Wie unterscheidet man Behauptung und Wahrheit? Was zeichnet ein gutes Urteil aus? Wann können auch Richter barmherzig sein? Und wo stößt man persönlich an Grenzen? Diesen Fragen stellte sich Familienrichterin Isabelle Amann im Rahmen der Schulbesuchsaktion „Wofür brennst du?“

Charlotte Schrimpff

Gerechtigkeit - was ist das? Ist es gerecht, wenn jemandem, der ein Leben lang nur hat einstecken müssen - in der Familie, in der Schule, so ganz generell - auch das genommen wird, was ihm/ihr am wichtigsten ist - das eigene Kind? Weil ein Gericht befindet, dass er/sie nicht in der Lage ist, sich gut genug zu kümmern?

Entscheidungen.

Isabelle Amann ist Familienrichterin am Bezirksgericht Dornbirn und überlegt an diesem Nachmittag im Collegium Bernardi in Bregenz ein bisschen länger, bevor sie eine Antwort gibt. Bevor sie erklärt, dass Begriffe wie „Wahrheit“ und „Gerechtigkeit“ in ihrem Beruf mitunter eher philosophischen Charakter hätten, dass ein „Pflegschaftsrichter“ das Wohl des Kindes im Auge haben müsse, nicht das der Eltern, und dass sie selbst niemals über einen Menschen urteile, sondern ausschließlich über den Umstand, dessentwegen er oder sie vor Gericht steht.
Die Schüler (und eine Schülerin), die ihr zuhören, nehmen diese Erklärungen auf - vermutlich, um sie spätestens in der nächsten Religionsstunde weiter zu diskutieren. Jetzt sind aber andere Fragen dringender: Haben Sie je ein Urteil bereut, wurden Sie schon einmal aufgrund Ihres Berufs bedroht - und dann die Sache, die vermutlich manchen in diesem Alter unter den Nägeln brennt - wann wird Haschisch legalisiert? Amann schmunzelt, die Klasse lacht.

Gäste mit Sinn.

Ihr Besuch bei den Maturant/innen ist Teil der Schulbesuchsaktion „Wofür brennst du?“, die heuer zum fünften Mal stattgefunden hat: Mehr als 40 Personen aus verschiedenen Berufen und Einrichtungen standen als „Glaubenszeug/innen“ zur Verfügung und bereicherten den Religionsunterricht ab Schulstufe 10. Die Richterin gehört zu den „nicht-kirchlichen“ Referent/innen - neben ihr waren z. B. Franziskus Karlen als ehemaliger päpstlicher Schweizergardist, Sr. Maria Maier OP aus dem Dominikanerinnenkloster Bludenz oder Vikar Elmar Simma im Land unterwegs.
Ziel ist es, jungen Menschen nicht nur Perspektiven auf Berufe mit „Sinn“ zu eröffnen, sondern auch die Möglichkeit zu geben, mit jemandem offen über das zu sprechen, worauf es im Leben ankommt: Wie finde ich (m-)einen Weg, welche Rolle spielt dabei mein Glaube, oder eben: Wofür brenne ich?

Wege eröffnen.

Amann erzählt, warum sie sich statt ihres Kinderwunsches Pilotin zu werden, doch für Jus entschieden hat, wie es ist als junge Frau zum ersten Mal ein Urteil zu sprechen oder worauf es ihr in ihrem Beruf ankommt: „Wer vor mir steht, befindet sich meist in einer echten Ausnahmesituation“, erklärt sie. „Wenn es uns während der Verhandlung gelingt, die Dinge zu sortieren und diesen Menschen wieder Perspektiven zu eröffnen, ist das ein Riesenerfolg.“ 

„So wahr mir Gott helfe.“

Aber dann hat auch sie noch ein paar Fragen an die Klasse: Ob es beispielsweise jemanden gebe, der/die sich ebenfalls vorstellen könne, Anwalt oder Richter zu werden? Ein Schüler nickt. Oder ob jemand eine Ahnung habe, weshalb in österreichischen Verhandlungssälen auf dem Richtertisch stets ein Kreuz steht, obwohl Staat und Religion doch strikt getrennt sind? Die Schüler/innen zucken mit den Schultern.
Dabei ist die Sache so simpel wie interessant: Gläubige Zeug/innen müssen bei Beeidigungen auf Bibel, Koran oder Thora schwören, dass sie die Wahrheit sagen - „so wahr mir Gott helfe“.
„Und Atheisten?“, will prompt ein Schüler wissen. „Die schwören einfach so“, sagt Amann und lächelt. «

Mehr zur Schulbesuchsaktion: www.wofuer-brennst-du.at