Das Team des Schweizer Vereins «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» hat uns einige Fragen zur Sterbehilfe beantwortet. Als gemeinnützig tätiger Verein setzen sie sich ein für Wahlfreiheit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Menschenwürde bis zuletzt. Seit 1998 engagieren sie sich international für die Durchsetzung des «letzten Menschenrechts».

Am 11. Dezember 2020 verkündete der österreichische Verfassungsgerichtshof: Es ist verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Die Wortfolge «oder ihm dazu Hilfe leistet» in § 78 des Strafgesetzbuches («Hilfeleistung zum Selbstmord») verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet.
Diese Erkenntnis war für einige eine Überraschung. Tatsächlich erfolgt sie in einer Linie mit ähnlichen Urteilen in der Schweiz, Deutschland, Kanada, usw.
Somit besteht ab 1. Jänner 2022 auch in Österreich eine zusätzliche Wahlfreiheit bezüglich des eigenen Lebensendes dergestalt, dass eine Person, die in der Lage ist, ihren Willen frei zu bilden und danach zu handeln, darüber bestimmen kann, auf welche Art zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll. So formulierte es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2011.

Ab wann ist es gerechtfertigt, sein Leben selbst zu beenden und wer entscheidet das?

Diese Frage enthält eine Unschärfe und ein Werteurteil. Weder das Lebensende noch selbstgewählt sein Leben beenden bedingen eine Rechtfertigung im Sinne einer Berechtigung.
Der Mensch ist ein Lebewesen, das normalerweise fähig ist, über sich selbst und den Wert und die Lebensqualität seines eigenen Lebens, sowie das Lebensende zu reflektieren, sprechen, entscheiden und danach zu handeln.  Ob man glaubt, Gott oder die Evolution habe uns diese Fähigkeit gegeben: sie wird schon lange genutzt. Das zeigt auch die Bibel: Ahitophel, der sah, dass sein Rat nicht ausgeführt wurde und sich erhängte (2 Samuel 17, 23) und Judas, der das Geld in den Tempel warf, hinweg ging und sich ebenfalls erhängte (Matthäus 27, 5) als Beispiele. Stets entscheidet der betroffene Mensch selbst, und hat seine Gründe dafür. Das ist in der Neuzeit nicht anders.
Um Menschen in einer Situation beizustehen, in der sie den Tod dem Leben vorziehen, soll nicht nach einer Rechtfertigung, sondern nach dem Grund für diesen Wunsch gefragt werden. Dies ist der Ausgangspunkt wirksamer Suizidversuchs-Prävention und Lebensschutzes.

Welche Gründe nennen betroffene Menschen für ihren Todeswunsch?

Die Errungenschaften der modernen Medizin sind ein Segen. Heute können Krankheiten behandelt und geheilt werden, an denen noch vor wenigen Jahren viele Menschen früh verstarben. Die Lebenserwartung ab Geburt hat sich während der letzten 150 Jahre verdoppelt. Eine Lebensverlängerung ist über einen klinischen Tod hinaus möglich.
Die moderne Leistungsgesellschaft kann das Verständnis für unsere Endlichkeit trüben. Täglich werden wir mit dem Ideal eines schlanken, sonnengebräunten, gesunden und erfolgreichen Menschen konfrontiert; dies das Bild, das uns Werbung und Unterhaltung zeigen und was manchmal als Norm betrachtet wird.

Beides kann zu Situationen führen, dass ein Mensch seinem eigenen Leben nicht mehr zureichend Lebensqualität beimessen mag. Lebensverlängerung kann zu Leidensverlängerung werden.
In dieser Situation braucht es die Wahlmöglichkeit, sich ergebnisoffen und umfassend zu allen Optionen der Lebensqualitätsverbesserung, der Lebensverlängerung und der Leidensbeendigung informieren zu können, und Hilfe zu erhalten, die persönliche Wahl umzusetzen.

Ist ein Mensch, der einem anderen zu sterben hilft, ein Mörder?

Sterben und Tod sind Teil des Lebens. Täglich helfen engagierte Palliativmediziner*innen und Ärzt*innen schwerkranken und betagten Menschen zu sterben, in dem sie den Übergang vom Diesseits ins Jenseits erleichtern. Bei Wunsch nach Behandlungsabbruch, womöglich festgelegt in einer Patientenverfügung, manchmal auch früher. Daraus schloss der österreichische Verfassungsgerichtshof: «Wenn einerseits der Patient darüber entscheiden kann, ob sein Leben durch eine medizinische Behandlung gerettet oder verlängert wird, und andererseits durch das Ärztegesetz sogar das vorzeitige Ableben eines Patienten im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Kauf genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, dem Sterbewilligen die Hilfe durch einen Dritten bei einer Selbsttötung zu verbieten.»  

Dies alles hat nichts mit Mord zu tun, einer Tat «zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln» wie es zum Beispiel das deutsche Strafgesetzbuch formuliert. 

Was sagen sie zu Kommerzialisierungsvorwürfen bezüglich Freitodangeboten?

Es gibt keine derartige Kommerzialisierung. Der Verein «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» beispielsweise gewährt statutengemäß wenn nötig, Erlass von der Zahlung von Beiträgen. So stehen alle Dienste allen Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Situation offen; auch die Suizidhilfe.

Autoren: Das Team des Schweizer Vereins «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben»

Dieser Artikel erschien im anstösse.