Vor 30 Jahren starb Bischof Paulus Rusch in Innsbruck. In unserer Diözese ist er vielen Menschen noch als zuständiger Oberhirte bis zum Jahr 1968 in Erinnerung. Die Archivale(n) des Monats April 2016 erzählen über seinen schwierigen Amtsantritt 1938.

Archivale(n) des Monats - April 2016

Apostolischer Administrator

Am 22. November 1938 schrieb der neuernannte Apostolische Administrator von Innsbruck-Feldkirch, der erst 35-jährige Paulus Rusch, an den Generalvikar in Feldkirch: "Ich darf Ihnen hiermit meine Ernennung zum Apostolischen Administrator für Tirol und Vorarlberg bekanntgeben. Meine Bischofsweihe wird am 30. November, Andreastag, in Innsbruck stattfinden. Hiezu habe ich nun die grosse Bitte, dass Excellenz die Güte haben, bei der Weihe als Mitkonsekrator tätig zu sein." Paulus Rusch löste damit den bisherigen Apostolischen Administrator, Erzbischof Sigismund Waitz, ab. Dieser war seit seiner Ernennung zum Erzbischof von Salzburg für ganz Westösterreich zuständig gewesen. Neben der hohen Arbeitsbelastung für Waitz machten die zunehmenden Repressionen der Nationalsozialisten die Ernennung eines neuen Administrators für Tirol und Vorarlberg notwendig. Die Entscheidung Roms für den jungen Regens des Priesterseminars überraschte jedoch viele.

Die Reaktion der Nationalsozialisten

Die Reaktion des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten in Wien auf die Ernennung von Rusch war an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. Das Ministerium schrieb folgendes an die Landeshauptmannschaft Bregenz: "Es ist bekanntgeworden, dass Bischof Waitz die Administratur für Tirol und Vorarlberg niedergelegt hat und ein junger Geistlicher namens Rusch an seine Stelle getreten ist, jedoch ohne dass mit den staatlichen Stellen verhandelt worden wäre. Deshalb wird jeder amtliche Verkehr mit dem neuen Administrator verboten, von ihm unterfertigte Schriftstücke sind unerledigt liegen zu lassen. Wenn etwas mit der Administratur zu verhandeln wäre, möge man es nach wie vor an Bischof Waitz richten. Die bisherigen Stellen der Administraturen sind von diesem Verdikt nicht berührt."

Damit konnte Rusch trotz seines Amtes nur innerkirchlich seine Autorität ausnützen. Die Verhandlungen mit den politischen Stellen, allen voran der explizit kirchenfeindlichen Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer, konnte Rusch selbst nicht führen. Er ernannte deshalb Dr. Carl Lampert zu seinem Provikar und übergab ihm eine formlose Vollmacht, seine Angelegenheiten zu vertreten. Nicht zuletzt dadurch wurde Lampert für die Nationalsozialisten zum direkten Gegner, der angreifbarer als der Apostolische Administrator war.

Ein Hirtenbrief

Im Advent 1938 schrieb Bischof Paulus seinen ersten Hirtenbrief, in dem er Bezug auf die Passion Jesu nahm, insbesondere auf die Frage des Pontius Pilatus: "Was ist Wahrheit?". Er gab in diesem Schreiben die Antwort, dass Christus seinen Aposteln den Auftrag gegeben habe, der Wahrheit Zeugnis zu geben, "und die Wahrheit hat sie alle frei gemacht." Dieser Aufruf sollte den Menschen die Treue zum Glauben vermitteln und war zugleich Kritik an der Ideologie des Nationalsozialismus.

Die Kriegsjahre

Die weiteren Entwicklungen rund um die Kirche im Gau Tirol machten es Paulus Rusch schwer, sein Amt ausfüllen zu können. Die Inhaftierung und spätere Hinrichtung von Dr. Carl Lampert traf ihn tief, der Feldkircher Provikar Franz Tschann musste viele Vertretungsaufgaben übernehmen. Bei der Bevölkerung war Rusch sehr beliebt. Seine ersten Auftritte in Vorarlberg, etwa beim Krönungsfest in Bildstein oder bei der Primiz von Kaspar Innauer in Bezau lockten tausende Menschen herbei. Er war als wortgewaltiger Prediger bekannt, blieb jedoch bis zum Ende des Nationalsozialismus stets im Hintergrund. Die spätere Einschätzung dieser seiner ersten Amtsjahre blieb für Rusch stets wechselnd zwischen beklemmender Erinnerung und einem raschen Vergessen des selbst erlebten und bei anderen gesehenen Unrechts.

