Fachartikel von Brigitte Dorner

Die Geschichte der Rock- und Popmusik

„When Israel was in Egypt’s land... let my people go!“

Von den Spirituals...

Die Rock- und Popmusik hat ihre Wurzeln in der afro-amerikanischen Musik und der damit zusammenhängenden religiösen Tradition. Der Ursprung liegt bei den afrikanischen Sklaven in Amerika, denen ihre eigene Kultur und religiöse Ausdrucksform verboten wurde. Im Zuge der Christianisierung kam es zu einer Verschmelzung von afrikanischem Erbe und europäischer Tradition. Die Sklaven fanden ihr eigenes Schicksal in den verschiedenen biblischen Geschichten wieder und es entstanden die Spirituals, die die Erlösung von Qual und Not fordern.

Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei entwickelte sich der Blues. Die Bezeichnung Blues resultiert aus einer falschen Interpretation der Weißen, die diese Art von Musik als melancholisch empfanden. In Wirklichkeit spiegelt der Blues aber soziale Erfahrungen wider und ist „eine Ausdrucksform, die ganz unterschiedliche Stimmungen repräsentieren kann: Anklage und Aufbegehren, sexuelle Erregung, Verzweiflung und Spott“ (Bernd Schwarze). Aus den Spirituals entwickelten sich in der Mitte der 1920er Jahre in den Ghettos von nordamerikanischen Großstädten die Gospels. Sie wurden von professionellen Musikern komponiert und spielten ursprünglich eine wichtige Rolle bei der Auslegung des Evangeliums. Heute sind die Gospels aus den Gottesdiensten insbesondere der schwarzen Kirche kaum mehr wegzudenken.

... zum Rock´n´Roll

Schlussendlich war es der Rhythm & Blues, der maßgeblich zur Entstehung des Rock’n’Roll und der Rockmusik beitrug. Der Rhythm & Blues ist „eine Sammelbezeichnung für die nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstandenen professionalisierten Formen einer schwarzen Tanz- und Unterhaltungsmusik“ (Ilse Kögler). Auch der Reggae, der in den 1960er Jahren zur Kultmusik der Rastafari-Religion wurde, übte Einfluss auf die spätere Rock- und Popmusik aus. Inhaltlich sind es oft das Schicksal des Volkes Israel oder Psalmen, die in den Texten des Reggae zum Ausdruck kommen.

Im Laufe der Entwicklung dieser Musikstile passten sich die Afrikaner mehr und mehr an die Amerikaner an, und doch war die Musik für sie ein Weg um ihre Identität auszudrücken und zu wahren. Durch die Begegnung der beiden Kulturen lebte das afrikanische Erbe in einer veränderten Form weiter.

Die afro-amerikanische Tradition und die weiße Volksmusik (Country, Western und Folk) waren prägend für die Geburt des Rock’n’Roll, dessen genaue Geburtsstunde kaum nachzuvollziehen ist. Der Beginn des Rock’n’Roll und somit der Rockmusik liegt irgendwann im Jahre 1954. Mit dem Discjockey Alan Freed und seiner Radio-Show wurde dieser neue Musikstil bekannt und immer beliebter. Diese neue Form populärer Musik verkörperte den Lifestyle und das Lebensgefühl der Jugendlichen in den USA und wurde so gleichsam zu ihrer Religion. Musikalisch nah am Rhythm & Blues, drückt der Name Rock’n’Roll auch eine sexuelle Komponente aus, da er sowohl den Geschlechtsakt als auch rhythmische Bewegungen bezeichnet. Musiker wie Elvis Presley und Jerry Lee Lewis, die religiösen Gemeinschaften angehörten, waren zwischen der kirchlichen Autorität, die den Rock’n’Roll verteufelte, und ihrer ausschweifenden Lebenshaltung regelrecht hin- und hergerissen.

Von den Beatles...

In den Sechzigern schafften die Beatles zuerst in Europa den Durchbruch und versetzten ihre Fans bei den Konzerten in ekstatische Verzückung (Beatlemania). Sinnsuche, sowie Sehnsucht nach Liebe („All you need is love“) und religiösen Erfahrungen wurden zu vorherrschenden Themen in dieser Zeit. Durch das Experimentieren mit synthetischen Drogen oder der Transzendentalen Meditation versuchten viele Musiker, spirituelle Erfahrungen zu machen. In Amerika gab es neben der Hippie-Kultur zahlreiche Protestbewegungen gegen die Rassentrennung und den Vietnam-Krieg. Durch die Topical Songs („aktuelle Lieder“, Protestlieder) bzw. Freedom Songs gaben vor allem Folk-Sänger wie Bob Dylan ihrem Unmut Ausdruck. Nach dem harmonischen Woodstock-Festival wurde das Altamont-Festival ein paar Monate später zur destruktiven Variante: durch die Lehren von Aleister Crowley waren unter anderem die Rolling Stones vom satanistischen Gedankengut beeinflusst worden. Am Ende der Sechziger „wurde der Untergrund geboren und die Welt in gefälligen Pop und progressiven Rock gespalten“ (B. Schwarze).

