Im Jahr 1478 stellten vier römische Kardinäle eine Ablassurkunde für die Kirche in Raggal aus. Vier einfache Vornamen tragen die gesamte römische Renaissance in ein karges Bergtal.

Archivale des Monats - November 2016

Raggal im 15. Jahrhundert

Zugleich mit der Rodung und landwirtschaftlichen Nutzung der Höhenlagen des Großen Walsertales im 14. Jahrhundert gründeten die Walser auch ihre Siedlungen. 1455 wurde die erste Kirche in Raggal geweiht, 1460 eine Kaplaneistelle errichtet. Im Jahr 1470 wurde Gabriel Werdenberger als Kaplan nach Raggal präsentiert. Und 1478 wurde wohl auf dessen Betreiben in Rom eine Ablassurkunde für die Kirche in Raggal ausgestellt.

Vier römische Kardinäle

Die vier römischen Kardinäle Roderich, Julianus, Stephanus und Franciscus stellten diese Ablassurkunde gemeinsam aus. Die Ausstellung von Ablassurkunden war gängige Praxis der Renaissancezeit und spülte gutes Geld in die Taschen der Kardinäle. Dieses Vorgehen brachte nicht zuletzt Martin Luther gegen den Handel "Geld gegen Seelenheil" auf. Dem Beginn der Reformation gingen neben anderen Missständen auch der blühende Ablasshandel der Päpste und Kardinäle zur Finanzierung der kirchlichen Großvorhaben - vor allem in Rom - voraus.

Der Bischof von Porta-Santa Rufina

Gemälde von Cristofano dell'Altissimo - wikimedia commonsDer erstgenannte Kardinal war Rodericus, der Bischof des Bistums Porta-Santa Rufina. Porta-Santa Rufina ist ein Bistum vor den Toren Roms, das im Mittelalter aus der Zusammenlegung zweier Bistümer entstanden war. Ein Teil dieses Bistums war die Stadt Portus Romae, die von Kaiser Claudius im Jahr 42 nach Christus als neuer Hafen für die Stadt Rom gegründet worden war. Die Überreste des Hafens sind übrigens heute noch in der Nähe des Flughafens Fiumicino zu finden. Der lateinische Name "Rodericus" bezieht sich hier auf einen italienischen - oder wohl eher spanischen - Vornamen, nämlich "Rodrigo". Inhaber des Bistums Porto war seit 1476 Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI. Kaum eine Familie ist derart verrufen wie die Borgias, um kaum ein Pontifikat ranken sich soviele Legenden. Das Papstamt erfüllte Alexander VI. wohl eher als Territorialfürst, weniger als theologische Führungsgestalt. Er bekannte sich unverhohlen zu seinen Kindern, mit deren Hilfe er seine machtpolitischen Ambitionen unterstützte. 

Der Kardinal von San Pietro in Vinculi

Portrait von Tizian - wikimedia commonsAls zweiter folgt in der Aufzählung der Kardinäle der Name Julianus. Er war laut Urkunde Kardinal an der Titelkirche San Pietro in Vinculi. Diese Kirche in der Nähe des Kollosseums verwahrt die Ketten, mit denen der Heilige Petrus während seines Martyriums gefesselt gewesen sein soll. Julianus ist die latinisierte Form des Namens Giuliano und gemeint ist damit niemand anderer als der Titelinhaber Giuliano della Rovere, der spätere Papst Julius II. Giuliano della Rovere war von 1471 bis zu seiner Wahl zum Papst im Jahr 1503 Kardinalpriester an dieser Kirche. Als Papst Julius II. verkörperte er den Idealtyp eines Renaissance-Herrschers. Als beinahe direkter Nachfolger des Borgia-Papstes Alexander VI. ist er für die militärische und politische Stabilisierung des Kirchenstaates, die Gründung der Schweizergarde und als Förderer der Künste in bleibender Erinnerung. Ihm verdanken wir etwa den Neubau des Petersdom, die Fresken von Michelangelo in der Sixtinische Kapelle, die Stanzen des Raphael und nicht zuletzt die berühmte Mosesfigur des Michelangelo, die Teil seines eigenen Grabmals werden sollte.

Der Kardinal von Santa Maria in Trastevere

wikimedia commonsDer dritte genannte Kardinal heißt Stephanus. Es handelt sich hier um Stefano Nardini, der 1476–1484 Kardinalpriester an der Kirche Santa Maria in Trastevere war. Diese Kirche ist die älteste Marienkirche Roms und bildet mit dem davor liegenden Platz das Zentrum des Viertels Trastevere. Stefano Nardini wurde um 1420 in Forlì geboren und schlug zunächst eine militärische Laufbahn ein. Nach einem späteren Kirchenrechtsstudium betätigte er sich in der Gerichtsbarkeit und der Diplomatie des Vatikans und wurde schließlich 1461 Erzbischof von Mailand. Später kehrte er nach Rom zurück und hatte als Kardinalpriester von Santa Maria in Trastevere wiederum päpstliche Ämter inne, zuletzt als Camerlengo. Er starb 1484 in Rom.

Der Kardinal von Santa Maria Nuova

wikimedia commonsEs handelt sich bei dieser Kirche um die zweite Marienkirche auf dem Forum Romanum, die - im Gegensatz zur Kirche Santa Maria antiqua aus dem 5. Jahrhunder - erst im 9. Jahrhundert an der Stelle des früheren Venus- und Romatempels gebaut wurde. Im 15. Jahrhundert wurde die Widmung dieser Kirche dann Francesca von Rom zugeteilt, in der Urkunde von Raggal heißt die Kirche aber noch "Sancta Maria nova". Der Kardinaldiakon von Santa Maria nova, Franziscus, entstammte ebenfalls einer prominenten italienischen Familie: Francesco Gonzaga wurde 1444 in Mantua geboren und studierte Kirchenrecht in Padua. Auf Druck seiner Verwandtschaft – er war ein Neffe von Kurfürst Albert III. von Brandenburg – wurde er mit 17 Jahren zum Kardinal ernannt und erhielt als römische Titelkirche die Kirche Santa Maria Nuova zugesprochen. Später wurde er Bischof von Mantua und starb 1483 als Bischof von Bologna.

Die Urkunde

Der Inhalt der Urkunde ist übrigens nicht besonders interessant... Die vier Kardinäle verleihen der Pfarrkirche zum heiligen Nikolaus in "Raggol" der Diözese Chur, anscheinend nach einer baulichen Erweiterung, auf die Festtage von Peter und Paul, Verkündigung Mariä und Geburt Johannes des Täufers aus. Von den angehängten Siegeln sind leider nur die spitzovalen Bleckhüllen erhalten. Bilder von der Urkunde finden Sie hier.

Bestand: AT-ADF 3. PA Raggal - Urkunden 1.1.

Literatur: Ludwig Rapp / Andreas Ulmer / Johannes Schöch, Topographisch-historische Beschreibung des Generalvikariates Vorarlberg. Band VII/2, 786. Gebhard Fischer, Archiv-Berichte aus Vorarlberg, III/17: Regest Nr. 1017. (In: 37. Jahresbericht des Vorarlberger Landesmuseumsverein über das Jahr 1898. Bregenz 1899, 84).