Eine diskriminierungsfreie Gesellschaft: Interview mit Simon Inou

Simon INOU studierte in Duala (Kamerun) Soziologie und in Wien Publizistik. Von 1992 bis 1995 war er Mitbegründer und Redakteur von „Le Messager des Jeunes“, der ersten Jugendzeitung Kameruns. Er flüchtete aus politisch-journalistischen Gründen nach Österreich, wo ihm Asyl gewährt wurde. INOU war Chefredakteur von Radio Afrika International in Wien (1998-2005), Mitbegründer und Chefredakteur von Afrikanet.info
(2003 bis heute). Er war Koordinator diverser (Medien-)Projekte (u.a. für die „Wiener Zeitung“ und „Die Presse“), organisierte die „Medien.Messe.Migration“ (2008-2015) und gründete 2007 den Verein zur Förderung interkultureller Medienarbeit M-MEDIA. Mitarbeit an Projekten wie „Diskriminierungsfreie Schulbücher für Österreich“ und „AfrikanerInnen im KZ Mauthausen“. Zurzeit beschäftigt er sich im Rahmen des Projekts „3RRR - RESTITUTION, REHABILITATION and RECONCILIATION“ mit den Fragen der Restitution Afrikanischer Kulturgüter. Er ist bei Radio ORANGE 94.0 Leiter der Ausbildung sowie des Bereichs Diversity. Diverse Auszeichnungen, u.a. 2008 mit dem Bundes-Ehrenzeichen.

Aufgrund seiner spannenden Biographie habe ich ihm einige Fragen zu den Rollen von Politik, Medien und Bildung auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft gestellt.

Viele sprechen von einer Spaltung der Gesellschaft durch die aktuellen Ereignisse wie zum Beispiel Corona oder auch den politischen Geschehnissen. Wie siehst du das? Gibt es noch eine Mitte?

Was ist eigentlich die Mitte? Ich würde sagen, das ist alles jenseits der Polarisation. Ich würde sagen, der Großteil der Bevölkerung steht in der Mitte.

Es wird immer eine Mitte geben, zumindest, wenn wir nicht ausschließlich ideologisch orientiert sind. Diese Diskussionen die wir momentan führen, führen wir immer anhand von Ideologien. Diese werden von Parteien verbreitet, die wissen sollten, dass diese Ideologien der Vergangenheit angehören. Wir haben Themen die für unsere Gesellschaft wichtiger und weniger polarisierend sind.

Solche Themen werden leider von den meisten Parteien nur oberflächlich thematisiert.
Für mich wird es immer eine Mitte geben, solange wir uns nicht hardcoremäßig nur um die Propaganda der verschiedensten Volksparteien kümmern. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir der Polarisation zu viel Gewicht geben, ohne dass wir eine Mitte aufgreifen, wird es keine Mitte mehr geben. Die Mitte versucht immer, beide Seiten zusammenzuführen.

Sobald eine Partei ihre Werte nicht mehr vertritt – z.B. Parteien, die sich auf christliche Werte berufen und dann aber nicht christlich handeln – wird die Mitte ebenfalls verloren gehen.

Politik muss immer versuchen, die verschiedensten Gesellschaftsschichten zusammenzubringen. Dabei geht es nicht nur um People of Colour oder generell die Herkunft der Menschen, sondern auch um Alte und Junge, oder Frauen und Männer.
Wenn wir den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht fördern, dann werden wir große Schwierigkeiten haben, eine richtige Mitte zu finden.

Ich finde, die einzelnen Parteien sollten wieder zurück zu den eigentlichen Werten kommen, seien sie sozial oder wirtschaftlich geprägt. Wenn sie sich an ihre Worte an die Öffentlichkeit halten, dann stehen sie alle in der Mitte und polarisieren nicht.

Du hast das Zusammenbringen verschiedenster Gesellschaftsschichten erwähnt. Was muss sich in unserer Bildung ändern, damit das funktioniert?

Eine geeinte Gesellschaft fängt bei der Bildung und Erziehung an. Wir müssen eine zusammenhaltende Tradition pflegen. Bei der Schulbildung zum Beispiel, sollten wir uns die Schulbücher genauer ansehen. Wie und welche Leute werden dort dargestellt? In den Schulen muss ein diverses Abbild unserer Gesellschaft verbreitet werden. Wir brauchen diskriminierungsfreie Unterrichtsmaterialien. Das geht vom Kindergarten bis hin zu den Universitäten. Damit können wir eine neue Generation von Menschen aufbauen, die nicht gegeneinander sein werden.

Für mich ist es wichtig, in Richtung Bildung viel zu investieren. Wir brauchen eine diskriminierungsfreie Bildung in Österreich, damit wir die Gesellschaft von morgen fit machen.

Neben der Bildung spielen auch die Medien eine sehr wichtige Rolle, weil sie diejenigen sind, die massenweise bestimmte Inhalte verbreiten. Sie können Diskriminierung innerhalb der Gesellschaft schüren oder auch nicht.

Inwiefern kommt da die Medienkompetenz junger Leute ins Spiel?

Die Medienkompetenz spielt eine wichtige Rolle, vor allem, wenn man die Entwicklung von Fake News in Social Media ansieht. Wenn junge Menschen medienkompetent sind, dann stellen sie das, was sie lesen, in Frage und verbreiten nichts weiter, was nicht stimmt. Das bezieht sich auch auf menschenunwürdige Inhalte. Wer sowas kritisiert, wird es auch nicht weiter teilen. Medienkompetenz gehört auch zu Bildung dazu. Ohne Medien gibt es keine Bildung, denn die Schulbücher sind beispielsweise auch Medien. Medien gehören zu unserem Alltag, darum ist Medienkompetenz ein Schlüssel zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft.

Was sind deine Wünsche an Österreich? Wie soll sich Österreich entwickeln?

(Lacht) Wir sind schon in der Zukunft drinnen. Ich glaube Zukunft findet jeden Tag statt. Zukunft bedeutet auch, dass wir junge Menschen brauchen, die nicht zu allem „Ja“ sagen und alles runterschlucken. Wir brauchen junge Menschen, die Sachen in Frage stellen, die fähig sind, Nachrichten zu überprüfen. Weil es nicht darum geht, dass wir eine Gesellschaft aufbauen, wo alle wie Roboter alles akzeptieren. Wir brauchen kritisch denkende junge Menschen, die Medien in Frage stellen und respektvoll mit allen umgehen können.

Respekt bedeutet auch, ,sich manchmal zurück ziehen zu können und sich Zeit zu nehmen. Sich einmal eine Pause zu gönnen und nachzudenken, bevor man weitergeht. Nicht immer nach dem Motto „Ich will hier und jetzt alles machen“ zu leben.

So ist das Leben. Wir brauchen alle mal Pause. Darum haben wir auch Ferien, damit wir uns erholen können und dann mit Schwung weitermachen können. Wir müssen lernen, kreativ zu sein und uns mit andren zu Kulturen beschäftigen, oder mal wieder einen Brief schreiben. Schreibt Postkarten. Überlegt, was ihr schreiben wollt. Findet einen Sinn.

Wir müssen auf dieser Erde nicht alles erreichen. Wir gehen alle einen Teil eines langen Wegs. Irgendwann ist unser Abschnitt fertig, und andere gehen den Weg weiter.

Wir müssen das Ganze entspannt sehen.

Dieser Artikel erschien im anstösse.