Fachartikel von Brigitte Dorner
Songs – Soundtracks des Lebens
Es gibt bestimmte Musikstücke oder Texte, die uns in unserem tiefsten Inneren so ansprechen, dass sie uns wie ein Soundtrack durch unser Leben begleiten. Manchmal rasend schnell, intensiv, lebendig, aber auch ruhig, getragen, nachdenklich. Die Texte der Rock- und Popmusik spiegeln das Leben und sind Ausdruck vielfältiger Erfahrungen. Nicht selten beinhalten sie explizite oder implizite religiöse Aussagen, die den biographischen Hintergrund des Autors/der Autorin spiegeln. Literatur und Theologie sind zwei Disziplinen, die sich beide mit der Erfahrung des Menschen beschäftigen und auf die Sprache angewiesen sind, um diese Erfahrungen auszudrücken.
Die religiöse Dimension der Liedtexte
Religiosität in der Rock- und Popmusik lässt sich nicht nur in ihrer historischen Entwicklung oder ihren kultischen Vollzügen erkennen, sondern auch in den Texten. Oft macht es den Anschein, dass der Text eines Liedes keine Rolle spielt, weil man ihn nicht versteht oder ihm keine Beachtung schenkt; dass er keinen Einfluss darauf hat, ob einem ein Lied gefällt oder nicht und ob es erfolgreich wird oder nicht. Eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Text findet nur selten statt. Kaum jemand, der bei einem Lied auswendig mitsingt, nimmt bewusst den Inhalt des Textes zur Kenntnis. Aber gerade so funktioniert das Ganze. Und so scheint der Boom religiöser Themen und Motive in der Rock- und Popmusik auch am Beginn des 21. Jahrhundert nicht enden zu wollen. Musiker wie U2, die Söhne Mannheims oder Marilyn Manson sind nur wenige der aktuellen Beispiele dafür. Allerdings darf man dabei nicht alle(s) in einen Topf werfen. Nicht jedes Lied, das die Charts stürmt, zeugt von Qualität und Niveau. Es gilt zu differenzieren zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang von Texten, zwischen aufgesetztem Marketingkonzept und Authentizität, zwischen MusikerInnen, die selber kreativ arbeiten und denen, die „nur“ InterpretInnen sind. Eine weitere Unterscheidung gilt zwischen der Ebene der VerfasserInnen von Texten und der Ebene der RezipientInnen. Durch die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte gibt es unzählige Möglichkeiten, wie ein Text zu jemanden spricht, auch wenn es nicht die Intention des Autors war. Oft sagt eine Interpretation deshalb mehr über die RezipientInnen als über die VerfasserInnen aus.
Explizite religiöse Aussagen
In der gegenwärtigen Rock- und Popmusik sind explizit religiöse Aussagen und Anspielungen keine Ausnahme. Im internationalen Rock- und Popbusiness greifen KünstlerInnen von A wie All Saints („Saints and Sinners“) bis Z wie ZZTop („Jesus just left Chicago“) auf das Religiöse zurück. Auch wenn die SängerInnen die Texte selber geschrieben haben, bedeutet das aber noch nicht unbedingt, dass sie sich persönlich als religiös betrachten. Und doch ist die Verwendung derartiger Bilder und Symbole nicht selten auf eine religiös/kirchliche Sozialisierung zurückzuführen. Viele MusikerInnen haben ein Interesse an Religion und Spiritualität, können aber mit den kirchlichen Institutionen nichts anfangen und distanzieren sich, nach dem Motto: „Think about God. Don’t think about religion (Mike Scott, ehemaliger Sänger der Waterboys).“ Da die Kirche die Ansichten und Lebenshaltung der Rockkultur verurteilt, sind diese beiden Pole für MusikerInnen aus dem Rock- und Popbereich, als auch für ihre Fans nur schwer unter einen Hut zu bringen.
Bei manchen SängerInnen gibt es jedoch eine Bekehrung oder ein offizielles Bekenntnis zu ihrem Glauben. So ist Cat Stevens zum Islam konvertiert und heißt jetzt Yusuf Islam. Bob Dylan konvertierte vom Judentum zum Christentum und wurde Mitglied einer fundamentalistisch geprägten amerikanischen Gemeinde der Born-Again-Christen. Auch schon vor seiner Bekehrung hatte er biblische Motive verwendet („All along the Watchtower“ nimmt Anleihen an Jesaja 21), doch sein offenes Bekenntnis zum Christentum führte zu einem Qualitätsverlust und fast zu einem Ende seiner Karriere. Nur wenigen MusikerInnen gelingt es, Erfolg und christliches Glaubensbekenntnis zu vereinbaren. U2 haben es im globalen Bereich geschafft, die Söhne Mannheims im deutschsprachigen Raum.
