Buchhandlung heuer erstmals als Referent der Herbstlese(n) auftritt – jener Fortbildungsreihe des Büchereiverbands Österreich und des Bundeskanzleramts gemeinsam mit den Servicestellen in den Bundesländern, die Bibliothekar/innen binnen eines Vormittags einen Überblick über die Neuerscheinungen des Lesejahrs verschafft – ist vermutlich kein Zufall. Denn eine der europäischen Krimihochburgen ist und bleibt Norwegen – Gastland der Frankfurter Buchmesse 2019.

... und andere Todesfälle

Allerdings ist es dann doch ein norwegischer Roman, der ihn und seine Kollegin, die Literaturkritikerin und Autorin Jana Volkmann, nachhaltig begeistert – immerhin einer, der mit einem Todesfall beginnt: „Sie waren gerade beim Kuchen angelangt“, schreibt Erik Fosnes Hansen in „Ein Hummerleben“, „da sackte Bankdirektor Berge am Tisch zusammen und fing an zu sterben.“ Und genauso „niveauvoll, witzig, aber nicht übermütig“ gehe die Geschichte um den Hotelerben Sedd weiter, der sich einst einen kampfeslustigen Hummer als Haustier hielt. Zu verdanken sei dies, da sind sich Volkmann und Kößler einig, auch der Übersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel. Mitunter sei sie überhaupt erst durch den/die Übersetzer/in auf einen Band aufmerksam geworden, erzählt Volkmann – so im Falle von Sally Rooneys „Gespräche mit Freunden“, deren deutsche Fassung von Zoë Becks stammt. Volkmann hat sich in ihrer Auswahl auf Belletristik konzentriert, darunter „Der Revolver“ des Japaners Fuminori Nakamura, Berit Glanz‘ „Pixeltänzer“, „Herkunft“ des Buchpreiskandidats Saša Stanišić und „Der Fetzen“ – die Geschichte des Charlie-Hebdo-attentatsüberlebenden Philippe Lançon. Ein Krimi ist ihr allerdings auch dazwischengerutscht: Eva Rossmanns „Heißzeit 51“ um den Mord an der Klimaschutzaktivistin Julia. Eine Empfehlung für D, E, H und I...

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