Es ist ein brütend heißer Tag in der Feldkircher Innenstadt. Vor dem Dom sitzen 18 Menschen im Schatten. Sie sehen die Sonne nicht, aber sie spüren sie. Und gleich geht es für sie mit der Spezial-Kirchenführung für blinde und sehbehinderte Menschen hinein in den Dom und hinein in seine be-greifbaren Geschichten.

Und schon biegt Gerlinde Budzuhn um die Ecke. Gerlinde Budzuhn ist staatlich geprüfte Fremdenführerin und auch Kirchenraumpädagogin. Irgendwann einmal ist Gerlinde Budzuhn nämlich über ein Fortbildungsangebot der Kirche gestolpert.  Warum also nicht doppelt führen – weltlich und kirchlich. Überlegt, gesagt und getan. Heute ist Gerlinde Budzuhn also beides: ein „austria guide“ mit der Zusatzausbildung zur Kirchenraumpädagogin.


Wie man Fragezeichen beseitigt

Herzlich begrüßt sie die 18 Teilnehmer/innen dieser Spezial-Kirchenführung, die das Archiv der Diözese Feldkirch gemeinsam mit dem Blindenapostolat ausgeschrieben hatte. Othmar Lässer vom Diözesanarchiv ist heute auch in den Feldkircher Dom gekommen. Scließlich ist es eine der ersten Spezial-Führungen, die ja irgendwie auch aus dem Angebt entstanden sind, das er hier im Land zunächst einmal ausprobiert und dan wietergeführt hat. Othmar Lässer ist nämlich der, der den Lehrgang für Kirchenraumpädagog/innen organisiert. Und was klein anfing, das lässt sich heute bereits in rund 50 Kirchenraumpädagog/innen landauf und landab messen. Gerlinde Budzuhn ist eine von ihnen und sie weiß die vielen Zeichen und Symbole eines Kirchenraums zu entschlüsseln und für ein heutiges Publikum zu übersetzen. Denn längst nicht mehr ist es so, dass jedes Zeichen von jedem problemlos gelesen und damit verstanden werden kann. Im Gegenteil, viele stammen aus einer anderen Zeit und aus einer scheinbar weit entfernten Welt.


Begreifen, ohne zu sehen

Irgendwann aber kam Gerlinde Budzuhn die Idee, dass sie neben den ganz klassischen Kirchenführungen doch auch Führungen für Menschen mit ganz speziellen Bedürfnissen anbieten könnte. Saß der Floh erst einmal im Ohr, wollte er da auch nicht mehr weg. So lange, bis sich Gerlinde Budzuhn an den Tisch setzte und das Konzept für ihre erste Spezialführung für Blinde und Sehbehinderte konzipierte. „Man muss da ganz neu beginnen. Man darf also auf keinen Fall glauben, man könnte das Konzept von einer Führung für Sehende 1:1 einfach so übernehmen. Der erste Gedanke muss immer sein, wie kann ich es schaffen, Menschen, die nicht sehen, Dinge begreiflich zu machen“, erklärt Budzuhn und hat damit auch schon den Schlüssel quasi in der Hand. Was man nicht sehen kann, das muss man be-greifen.


Das Weihwasserbecken sieht kühl aus

Im Falle des Feldkircher Doms heißt das so viel, als dass die Führung beim Weihwasserbecken beginnt. Der Stein ist kühl, rund, glattpoliert. Das Wasser darin kalt und nass. Man hört es kurz gluckern, als ein Finger nach dem anderen leicht die Oberfläche berührt. Eigentlich aber hat die Führung ja schon beim Durchschreiten der Dompforten begonnen. Spätestens da haben sich nämlich Temperatur und Raumhall von einer Sekunde auf die andere verändert. Und so geht es weiter. Die Geschichte, die die Grafen von Montfort mit Feldkirch verbinden, wird erzählt und mit den Fingern entlang der Montforter-Grabplatte im Altarraum des Doms ertastet. Beim kunstvoll geschmiedeten Sakramentshäuschen zur rechten des Langschiffs heißt die Devise „spüren sie, wie fein gearbeitet das ist? Fassen Sie es ruhig an“. Und einen Schritt weiter, in der Marienkapelle des Doms, leitet Gerlinde Budzuhn ihre Gruppe an, genau hinzuhören, wie sich die aufstrebenden Gewölbe der Gotik im Vergleich zur viel niedrigeren Kapelle anhören. „Übrigens, bemerken Sie den Unterschied? Sie stehen gerade auf der Grabplatte von Bruno Wechner. Bruno Wechner war der erste Bischof von Feldkirch“, erzählt die Kirchenraumpädagogin und verbindet ihre Ausführungen mit der herzlichen Einladung und der dringenden Bitte, doch tatsächlich den Unterschieden zwischen Kirchengang und eingelassener Grabplatte zu ergehen.


Das Profil eines Raums ertasten

18 Führungsteilnehmer zählt Gerlinde Budzuhn heute. Es sind durch die Bank Menschen, die nicht sehen, wovon sie ihnen erzählt, und ihre Begleiter. Sie sehen den Feldkircher Dom zwar nicht, wenn sie ihn aber nach knapp einer Stunde Führung wieder verlassen, haben sie ein ganz genaues Bild davon, welche Geschichten sich im Profil dieses Raums verewigt haben. Das ist auch eine Kunst, Bilder entstehen zu lassen für die, die sie nicht sehen können.


Am besten gleich anmelden

Übrigens, Gerlinde Budzuhn ist nicht die einzige, die sich Gedanken über Spezialführungen gemacht hat. In Höchst findet dieser Tage eine Spezial-Kirchenführung für Menschen mit Demenz statt. Auch ein schöner Nebeneffekt der Lehrgänge zur Kirchenraumpädagogik, dass nun an vielen Orten des Landes Frauen und Männer sitzen, die ihre Ideen zu neuen Führungskonzepten einfach einmal ausprobieren. Und übrigens, der nächste Grundkurs zur Kirchenraumpädagogik ist auch schon in Sicht.

 

Stichwort Kirchenrampädagogik

Der nächste Kirchenpädagogik-Lehrgang startet im Jänner 2019. In acht Einheiten wird von Expert/innen Wissen in den Bereichen Liturgie, Architektur, Pädagogik, Methodik, Geschichte und Präsentation vermittelt. 

 

Weitere Informationen zum Lehrgang bei

MMag. Othmar Lässer
T05522 3485 302
www.kirchenraum.at

De Lehrgangsfolder finden Sie hier.