Bis vor ca. 200 Jahren war es üblich, in der ganzen Nacht vor dem 1. Mai die Kirchenglocken zu läuten, um Unheil und böse Geister abzuhalten. Den Behörden, die seit Jahrzehnten gegen Aberglauben vorgingen, war dies ein Dorn im Auge.
Archivale des Monats - Mai 2014
Brauchtum um den 1. Mai
Der Vorarlberger Priester Leo Jochum (+1940) schrieb 1937 seine Dissertation über das kirchliche Brauchtum in Vorarlberg. Er beschrieb das Mai-Einläuten folgendermaßen: "Der Mai wurde im ganzen Oberland (früheres Churergebiet) feierlich eingeläutet. Im Unterland aber nicht. Im Gebiet Rankweil bis Bludenz war mancherorts an diesem Abend der Maipsalter. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß dies wegen der in jener Gegend empfindlichen Maikäferplage geschah. Allerdings war der Mai vielfach ein Bettag, auch im Unterland. Aber die Maikäferplage war geeignet, die materielle Intention mit der Marienverehrung zu verbinden" (vgl. Montfort 1947).
100 Jahre vorher: gegen "Religions-Mißbrauch"
Im Diözesanarchiv Feldkirch befindet sich ein Akt mit der Überschrift: "Religions-Mißbräuche. Läuten am 1ten May im Walserthale"
Der Kreishauptmann von Vorarlberg, Franz Anton von Daubrawa, begann zu Beginn des Jahres 1821 gegen das Mai-Einläuten vorzugehen. Er schrieb an den Generalvikar in Feldkirch:
"Schon durch das verehrliche Privat-Schreiben vom 7. Juli des v. J. hatte ich mich veranlaßt gefunden, die Gerichtsvorstände von Sonnenberg und vom Bregenzer Walde zu beauftragen, den Unfuge, daß im Walserthale am 1. May die ganze Nacht hindurch geläutet werden soll, um die bösen Geister ferne zu halten, geeignet nachtzuspühren. Im Anschlusse gebe ich mir nun die Ehre, dem hochwürdigen Generalvikariate die von denselben erhaltenen Aufschlüsse zur beliebigen Einsicht mit dem geziemenden Bemerken mitzutheilen, daß das Läuten am 1. May, außer einem kurzen Zeichen zum Gebethe, überhaupt ganz abzustellen seyn dürfte."
Er stieß mit diesem Ansinnen bei Generalvikar Galura in Feldkirch auf offene Ohren. Dieser hatte das gleiche Ziel und antwortete:
"Ich danke Einem löblichen Präsidium für das gefällige Mitwirken zur Aufhebung des in einigen Pfarreien bestehenden Unfugs, am Vorabende des 1ten May unmäßig zu läuten. Daß, wo es immer üblich war, am genannten Vorabende ein Psalter abgebetet werde, unterliegt nicht der geringsten Erinnerung. Was das Läuten betrifft, wird dieses, wo es in der Nacht statt hatte, ganz abzuschaffen, hingegen zu erlauben seyn, daß vor dem Psalter etwa 1/4 tl oder auch eine halbe Stunde, und so nach dem Psalter geläutet werde. Dabei wünsche ich, daß die Ortsvorsteher vom k.k. Landgerichte gehörig belehrt werden, was nach meinem Erachten mit besserm Erfolge durch das Landgericht als durch die Geistlichkeit, welcher man alle Abänderungen gegen übel deutet, geschehen dürfte; ich bin auch überzeugt, daß die k.k. Landgerichte ohne alle Beschwerde diesem Unfuge steuern werden."
Gebet statt Geläut
Im Folgenden wurden die Ortsvorsteher mit einem deutlichen Text beauftragt, gegen diesen "Unfug" vorzugehen: "Der in einigen Ortschaften bestehende Unfuge am Vorabende und in der Nacht auf den 1. May mit den Kirchenglocken unmäßig zu läuten, kann in mehrfälliger Hinsicht nicht länger gestattet werden. Daß an dem erwähnten Vorabende, wo es immer üblich ist, ein Psalter gebethtet werde, unterliegt nicht der geringsten Erinnerung. Was aber das Läuten belangt: hat solches in der Nacht ganz zu unterbleiben, und mag bloß vor und allenfalls auch nach dem Psalter eine Viertlstund geläutet werden. Hiernach hat das k.k. Gericht die Orstvorsteher, die es betrifft, gehörig zu belehren, welche diesen Unfug zweifelsohne selbst einsehn, und zu dessen Abschaffung gerne mitwirken werden, während eben unter Einem auch das bischöfliche Generalvikariat um die geeignete Verständigung der Geistlichkeit geziemend angegangen wird"
Die Umsetzung der Anordnung
Dieser geziemenden Aufforderung folgte das Generalvikariat und verständigte per Kurrende die Geistlichkeit. Kurrenden (von lateinisch currere: eilen), waren die damals übliche Verständigungsmöglichkeit. Ein Blatt mit dem relevanten Text wurde von Pfarre zu Pfarre geschickt und jeder Seelsorger musste mit seiner Unterschrift die Kenntnisnahme bestätigen. Trotz gebotener Eile kam die im Diözesanarchiv erhaltene Kurrende in der letzten Pfarre erst am 7. Mai 1821 an:
"An die Hochwürdige Geistlichkeit zu Braz, Bludenz, Bürs, Bürserberg, Brand, Nüziders, Nenzing, Gurtis und Frastanz. Aus Auftrag vom fürstbischöflichen General-Vikariate wird, da das unmäßige Läuten am Vorabende, und in der Nacht v. 1. May vom k.k. Kreisamte abgeschafft worden, die Hochwürdige Geistlichkeit hiemit aufgefordert, sanft, bescheiden, und klug mitzuwirken, daß hierin in ihren Gemeinden das, was wirklich Unfug ist, und an Aberglauben grenzt, unterbleibe. Zugleich hat dieselbe die beygebogene Kurrende zu unterzeichnen, und diese sohin unverzüglich an das Hochwürdigste Generalvikariat rückeinzusenden."
Bestand: AT-ADF 1.2. GB 6.4.6.
Literatur: Dr. Leo Jochum, Religiöses und kirchliches Brauchtum in Vorarlberg. In: Montfort 1946, 263-284 und Montfort 1947, 111-139.