Im Jahr 1917 dauerte der Erste Weltkrieg bereits drei Jahre. Die wirtschaftliche Not war groß, besonders leidtragend waren die Kinder. In diesem Jahr organisierte ein Schweizer Pfarrer eine Kindererholungsaktion: 543 Kinder aus Vorarlberg konnten für sechs Wochen bei Schweizer Familien der wirtschaftlichen Not des Krieges entkommen. Ein Bericht darüber hat sich im Diözesanarchiv erhalten.

Archivale des Monats - Dezember 2015

Pfarrer Karl ab Egg aus Frick im Kanton Aargau berichtete im Sommer 1918 über die von ihm organisierte Erholungsaktion für Vorarlberger Kinder:

Pfarrer ab Egg aus Frick

"Gestatten mir, Euer Gnaden, einen kurzen summarischen Bericht einzureichen über den Vorarlberger Kinderzug nach der Schweiz vom 15. Dezember 1917 bis 28. Januar 1918. Von jeher ein Freund Österreichs und im besonderen des schönen Vorarlberg ging mir die Not der armen Kinderwelt zu Herzen, so dass in mir der Entschluss reifte, einigen hundert Kindern einen mehrwöchentlichen Erholungsaufenthalt zu ermöglichen."

Trotz der vielen behördlichen Auflagen und kriegsbedingten Schwierigkeiten konnte die Aktion in die Tat umgesetzt werden. Die Hilfsbereitschaft war groß: "Nach Verfluss von drei Wochen hatte eine ungeahnte Zahl von Pflegeeltern sich bereit erklärt, Kinder in ihre Familien aufzunehmen. In 31 Pfarreien der Kantone Aargau, Zürich, Zug, Uri, St. Gallen, Appenzell konten 562 Kinder für 6 Wochen unentgeltlich Aufnahme und Versorgung finden."

543 Kinder reisen ab

Und so konnte am 15. Dezember 1917 die Reise beginnen: "Ein Sonderzug, welchen die Schweizer-Bundesbahnen gebracht hatten, sollte die Kinder an ihre Bestimmungsorte bringen. Von allen Seiten strömten die Kleinen zusammen; Freude leuchtete auf allen Gesichtern. In dürftigen Bündeln trugen sie die paar Habseligkeiten mit sich. Jedes Kind hatte seine Erkennungsmarke umgehängt, auf welcher neben einigen Mahnungen, Name des Kindes und der Pflegeeltern und deren Adresse notiert war. [...] Der Kinder hatte sich grosse Freude bemächtigt, als wir in Buchs ankamen. Die dortige Wohltätigkeitsgesellschaft erquickte sie mit einem warmen Thee un deinem grossen Stück Brod. Die Zürcher-Gesellschaft verabreichte jedem Kinde eine Tafel Chokolade, dies' Geschenk brachte Leben in die kleinen Gäste, sie dankten mit lautem Jubel. [...] In Zürich standen im Bahnhofe Mitglieder der Österreicher Gesellschaft zum Empfange bereit. Jedes Kind empfing eine warme Wurst und Brot, und viele Süssigkeiten wurden verteilt. Der Aufenthalt war kurz. In Brugg stiegen die ersten Kinder für dne Aargau aus. [...] Endlich nachmittags gegen 4 Uhr wurden auf der Station Stein-Säckingen die letzten Gruppen abgegeben. Die ganze Reise vollzog sich programmmässig und ohne irgend welche Hindernisse."

Geschenke

"Die sittliche Aufführung der Kinder ist über jeden Zweifel erhaben. Überall im Hause und auf der Strasse erwiesen sie sich anständig und dankbar; für jede auch die kleinste Gabe, gab es ein herzliches "Vergelts Gott" zurück. [...] Die Kinder waren infolgedessen allenthalben bei Gross und Klein beliebt. Darum suchte man allgemein ihnen den Aufenthalt sehr angenehm zu gestalten. Schon in den ersten Tagen kauften die Leute für sie Schuhe und Kleidungsstücke. Ein Paar neue Lederschuhe - ohne die hölzernen Klappersohlen - bildete den Gipfelpunkt der Freuden für ein Kinderherz."

Krieg und Frieden

"Ihnen zu Ehren und um sie erneut reich zu beschenken, haben in allen Dörfern unsere katholischen Volksvereine Weihnachts- und Neujahrsfeiern veranstaltet. Bei dieser Gelegenheit sprachen unsere Kindergäste stimmungsvolle Kriegsdichte und rissen so unser Volk unbewusst zum Danke gegen Gott hin, dass wir den Frieden geniessen. Und in manchem Herzen reifte der Entschluss, dem Kinde will ich gerne eine Freude bereiten, wenn uns Gott nur den Frieden erhält." So hatte die Kriegspropaganda in Österreich bei den Kindern Erfolg, bei den Schweizern wohl den gegenteiligen Effekt.

Rückkehr und Erinnerung

Am 28. Jänner kehrten die Kinder nach Vorarlberg zurück. Bischof Waitz bedankte sich bei Pfarrer ab Egg und schrieb: "Dieser Bericht wird im Archiv des Generalvikariates hinterlegt zur ständigen Erinnerung an all das Gute, das soviele Vorarlberg Kinder in dieser schweren Kriegszeit durch die freundnachbarliche Schweiz in so reichem Maße erfahren haben."

Ob alle Kinder die Wochen in der Schweiz in guter Erinnerung behalten haben, oder doch eher das Heimweh überwog, lässt sich nicht sagen. Das von Pfarrer ab Egg nach Feldkirch gesandte Foto spricht jedenfalls für für sich.

Bestand: AT-ADF 1.2. GB 13.3.3.