Die Söhne Mannheims sind ein Kollektiv von ursprünglich 17 bunt zusammengewürfelten Künstlern, angeführt von Xavier (saviour = Retter) Naidoo, der Sänger und Texter ist. Das Album, das 2004 herauskam, ist gespickt von expliziten religiösen Anspielungen und Motiven. „NOIZ“, so der Titel, ist ein Palindrom und die Fortsetzung von „ZION“ (2000), ihrem Debut. Im Booklet von „NOIZ“ findet man ein flammendes Plädoyer für das Christentum von Xavier Naidoo, der das Album mit dem „Vater Unser“ beschließt. Die Lieder sind voll von religiösem Pathos und erzählen unter anderem von persönlichen Erfahrungen (z.B. Rassismus) aus dem Alltag in Mannheim, der Heimatstadt der „Söhne“. Im Lied „Vielleicht“ greift Naidoo ein aktuelles Thema auf dem Hintergrund des 11. September 2001 auf: Terrorismus, religiöser Fanatismus, Dschihad und biologische Massenvernichtungswaffen.
Ich versuche zu verstehn / was andere in Dir sehn. /
Warum sie Kriege anfangen / und in Deinen Augen Morde begehen. /
Warum sie Menschen dazu zwingen, / an einem Virus zu sterben. /
2000 Jahre nach Dir, / liegt hier alles in Scherben.
Er (bzw. das lyrische Ich) versucht das Verhalten und den Glauben der anderen zu verstehen und beklagt die dramatische Situation, die weltweit herrscht. Am Ende gibt er Zeugnis davon, dass das Wichtigste für ihn der Glaube an Gott ist:
Alles was zählt, / ist die Verbindung zu Dir /
und es wäre mein Ende, / wenn ich diese Verbindung verlier!
Das Lied „König der Könige“ erinnert an die biblische Tradition der Klagelieder und Psalmen. Es ist eine Bitte an Gott um Befreiung und Erlösung:
Selbst wenn die Erde aufbricht und mich zu verschlingen droht /
Selbst wenn man Lügen auftischt über Krieg und Tod /
Herr ich bete zu dir, nicht nur für täglich Brot /
Nein ich flehe zu dir, wend ab diese Not /
Ich ruf den König der Könige, erhöre und zerstöre nicht.
Christliche Rockmusik
Dieses offene Bekenntnis der Söhne Mannheims und das massive Vertreten einer religiösen Botschaft ist aber eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings gibt es im Bereich der Rock- und Popmusik eine Szene, die sich dezidiert zum Christentum bekennt: die christliche Musikszene. In ihren Anfängen sahen sich die SängerInnen selbst als Prediger und hatten das Ziel, mittels Musik eine bestimmte (christliche) Botschaft zu vermitteln und zu missionieren. Lange ist dieser Musiksektor eine relativ abgeschlossene Szene und eine Randgruppe gewesen, weil die Bands unter Vertrag mit „christlichen“ Plattenfirmen stehen und das Budget, das zur Verfügung steht, klein ist. Der Absatzmarkt hat eine geringe Streuung, denn ihre Alben stehen hauptsächlich in „christlichen“ Buch- und Plattenläden im Regal. Vor allem in den USA aber hat dieser Zweig der Rock- und Popmusik mit seinen eigenen Labels, Radio- bzw. Fernsehkanälen und einer christliche Konzertszene großen Erfolg (Fermor).
Heute sind die Grenzen zwischen profaner und säkularer Rock- und Popmusik längst nicht mehr so eindeutig. Rockstars einer neuen Generation, die sich als Christen bekennen, haben begonnen bei globalen, „säkularen“ Plattenfirmen Verträge zu unterzeichnen und distanzieren sich nun von den „christlichen“ Labels. Sie haben erkannt, dass sie nur dann von der breiten Masse gehört werden, wenn sie ihr christliches „Stigma“ loswerden und dadurch auch Nichtgläubige erreichen. Denn nur weil etwas die Bezeichnung „christlich“ trägt, heißt das nicht, dass es ausschließlich für christliche RezipientInnen ist. Mit dieser Wende ist die christliche Musikszene, wenn auch in einer etwas veränderten Form, weiter gewachsen. Auch trotz expliziter religiöser/christlicher Bezüge in den Texten ist heute nicht immer eindeutig festzustellen, ob eine Gruppe der christlichen Szene angehört oder nicht, und ob sie authentisch ist. Natürlich besteht hier auch immer die Gefahr des Fundamentalismus und der Verbreitung eines problematischen Gottesbildes. Vielen MusikerInnen geht es einfach darum, in keine Schublade gesteckt zu werden, um ein möglichst breites Publikum ansprechen zu können.