...bis heute

In den siebziger Jahren wurde die Musik immer stärker kommerzialisiert und die Sehnsucht nach transzendenten Erfahrungen setzte sich fort: sowohl Buddha, als auch Shiva und Jesus waren „in“. 1971 entstanden gleich zwei Jesus-Musicals: „Godspell“ und „Jesus Christ Superstar“. Viele Musiker beschäftigten sich mit Gestalttherapie, Yoga oder anderen Formen der (fernöstlichen) Meditation. Neben dem populär gewordenen Glam Rock und Discosound wurde jedoch ein Wendepunkt mit dem Entstehen des Punk erreicht, der aufgrund der sozialen Situation charakteristisch für die „no future“ Generation wurde. Es war im Grunde ein Protest gegen alles und jeden. Am Ende der Siebziger kam der Heavy Metal auf, dessen Texte teilweise gewaltverherrlichend und satanistisch sind.
In den achtziger und neunziger Jahren kann man längst nicht mehr von einer homogenen Musikkultur sprechen. Manche Stile hielten an, wurden weiterentwickelt oder entstanden völlig neu. In den Achtzigern waren es vor allem charismatische Einzelpersönlichkeiten wie Michael Jackson, Madonna oder Prince, die sich selbst inszenierten und dadurch Kultstatus erreichten. Sie verarbeiteten religiöse Motive nicht nur in ihrer Musik und den Texten, sondern auch in ihren Shows und der Vermarktung ihrer Persönlichkeit.

Zwei weitere wichtige Stilrichtungen der neunziger Jahre sind die Hip-Hop-Kultur und der Dancefloor-Bereich: der Rap wurde zum Sprachrohr der Schwarzen in den amerikanischen Ghettos und die Techno-Musik war die neueste Errungenschaft der Diskotheken, zu der sich die „Raver“ in Ekstase tanzen, um dem Alltag zu entfliehen. „Nie zuvor war die Popmusik so explizit religiös wie in den achtziger und neunziger Jahren!“ (B. Schwarze)

Es hat also nicht nur bei den Vorläufern der Rockmusik eine Affinität zur Religion gegeben, sondern durch ihre ganze historische Entwicklung hindurch war die Rockmusik immer wieder ein Ort der religiösen und spirituellen Auseinandersetzung.

Gitarre - God Rocks
(c) stock.xchng / Mike Moloney

Zum Begriff der Rock- und Popmusik

Der Begriff „populäre Musik“ umfasst verschiedenste Stilformen von Rock über Schlager bis zu Volksmusik, die durch die Massenmedien verbreitet werden und beim Großteil der Bevölkerung beliebt sind. In diesem Bereich der Musik gibt es mittlerweile so viele verschiedene Stilrichtungen, dass es nicht möglich ist, alle präzise einzuteilen. Vor allem in der Rock- und Popmusik ist seit den 1970er Jahren (auch aufgrund des beliebten „Crossovers“ – die Verschmelzung verschiedener Genres der Rock- und Popmusik) unmöglich, die Stile strikt voneinander zu trennen, denn die Grenzen sind fließend. Da die Meinungen von Musikern, Journalisten und Wissenschaftlern auseinander gehen, werden Begriffe wie Rock und Pop auch nicht einheitlich verwendet sondern unterschiedlich definiert.

Ein grundsätzliches Kennzeichen der Rockmusik ist ihre Entwicklung aus der afro-amerikanischen Musik. Pop ist generell ein Massenphänomen und wird als Sammelbegriff verstanden, „der alle Rock- und Popmusik meint, die sich aus dem Rock’n’Roll heraus entwickelt hat (G. Fermor).“ Eine mögliche Differenzierung innerhalb der Rock- und Popmusik ist dahingehend, dass Pop durch den Unterhaltungsaspekt und die Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist (z.B. Casting Bands, Hitparade), während Rock oft zur Benennung von „harter und ‚authentischer’ Musik in der Tradition von Rhythm & Blues“ (B. Schwarze) verwendet wird, und mit einer bestimmten Einstellung und einem bestimmten Lebensstil (z.B. Punk, Protestkultur) verbunden wird.

von Brigitte Dorner

Brigitte Dorners BuchAus:
Dorner, Brigitte, „U2 ist ihre Religion, Bono ihr Gott“. Zur theologischen Relevanz der Rock- und Popmusik am Beispiel von U2. Marburg 2007.

Literatur:
Fermor, Gotthard, Ekstasis. Das religiöse Erbe in der Popmusik als Herausforderung an die Kirche, Praktische Theologie heute, Bd. 46, Stuttgart 1999.

Kögler, Ilse, Die Sehnsucht nach mehr. Rockmusik, Jugend und Religion, Graz u.a. 1994.
Schwarze, Bernd, Die Religion der Pop- und Rockmusik. Analysen und Interpretation, Praktische Theologie heute, Bd. 28, Stuttgart 1997.