Der "rote Bischof"

Der Wiederaufbau der Nachkriegsjahre bot Paulus Rusch die Chance, sich als zupackender Seelsorger zu zeigen, der sich für sozialen Wohnbau, als Fürsprecher der Arbeiterschaft und Vertreter der Jugend stark machte. Hier konnte er in ganz anderer Weise als zur Zeit des Nationalsozialismus das kirchliche Leben in Tirol und Vorarlberg prägen. Sein Engagement für den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe brachten ihm das Attribut des "roten Bischofs" ein. Als die Studentenunruhen der 1968er Jahre die Gesellschaftsordnung der Nachkriegszeit ins Wanken brachten, blieb auch Bischof Rusch von den Folgen nicht unberührt. Die Auseinandersetzungen um die Katholische Hochschulgemeinde in Innsbruck in den frühen 1970er Jahren kratzten stark am positiv besetzten Image des "Jugend- und Sozialbischofs".

"Fels im Strom der Zeit"

Bischof Rusch übergab im Jahr 1981 das Bischofsamt an seinen Nachfolger Reinhold Stecher. In den 43 Jahren seiner Amtsführung hatten sich gesellschaftliche, politische und kirchliche Umstände massiv verändert. 1964 war die Diözese Innsbruck errichtet worden, zum Leidwesen von Bischof Rusch wurde 1968 Vorarlberg als selbständige Diözese von Innsbruck abgetrennt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat Gesicht und die Sprache der Kirche von Grund auf verändert. In seiner maßgeblichen Biographie von Bischof Rusch schreibt der Innsbrucker Universitätsprofessor Helmut Alexander über diese Jahre: "In den letzten Jahren seiner Amtszeit begann für viele Tiroler und Tirolerinnen Bischof Rusch, 'dieser pausenlos Mahnende' unbequem zu werden, für sie ist aus dem umjubelten Fortschritts- und Jugendbischof ein Nörgler geworden, ein Besserwisser, ein Ewig-Gestriger. Immer lauter und zahlreicher wurden die Stimmen, die Rusch einen weltfremden, humorlosen und streng autoritären Kirchenmenschen schimpften."

Eine treffende Charakterisierung von Bischof Rusch lieferte Kardinal Franz König, indem er sagte: "Er hat sich nicht gewandelt, darin wurzelte seine Größe. Dies war aber auch die Ursache manch bitterer Erfahrung. Er ist immer gegen seine Zeit gestanden, wenn seiner Meinung nach diese Zeit gegen Gott stand."

Lebensabend

In seinem Buch "Waage der Zeit - Wege der Zeit" hat Bischof Rusch am Ende seines Lebens seine Erfahrungen und Erkenntnisse in einem Plädoyer für das Christentum niedergelegt. In den letzten Zeilen nimmt er hier das Wort der Freiheit wieder auf: "Aber auch ohne Freiheit geht es nicht. Die Menschheit hat eine Stufe erreicht, auf der ihr die Gewissensfreiheit nicht mehr genommen werden kann. Nur eine reaktionäre Ideologie kann dies bestreiten." Er fährt fort, dass es das Ziel sei, "einer geeinten brüderlichen Menschheit zu dienen." Seiner Meinung nach stehen aber die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen diesem Ziel entgegen und er wünscht sich: "Möge den Völkern der Erde nach den heutigen Irrungen die volle Einsicht für diese Ziel gegeben werden. Mögen sie das Ziel realistisch ins Auge fassen. Und möge Gott seinen Segen für die Verwirklichung geben."

Geprägt von der fehlenden Freiheit zu Beginn seiner Amtszeit konnte Rusch in Zeiten der erlangten Freiheit nach dem zweiten Weltkrieg als tatkräftiger Seelsorger bestehen. Die gesellschaftlichen Entwicklungen schienen ihn später zu überholen, was ihn immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik brachte. Unbestritten sind Zeichen seines Wirkens, die nicht nur das seelsorgliche Leben in Tirol und Vorarlberg sondern auch das soziale Klima in Österreich entscheidend mitgeprägt und verändert haben.

Am 31 März 1986 starb Bischof Paulus Rusch in Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern von Zams und wurde in der Gruft des Innsbrucker Doms beigesetzt.