Implizite religiöse Aussagen
Nicht immer sind religiösen Aussagen in den Liedern auf den ersten Blick ersichtlich. Meistens sind sie implizit, verhüllt, mehrdeutig und deshalb stark von der Interpretation der RezipientInnen abhängig. In vielen Liedern geht es um Träume, Hoffnungen und alltägliche Erfahrungen, „viele sind aber geprägt von brennender Sehnsucht und tiefen Fragen, von der Suche nach Sinn und Antworten jenseits des Verfügbaren (Schwarze).“ Gerade existentielle Themen wie Liebe, Verlust und Tod, die häufig ihren Ausdruck in Liedern finden, machen die religiöse Dimension der Musik deutlich, auch wenn keine Worte explizit darauf hinweisen. Diese implizite Religiosität ist auch in den Texten des deutschen Songschreibers und Sängers Herbert Grönemeyer immer wieder zu finden. Gerade sein Album „Mensch“ (2002) ist besonders geprägt von den Themen Tod und Verlust. Er selber sieht es als Liebeserklärung an seine Frau, die vier Jahre zuvor gestorben ist. Im Lied „Der Weg“ setzt er sich mit ihrem Tod auseinander, der viel zu früh gekommen ist. Er hadert mit dem Leben, weil es „nicht fair“ ist, und doch war es für ihn „ein Stück vom Himmel dass es sie [seine Frau] gibt“. Trotz den Härten des Lebens will er sich nicht unterkriegen lassen:
Ich geh hier nicht weg / hab meine Frist verlängert /
Habe dich sicher in meiner Seele /
Ich trag dich bei mir bis der Vorhang fällt
Das Lied „Mensch“ beschäftigt sich mit der conditio humana, also damit, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und was einen Menschen ausmacht.
Und der Mensch heißt Mensch / weil er irrt und weil er kämpft /
und weil er hofft und liebt, / weil er mitfühlt und vergibt /
und weil er lacht / und weil er lebt / du fehlst... /
und der Mensch heißt Mensch / weil er vergisst, weil er verdrängt /
und weil er schwärmt und glaubt, / sich anlehnt und vertraut /
und weil er lacht / und weil er lebt / du fehlst...
und der Mensch heißt Mensch / weil er erinnert, weil er kämpft /
und weil er hofft und liebt / weil er mitfühlt und vergibt /
und weil er lacht, / und weil er lebt, / du fehlst...
Auch die Liebe und das Scheitern von Beziehungen sind Themen, die mit großer Häufigkeit besungen werden. Nicht alle Liebeslieder sind als theologisch relevant zu erachten, aber eine Liebesbeziehung kann immer auch „ein Verweis auf die ‚große Transzendenz’ sein“ (Treml).
Aus: Dorner, Brigitte, „U2 ist ihre Religion, Bono ihr Gott“ Zur theologischen Relevanz der Rock- und Popmusik am Beispiel von U2. Marburg 2007.
Literatur:
Albrecht, Horst, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart 1993.
Fermor, Gotthard, Ekstasis. Das religiöse Erbe in der Popmusik als Herausforderung an die Kirche, Praktische Theologie heute, Bd. 46, Stuttgart 1999.
Gutmann, Hans Martin, Der Herr der Heerscharen, die Prinzessin der Herzen und der König der Löwen. Religion lehren zwischen Kirche, Schule und populärer Kultur, Gütersloh 1998.
Joseph, Faith, God & Rock`n`Roll, London 2003.
Koenot, Jan, Hungry for Heaven. Rockmusik, Kultur und Religion. Düsseldorf 1997.
Kögler, Ilse, Die Sehnsucht nach mehr. Rockmusik, Jugend und Religion, Graz u.a. 1994.
Schäfers, Michael, Jugend – Religion – Musik. Zur religiösen Dimension der Popularmusik und ihrer Bedeutung für die Jugendlichen heute, Münster 1999.
Schwarze, Close Encounters of Another Kind. Rock- und Popmusik diesseits und jenseits des Alltäglichen, in: Bubmann, Peter (Hg.). Menschenfreundliche Musik. Politische, therapeutische und religiöse Aspekte des Musikerlebens, Gütersloh 1993. 114-127.
Treml, Hubert, Spiritualität und Rockmusik. Spurensuche nach einer Spiritualität der Subjekte, Zeitzeichen Bd. 3, Ostfildern 1997.